Die menschliche Geschichte der Türkei reicht nach derzeitigem Forschungsstand mindestens 1,2 Millionen Jahre zurück. Jüngst wurden Artefakte des Homo erectus in Ablagerungen des westanatolischen Flusses Gediz entdeckt, der in der Antike als Hermos bekannt war. Die älteste Fundstätte Anatoliens stellten bis dahin die Karain-Höhlen dar, dann galt Kaletepe Deresi 3 in Kappadokien als älteste Fundstätte der Türkei.
Deutlich jünger sind die bisherigen Funde aus dem europäischen Teil der Türkei. In den Höhlen von Yarımburgaz (Yarımburgaz Mağarası), am Nordrand der Lagune von Küçükçekmece, rund 23 km westlich der Istanbuler Innenstadt gelegen, fanden sich 400.000 Jahre alte Artefakte. Diesen frühen Jägern und Sammlern folgten Neandertaler, die wiederum von anatomisch modernen Menschen abgelöst wurden, die vor über 40.000 Jahren aus Afrika zugewandert sind.
Der fruchtbare Halbmond, in dem um 11000 v. Chr. die neolithische Revolution begann, für die Ackerbau, Vieh- und Vorratshaltung und dörfliche Lebensformen kennzeichnend sind, liegt zum Teil auf türkischem Gebiet. Früh entstand eine Monumentalarchitektur und ein weiträumiger Austausch bzw. Handel mit Obsidian. Pınarbaşı ist der älteste anatolische Fundort, an dem sich zwischen 8500 und 8000 v. Chr. Sesshaftigkeit und eine über lange Zeiträume bewohnte Siedlung nachweisen lassen. Zwischen 7400 und 7100 v. Chr. begann die Ausdehnung der neolithischen Lebensformen Richtung Westanatolien, von dort einerseits über See nach Südgriechenland und schließlich nach Italien (dort ab 6100 bis 5800 v. Chr.), andererseits über Land Richtung Balkan (um 6500 bis 6400 v. Chr.). Die bekannteste Grabungsstätte Anatoliens dürfte Çatalhöyük (7400-6200 v. Chr.) sein, eine stadtartige Siedlung, deren Eigenheiten allerdings immer noch diskutiert werden. Um 5500 v. Chr. erreichte die neue Lebensform Mitteleuropa.
In der späten Kupferzeit (bis 3000 v. Chr.) kam es zu einer massiven Steigerung der Siedlungstätigkeit, so dass man Tausende von Dörfern annimmt. Die nachkupferzeitlichen Siedlungen Südostanatoliens waren hingegen erheblich kleiner, sehr viel stärker verstreut und meist handelte es sich um Neugründungen. Die frühe Bronzezeit auf dem anatolischen Plateau gilt wiederum als Zeit der verstärkten „Verstädterung“, es entstanden erste Herrschaftsgebiete. Als eine der wichtigsten Ursachen für die zunehmende Zentralisierung gilt der Metallhandel. Um 2000 v. Chr. setzt mit assyrischen Quellen erstmals eine breitere schriftliche Überlieferung ein, eine rudimentäre Verwaltung mit einer höfischen Zentrale wird erkennbar, die Städte erreichten erhebliche Ausdehnungen.
Um 2000 v. Chr. kam es zu einem für agrarische Gesellschaften ungünstigen Klima, zudem kam es durch Zuwanderung zu einer ethnischen Zersplitterung im Osten. Dieser Niedergangsphase folgte ein starkes Wachstum der Städte. In Zentralanatolien entstand um 1600 v. Chr. das Großreich der indoeuropäischen Hethiter, das bis nach 1200 v. Chr. bestand, im Westen die Königreiche von Arzawa, die vielleicht von gleichfalls indoeuropäischen Luwiern oder Karern bewohnt waren. Um 1300 v. Chr. eroberten die Hethiter schließlich Arzawa. Hauptstadt ihres Reichs war Ḫattuša, etwa 150 Kilometer östlich von Ankara. Im Südwesten entstand das minoische, später mykenische Milet, die Ägäisküste wurde partiell hellenisiert. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts ging das hethitische Großreich im Zusammenhang mit einer Völkerwanderung, die das gesamte östliche Mittelmeer erfasste, unter. Kleinere Nachfolgestaaten bestanden jedoch im Süden und Osten Anatoliens bis ins 8. Jahrhundert fort.
Unklar sind die Verhältnisse nach etwa 1190 v. Chr. Die Phryger errichteten wohl im 11. Jahrhundert ein Reich, das im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. Westanatolien umfasste. Von seinem Zentrum Gordion aus beherrschten die Phryger ein Reich, das im 9. und 8. Jahrhundert weite Teile Zentral- und Westanatoliens umfasste. Seit 850 v. Chr. bestand im Osten Anatoliens das Reich Urartu, im Südosten bestanden kleinere Herrschaftsgebiete, die als Nachfolgestaaten des hethitischen Großreichs gelten. Ende des 8. Jahrhunderts erreichten Kimmerer Anatolien, die 697 oder 676 v. Chr. die Hauptstadt des Phrygerreichs zerstörten, um 644 die der Lyder. Erst um 600 v. Chr. gelang den Lydern die Vertreibung des Reitervolks, doch wenige Jahrzehnte später eroberten die Perser ganz Kleinasien. Trotz häufiger Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Persern wuchsen die griechischen Städte zu bedeutenden Handels- und Kulturzentren heran.
Mit der Eroberung Anatoliens durch Alexander den Großen und den Kämpfen seiner Nachfolger wurde das Land zu einem überaus häufigen Kriegsschauplatz. Dort etablierten sich mehrere Nachfolgestaaten, vor allem Pergamon im Westen, Pontos rund um das Schwarze Meer im Norden und Armenien im Osten. Ab 133 v. Chr. kamen Pergamon und Pontos an Rom, Armenien blieb jedoch mehrere Jahrhunderte lang ein Pufferstaat zwischen dem Römischen und dem Partherreich, das 226 n. Chr. von den persischen Sassaniden abgelöst wurde. Trotz der Kämpfe und in deren Folge Flucht und Hunger erreichte die Verstädterung im römischen Kaiserreich ihren Höhepunkt. Noch in der Spätantike besaß Kleinasien über 600 Städte. Kaum weniger heftig waren die Kämpfe unter den christlichen Gruppen, von denen sich einige gegen Verweltlichungstendenzen der Kirche wehrten. Ende des 4. Jahrhunderts waren die Nichtchristen anscheinend bereits in der Minderheit. Bis zum 6. Jahrhundert erfolgte eine weitgehende Umstrukturierung der ländlichen Gesellschaft. Lokale Grundbesitzer erhielten per Gesetz beinahe unbeschränkte Verfügungs- und Polizeigewalt, wachsende Wirtschaftseinheiten forderten von den Bauern Arbeit und Abgaben und machten sie in einem langen Prozess zu unfreien Kolonen, die an die Scholle gebunden waren und kein freies Eigentum mehr besaßen.
Das Oströmische bzw. Byzantinische Reich verlor nach einem langen Kampf gegen die Perser, die sie 628 besiegen konnten, ab 633 weite Gebiete des Reiches an muslimische Araber. Sie standen zunächst unter der Führung der vier „rechtgeleiteten“ Kalifen, dann der Umayyaden. Zugleich machte der Verlust fast des gesamten Gebietes zwischen Donau und Griechenland an Awaren und Slawen das verbliebene Anatolien zum Kernland des Restreiches. Es wurde in Militärbezirke eingeteilt und alle Kräfte der Abwehr der immer wieder tief nach Kleinasien einbrechenden muslimischen Armeen untergeordnet. Nach etwa 850 stabilisierte sich die Situation, ab etwa 940 ging Byzanz verstärkt in die Offensive, so dass auch der äußerste Osten Anatoliens, das seinen Namen einem byzantinischen Militärbezirk (Thema) verdankt, besetzt wurde.
Ab etwa 1050 sickerten erste türkische Seldschuken nach Kleinasien ein, sie besiegten 1071 eine vom Kaiser geführte Armee. In Anatolien entstand um Konya 1081 eine unabhängige seldschukische Herrschaft, die sich bis an die Ägäis erstreckte. Zwar gelang Byzanz die Rückeroberung der Küstensäume mit venezianischer Unterstützung, doch nach einer schweren Niederlage im Jahr 1176 begann die Herrschaft Konstantinopels zu bröckeln. Zudem eskalierte der Streit mit der römischen Kirche ab 1054, dann ab 1171 mit Venedig. 1204 eroberte ein Kreuzfahrerheer auf venezianische Initiative die Hauptstadt. Dem Kaiserreich Nikaia, von flüchtigen Angehörigen des Kaiserhauses gegründet, gelang die Stabilisierung seiner westanatolischen Herrschaft, ebenso wie es einem anderen Zweig gelang, das Kaiserreich Trapezunt zu gründen, das bis 1460 bestand. Mit der Rückgewinnung Konstantinopels 1261 vernachlässigte Byzanz Anatolien, das nach und nach von türkischen Gruppen erobert wurde. Unter diesen setzten sich die Osmanen schließlich durch, denen 1453 die Eroberung Konstantinopels gelang, das sie zu ihrer Hauptstadt machten. Die griechische Bevölkerung wanderte weiterhin in die küstennahen Städte ab, Zentralanatolien wurde ein Agrarland und büßte viele seiner Städte ein. Im Osten hielt sich bis 1375 Kleinarmenien. Zwar unterlagen die Seldschuken 1243 den Mongolen und die Osmanen 1402 der Armee Timurs, doch auch diese Niederlage konnte die Eroberung der türkischen Emirate durch die Osmanen nur verzögern.
Diesen gelang gegen ägyptisch-mamlukischen und persisch-safawidischen Widerstand die Eroberung Südost- und Ostanatoliens, doch ähnlich wie in byzantinischer Zeit entlud sich die dauernde Kriegführung und die Überforderung des Gebiets in heftigen Aufständen. Zudem ging die Bedeutung der Städte weiter zurück, zumal der mittelmeerische Handel im 17. Jahrhundert gegenüber dem atlantischen zunehmend an Bedeutung verlor. Die zentrifugalen Kräfte dominierten in der lokalen Politik zunehmend, als „Talfürsten“ bezeichnete örtliche Machthaber entzogen sich der Kontrolle der Zentrale und übernahmen zunehmend staatliche Aufgaben. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlor das Reich zudem die meisten europäischen Gebiete, Nordafrika machte sich unabhängig, so dass Anatolien abermals zum Kernland des Reiches wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg endete das Reich der Osmanen und eine autoritär regierende Führung aus Militärs dirigierte das Land. Zwar kam es zu Wahlen, doch putschte die Armee allein drei Mal in den Jahren 1960, 1971 und 1980.
Die größten Minderheiten stellten mittlerweile Armenier, Griechen und Kurden dar, wobei erstere während des Ersten Weltkriegs einem Völkermordversuch ausgesetzt waren, die Griechen nach dem Krieg Westanatolien, in den 1950er Jahren Istanbul verlassen mussten. Sieht man vom europäischen Teil der Türkei ab, so bestand der Staat seit den 1920er Jahren fast nur noch aus Anatolien, wo die Regierung ethnische Konflikte einfach zu negieren versuchte, indem sie etwa die Kurden zu einer Sonderform der Türken machte („Bergtürken“). Bis 1994 wurden durch das Militär etwa 2000 Dörfer im Südosten der Türkei geräumt. 1996 beendete das Parlament den Ausnahmezustand in den Kurdenprovinzen. Die Öffnung der Märkte bei niedrigen Löhnen und starkem Nachholbedarf führte zusammen mit der Modernisierung der Organisations- und Infrastruktur und der Hebung der Bildung zu einem rapiden Wirtschaftswachstum, von dem vor allem die Großstädte profitierten, während bald kaum noch ein Viertel der Bevölkerung auf dem Land lebte.
So sehr Anatolien für die Erforschung der Jungsteinzeit an Bedeutung gewonnen hat, so gering waren lange die Erträge mit Blick auf die Altsteinzeit. Während in den Nachbarländern Georgien und Griechenland in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte erzielt werden konnten1, war Anatolien von erheblicher Vernachlässigung auf diesem Sektor betroffen, die sich erst in jüngster Zeit vermindert. Da sich nördlich von Anatolien, im georgischen Dmanissi, die bisher ältesten homininen Fossilien fanden, die als mögliches Bindeglied zwischen den frühesten Vertretern der Gattung Homo aus Afrika und den späteren, aus Asien bekannten Fossilien des Homo erectus gelten, käme Anatolien damit eine Brückenfunktion zu. Diese Vermutung wurde jüngst durch Funde am westanatolischen Fluss Gediz bestätigt, die sich anhand vulkanischer Lavaströme auf die enge Zeitspanne von 1,24 bis 1,17 Millionen Jahren datieren ließen.1c Der Fund dreier Schädelteile in einem Travertinblock bei Kocabaş ließ sich gleichfalls dem Homo erectus zuordnen und auf 1,1 bis 1,3 Millionen Jahre datieren; weitere Untersuchungen ergaben ein Alter von 1,2 bis 1,6 Millionen Jahren.1d
Im benachbarten Thrakien finden sich vor allem Chopper, also Geröllwerkzeuge, jedoch fast keine Faustkeile; in Anatolien lassen sich zwar in allen Regionen Faustkeile nachweisen, doch an nur vier Fundstätten lässt sich anhand der Stratigraphie ihr Alter bestimmen (Stand: 2009). Steinwerkzeuge sowie tierische und menschliche Knochen aus dem Paläolithikum und Mesolithikum wurden in der Karain-Höhle E 31 km nordwestlich von Antalya entdeckt, darunter auch Faustkeile. Die ältesten Funde wurden auf ein Alter von mehr als 400.000 Jahren datiert.2 Ebenfalls datierbare Faustkeile bargen zwei Stätten bei Şehremuz Sırtı nördlich von Samsat in Südostanatolien (A 5 und A 10), die dem Acheuléen zugewiesen werden konnten. Größer ist die Funddichte am oberen Euphrat und am Tigris sowie in der Provinz Hatay.
Rund 23 km westlich der Innenstadt von Istanbul, am Nordrand der Lagune von Küçükçekmece, fanden sich über 1600 steinzeitliche Artefakte in den Höhlen von Yarımburgaz (Yarımburgaz Mağarası)2d, deren älteste auf etwa 400.000 Jahre datiert wurden. Wahrscheinlich bewohnte zuerst Homo erectus die Höhle, menschliche Überreste wurden nicht gefunden. In den ältesten Schichten fanden sich keine Faustkeile und keine Hinweise auf die Levallois-Technik, stattdessen konnten wenige Chopper und große Mengen kleiner Klingen mit Retuschen geborgen werden.2f Meist wurde Feuerstein genutzt, aber auch Quarz und Quarzit. Insgesamt ähnelt die Industrie derjenigen der Höhlen von Rodia und Doumbia in Thessalien und Makedonien.2g Im Winter wurde die Höhle offenbar von Bären (Ursus deningerii) bewohnt, die nach der Überwinterung die Höhle verließen, bevor sie im Frühjahr von Menschen genutzt wurden. Dieses Arrangement bestand zwischen 330 und 130.000 vor heute.
1984 fand man am Euphrat den ersten Faustkeil bei Şanlıurfa und damit den ersten Beleg für die Anwesenheit von Menschen im Paläolithikum, wenn auch der erste Faustkeil bereits 1907 bei Gaziantep entdeckt worden war. Die erste zentralanatolische Grabungsstätte, die Funde aus dem Acheuléen zu Tage förderte, war das im Jahr 2000 entdeckte Kaletepe Deresi 33 bei Kömürcü in Kappadokien; sie erreichen ein Alter von etwa 800.000 Jahren.4 Zudem überspannen die Funde keiner anderen anatolischen Stätte einen so langen Zeitraum. Die im von starker vulkanischer Aktivität gekennzeichneten Gebiet des über 2100 m hohen Göllü Dağ gelegenen Obsidianlager lockten schon früh Jäger und Sammler an, die das glasartige Material zu Waffen und Werkzeugen verarbeiteten.5 Es fanden sich Chopper, Cleaver (Hackmesser) und Faustkeile. Werkzeuge, die in Levalloistechnik hergestellt wurden, und dementsprechend dem Mittelpaläolithikum zugeordnet werden, fanden sich ebenfalls. An tierischen Überresten fand sich nur der Unterkiefer einer ausgestorbenen Pferdeart und einige Zähne.6 Die älteren Fundstücke gehen auf Homo erectus zurück.7 1940 fand man bei Pendik im Raum Istanbul einen Faustkeil, der dem Abbevillien zugeordnet wurde, auf der Ostseite des Bosporus fand man bei Göksu an drei Stätten je einen Faustkeil.8 Auf 900 bis 780.000 Jahre wurden die etwa 175 steinernen Werkzeuge datiert, die aus Dursunlu stammen, aus einer Mine nordwestlich von Konya. Homo erectus wird physisch zum ersten Mal mit dem Knochenfund von Kocabaş bei Denizli fassbar. Das Scheitelbein und einige Gesichtsknochen wurden auf 500 bis 490.000 Jahre datiert. Sie sind nicht nur die ältesten Knochen, die bisher in der Türkei gefunden wurden, sondern sie zeigen auch, dass das Individuum unter Tuberkulose litt.
Einer der bekanntesten Funde von Neandertalern wurde kurz hinter der irakischen Grenze gemacht. Es handelt sich um die Höhle von Shanidar im Zagrosgebirges. Dort fanden zwischen 1953 und 1960 Ausgrabungen statt, wobei neun Neandertalerindividuen entdeckt wurden (Shanidar I bis IX). Ihr Alter wird mit 45.000 bis 50.000 Jahren angegeben. Die Überreste von drei jungen männlichen Neandertalern waren besonders gut erhalten. Später wurde noch ein weiteres Skelett ausgegraben (Shanidar X). Man nimmt an, dass es sich um einen Begräbnisplatz handelt. Die Skelette zeigen Anzeichen von Fürsorge gegenüber Älteren, Kranken und Verletzten, möglicherweise auch den Einsatz von Heilpflanzen. Der Mann mit der Bezeichnung Shanidar II wurde anscheinend von einem herabstürzenden Felsen erschlagen. Auf seinem Grab wurde ein kleiner Haufen aus Steinen gefunden, was ein Hinweis auf ein Beisetzungsritual sein könnte. Auch fanden sich Spuren eines großen Feuers. Der 30–45 Jahre alte Shanidar IV lag auf der linken Seite in fötusartiger Haltung; er wurde anscheinend mit Blumen oder zumindest Blüten bedeckt. Gefunden wurden Pollen von: Gemeine Schafgarbe, Kornblume, Sonnenwend-Flockenblume, Greiskräuter, Traubenhyazinthen, Meerträubel und Stockrosen.8c Allerdings könnten die Blüten auch von Persischen Rennmäusen (Meriones persicus) in die Höhle gebracht worden sein.
Die wichtigste Fundstätte des Mittelpaläolithikums in der Türkei ist die Karain-Höhle. Die Straten F bis I werden dem Moustérien zugeordnet. Die Levalloistechnik herrschte vor. In Schicht F fand man menschliche Überreste, wahrscheinlich von Neandertalern. Demnach erreichten sie vor 250 bis 200.000 Jahren Anatolien, während sie erst vor 123 bis 120.000 Jahren die Levante bewohnten. Zugleich unterstützt dieser Zeitpunkt die Annahme, dass die Neandertaler vor den sich ausbreitenden Gletschern bzw. den Tundrenlandschaften auswichen.
Für die Zeit zwischen 40.000 und 26.000 v. Chr. existieren verhältnismäßig zahlreiche Funde zwischen der Marmara-Region und der Provinz Hatay,8e doch besteht danach eine Lücke von sechs Jahrtausenden. Dementsprechend fehlt die Gravettien-Industrie vollständig.9 In der Üçağızlı-Höhle (Üçağızlı I) (Hatay) fanden sich Knochen-Artefakte und Muschelperlen, die dem frühen Jungpaläolithikum und damit nicht mehr dem Neandertaler zugeordnet wurden, sondern Homo sapiens.8g Die etwa 40.000 Jahre alten durchbohrten Muscheln weisen Spuren von Bändern auf, so dass sie wohl als Ketten zu tragen waren. Sie gelten als die ältesten Schmuckstücke des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens), die außerhalb Afrikas geborgen wurden. Die Höhle gilt als archäologisches Bindeglied zwischen Fundorten in der Levante und Fundorten in Rumänien (Peștera cu Oase), Bulgarien (Bacho Kiro) sowie Tschechien (Bohunice) und ist daher für Rekonstruktion der Ausbreitung des Menschen aus Afrika nach Europa von größter Bedeutung.8j Um die erste Phase der Ausbreitung des Homo sapiens von der Levante nach Europa abzugrenzen spricht man seit einiger Zeit vom Initial Upper Palaeolithic.8k Es scheint einen kulturellen Zusammenhang, möglicherweise einen Migrationszusammenhang, in dem Raum zwischen dem beginnenden Jungpaläolithikum und dem Bohunicien, das nach einem Stadtteil der tschechischen Stadt Brünn (Brno) benannt ist, zu geben. Möglicherweise fand eine erste, nicht immer erfolgreiche Wanderung nach Norden und Nordosten, also nach Zentralasien statt. Westeuropa erreichte diese ersste Wanderungswelle, folgt man den Datierungen zum Bohunicien, um 48.200 ± 1.900 Jahre BP, ähnlich wie im zentralasiatischen Altai, wo die Datierungen um 47.000 BP liegen. Außerdem wurde der Oberschenkelknochen von Ust-Ischim (im russischen Omsk) auf 45.000 Jahre BP datiert.
Während der größten Vereisung um 28.000 bis 20.000 v. Chr. lag der mediterrane Meeresspiegel um 100 bis 130 m tiefer als heute. Die Gletscher im Taurusgebirge und im Pontischen Gebirge bedeckten die Gebirgszüge jenseits einer Höhe von 1700 m.8n Der nachfolgende Anstieg war durch das Abschmelzen der Eismassen bedingt, das sich über Jahrtausende hinzog. Doch war dieser Prozess nicht linear. Daher ist die Rekonstruktion vergangener Küstenverläufe eine komplexe Aufgabe, wobei, im Gegensatz zu anderen Regionen, die Landhebungen und -senkungen eher gering waren. Die starken Schwankungen des Meeresspiegels verursachten vor allem in den küstennahen Ebenen Zerstörungen der archäologischen Artefakte. Dies gilt etwa für Kilikien und den Raum Antalya. In der Ägäis waren die heute griechischen Inseln vielfach Teil des Festlands, als der Meeresspiegel anstieg reichten die Überschwemmungen bis zu 70 km landeinwärts. Wesentlich komplizierter ist der Verlauf im Schwarzen Meer, dessen Verbindung zum Mittelmeer nicht durchgängig bestand. Zuletzt kam es im Jüngeren Dryas zwischen 10.730 und 9.700/9600 v. Chr zu einer starken globalen Abkühlung. Diese riss wiederum scharf ab und mündete binnen weniger Jahre in eine Warmzeit.9a
Seit einigen Jahren wird an einem tephrostratigraphischen Rahmen zur zeitlichen Erfassung der archäologischen Funde Anatoliens gearbeitet.10 Er ermöglicht zunehmend deren zeitliche Einordnung anhand datierter vulkanischer Niederschläge.
Deutlich unterscheiden sich die paläolithisch-mesolithischen Funde am Schwarzen Meer von denjenigen im Bereich des Mittelmeers. Daher spricht man von einer mediterranen und einer pontischen Tradition. Dünenplätze auf beiden Seiten des Bosporus, unweit des Schwarzen Meeres, gehören der mesolithischen Ağaçlı-Gruppe an, die eher dem Gravettien nahesteht. Dieser Gruppe war das sogenannte pressure flaking offenbar nicht bekannt.
Lange Zeit ließen sich nur zwei Fundstätten in Anatolien möglicherweise dem Epipaläolithikum zuweisen, dem unmittelbar der Sesshaftwerdung und der Land- bzw. Weidewirtschaft vorangehenden Zeitalter.11 Die Fundstätte Pınarbaşı12, ein Abri rund 25 km südöstlich von Çatalhöyük in der Provinz Karaman gelegen, weist jedoch ein Lager von Hirten und Jägern auf, die sich im 7. Jahrtausend v. Chr. hier aufhielten. Darunter fanden sich Spuren, die mindestens in das 9. Jahrtausend datiert werden konnten. Die Jäger errichteten leichte Schutzwände aus Reet, das sie im nahegelegenen See fanden. Das von ihnen benutzte Obsidian stammte zu 90 % aus Kappadokien. Vor allem Mikrolithen wurden genutzt, Steinwerkzeuge wurden offenbar mitgebracht. Zeitweilig könnte das Abri als Siedlung gedient haben, denn es fanden sich Begräbnisplätze. Dort häuften sich Muscheln aus dem Mittelmeer.13
In der Direkli-Höhle in der Provinz Kahramanmaraş, in der zentralen Taurusregion fanden sich jüngst Belege dafür, dass Wildziegen (Capra aegagrus) in einer Höhle gefangen wurden. Dies geschah in der Hauptsache während der Jagdsaison vom Spätsommer bis in den Herbst. Gleichzeit jagte man opportunistisch auch nach Kleintieren, wie Schildkröten, aber auch nach Hirschen.13a
Kennzeichnend für das Epipaläolithikum sind die Mikrolithenindustrien, die in einigen Regionen Anatoliens auch danach noch fortbestanden. Zudem kam es erstmals zu einer erkennbaren kulturellen Differenzierung nach den verschiedenen Regionen. Die wichtigste Überlebensstrategie bestand in der Mobilität und der Nutzung oftmals weit voneinander entfernter Ressourcen. An einigen günstigen Stellen kam es jedoch zu wiederholten längeren Aufenthalten in Abhängigkeit von jahreszeitlichen Zyklen. Die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften wurden jedoch lange zugunsten der Erforschung der frühesten Landwirtschaft, der Domestizierung von Haustieren und Pflanzen, aber auch der Entstehung früher urbaner Siedlungstypen vernachlässigt. Eine anhand der Funde erkennbare Abgrenzung zum Mesolithikum gibt es nicht.
Wie überall in der Türkei wurden zwar wilde Pflanzen gesammelt, wie Pistazien, die Früchte des Zürgelbaums, Rosinen, Birnen, Mandeln und möglicherweise bereits Oliven, deren Spuren sich in Höhlen wie Beldibi, Karain B (nicht zu verwechseln mit der Karain-Höhle) oder Öküzini westlich und nördlich von Antalya fanden. Doch fanden sich an der wichtigsten Fundstätte, der Öküzini-Höhle14, deren älteste Funde der von 23.000 bis 15.000 v. Chr. datierten Kebaran-Kultur zugerechnet werden, und die am Fuß des 1715 m hohen Geyik sivirsi liegt, keinerlei Spuren von Getreide.15 Die Höhle bietet vor allem Überreste aus der Zeit zwischen etwa 20.000 und 7500 v. Chr.16
Vor allem im Bereich des Schwarzen Meeres dürften viele Artefakte zerstört worden sein, denn einige Forschungen deuten darauf hin, dass das Meer bis etwa 6000 v. Chr. ein Binnensee war, der nach dem Wasseranstieg der Weltmeere über die Dardanellen und den Bosporus aufgefüllt wurde. Die Beurteilung der geologischen Forschungsergebnisse ist allerdings noch umstritten.17 Die ältesten Funde von Meerwasserbewohnern im Schwarzen Meer konnten auf die Zeit um 5500 v. Chr. datiert werden. Lange Zeit waren daher im Süden Thrakiens nur drei Stätten aus der Zeit zwischen 8000 und 6000 BP bekannt, nämlich Hoca Çeşme (ab 6400 v. Chr.), Hamaylitarla und Kaynarca, dazu Hacıhüseyin, Karaagaçtepe und Ugurlu. Doch 2011 wurden Funde, etwa bei Üçdutlar bekannt, die bis ins Paläolithikum zurückweisen, auf der Gallipoli-Halbinsel fand sich eine 2,5 ha große, vorneolithische Siedlung, zudem bestehen Untersuchungen zu Menhiren.17e
2008 fand man im ehemaligen Hafen des Istanbuler Stadtteils Yenikapı in mehr als 6 m Tiefe Fundamente von Häusern, die teils rund, teils rechteckig waren. Sie wurden von Jägern und Fischern bewohnt. Es fanden sich keinerlei Anzeichen von Ackerbau. Vier Gräber konnten von dem Archäologen Mehmet Özdoğan auf die Zeit zwischen 6400 und 6200 v. Chr. datiert werden.
Dank intensiver Forschung an der Frage der Umwandlung von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften in Gesellschaften, die ihre Lebensmittel selbst produzierten, lässt sich ab dem 10. Jahrtausend ein klareres Bild zeichnen. Um 11000 v. Chr. begann die neolithische Revolution, für die Ackerbau, Viehhaltung und dörfliche Lebensform bis hin zur Urbanisierung kennzeichnend sind. Etwa aus dieser Zeit stammen die bisher ältesten Spuren domestizierten Getreides, genauer von Roggen, in Tell Abu Hureyra am syrischen Euphrat17h. Dieser Übergang zu einer sesshaften, landbebauenden Lebensweise wurde sowohl von den historischen Wissenschaften im weitesten Sinne, als auch von Biologen intensiv untersucht. Anatolien spielte dabei, sieht man einmal von den an den Fruchtbaren Halbmond angrenzenden Gebieten ab, weder als Ursprungsort der neolithischen Revolution, noch als Beginn der Nahrungsmittelproduktion in der europäischen Geschichte eine Rolle.18 Die Frage, ob dieses Gebiet eine Sperre für die Verbreitung des neuen Lebensstils war, oder eher eine Brücke, stand hier im Vordergrund. Dabei glaubte man lange, diese Revolution habe in Südosteuropa erst um 3400 bis 3200 v. Chr. begonnen. Vere Gordon Childe stellte 1957 fest, dass es keine alte Route vom Orient nach Europa gegeben habe.19 Erst die Radiokohlenstoffdatierung führte dazu, dass die neolithischen Funde um 2000 bis 3000 Jahre zurückdatiert werden mussten. Nun entstanden neue Deutungen. So wurde der Balkan zu einem autochthonen Entstehungsgebiet unabhängig vom Nahen Osten, wenn auch einige Forscher Anatolien als Bindeglied betrachteten. Vor allem die Funde von Hacılar und Çatalhöyük rückten Anatolien wieder stärker in den Mittelpunkt (James Mellaart (1975), Fritz Schachermeyr (1976), David French (1986)), ohne jedoch die Komplexität der Neolithisierung zu erkennen. Hinzu kam, dass die türkische Archäologie sich eher auf Mesopotamien konzentrierte, es wenig Kontakte zur Balkanarchäologie gab, deren Wissenschaftler zudem sehr lokal arbeiteten.
Seit einiger Zeit ist die Kernregion der frühesten Neolithisierung, der Fruchtbare Halbmond, um den Südosten Zentralanatoliens erweitert worden, möglicherweise auch um Zypern.20 Dabei sind die Grenzen nach Westen und Norden21 noch unklar. In jedem Falle verharrte das Neolithikum lange Zeit in dieser Kernregion, ohne zu expandieren. Nach der Ausdehnung Richtung Westanatolien, in den ägäischen Raum, Thrakien und Bulgarien sowie Nordgriechenland, entstand hier eine neue Kernzone. Westanatolien erhielt die Rolle einer Kontaktzone. In den Jahren zwischen 1992 und 2012 wurden 26 neue Stätten in der westlichen Türkei ausgegraben, die es gestatten, die Westexpansion auf die Zeit zwischen 7400 und 7100 v. Chr. zu datieren, möglicherweise sogar ein wenig früher. Dabei wird der Seeweg für einige kulturelle Übertragungen in die Ägäis, wie etwa Impresso-Keramik, die im Hinterland unbekannt war, durch Ausgrabungen in Ege Gübre in İzmir wahrscheinlich gemacht, ebenso wie durch neolithische Funde auf Zypern und Kreta22. Ähnliches gilt für Hoca Çeşme (7637 BP, bzw. um 6400 v. Chr.) an der Westküste, das für das Hinterland typische Keramik barg, aber Rundbauten, wie sie dort nicht zu finden sind. Man kann also von einer küstennahen Seefahrtsroute ausgehen, die die Levante mit dem Balkan verband. Dabei entwickelte sich das sogenannte „neolithische Paket“, eine Gruppe von Kennzeichen, also Gütern und Tieren die mitgeführt wurden. Diese bestanden nicht nur in der Domestizierung von Tieren, sondern auch in einer durch genetische Untersuchungen gesicherten Mitnahme von Haustieren aus dem Nahen Osten. Die mitgeführten Tierrassen stammten ebenso aus dem Ursprungsgebiet, wie die mitgeführten Pflanzenarten, vor allem Getreidesorten. Hinzu kamen bestimmte Arten der Gefäßkeramik.
Eine erste Phase der Expansion Richtung Balkan ließ sich zunächst um 6500 bis 6400 v. Chr. fassen, dank jüngerer Funde in Ulucak Höyük seit 2010 ließ sich die Ankunft der ersten Neolithiker auf die Zeit vor 7040 v. Chr. datieren.22b Soziale Umwälzungen und eine Klimaveränderung mögen die Auslöser gewesen sein, doch neigt man heute dazu, nicht eine einzige Auswanderungswelle anzunehmen, sondern ein Hin und Her zwischen den Kulturzentren, die sich noch über ein Jahrtausend wechselseitig inspirierten. Allerdings weist dabei der Nordwesten Anzeichen einer peripheren Situation auf. Dies schlägt sich etwa in sehr viel kleineren Siedlungen nieder. Derzeit lassen sich drei Wellen erkennen, die sich von dort Richtung Balkan bewegten, nämlich eine wenig umfangreiche, die das pressure flaking auf den Balkan brachte, dann eine zweite um 6400, die auch das Neolithikum in die Marmararegion brachte, jedoch ohne erkennbare Interaktionen zwischen den Nachbarkulturen am Marmarameer und im Südosten des Balkans, schließlich eine dritte Wele um 5800 v. Chr. mit bemalter Keramik, Figurinen usw. Dabei stießen die Siedler anscheinend in extrem dünn besiedelte oder gar menschenleere Gebiete vor. Eine Ausnahme stellt die Ağaçlı-Gruppe am Bosporus und am Marmarameer dar, eine mesolithische Fischerkultur, bei der sich ein Austausch mit den Neuankömmlingen belegen lässt. Dies gilt insbesondere für die Funde im Istanbuler Stadtteil Yenikapı, die auf eine friedliche Koexistenz mit der Übernahme zahlreicher Kulturelemente hinweisen, wie etwa den Rundhütten oder der Verbrennung der Toten.
Dabei fällt bei den frühen Wanderung aus dem Osten auf, dass die praktischen Dinge, ebenso wie Vieh mitgeführt wurden, kultische und zeremonielle sowie Prestigeobjekte hingegen nicht. Es könnte sich also um eine Abspaltung ohne die Eliten oder Priester gehandelt haben. Eine der wichtigsten Kulturen, die sich diesem Vorgang zuordnen lassen, ist die Kultur von Fikirtepe (6450 bis 6100 cal v. Chr.), die in mehr als 25 Fundstätten nachgewiesen ist. Dabei weisen die Fundorte des Hinterlands, wie Ilıpınar oder Menteşe Höyük, rechteckige Häuser auf, wie sie für Zentralanatolien typisch waren, während die küstennahen Häuser rund oder oval waren. Dies gilt etwa für Fikirtepe, Pendik, İstanbul Yenikapı oder Aktopraklık22d. Während im Hinterland Grabstätten außerhalb der Mauern lagen, fanden sie sich an der Küste unter den Hütten. Totenverbrennung auf Hügeln, wie in Yenikapı, war im Hinterland völlig unbekannt, wo die Toten flektiert begraben wurden. Möglicherweise handelte es sich im Hinterland um eine Westbewegung, während es an der Küste zur Vermischung mit dort vorhandenen Lebensformen kam, unter Zuwanderung über See. Im Hinterland lebte man demnach bäuerlich, an der Küste kam zur Bodenbearbeitung das Fischen hinzu.
Diese mesolithische, küstennahe Kultur wird als Ağaçlı-Gruppe bezeichnet, nach dem gleichnamigen Fundort. Allerdings beruht dieser Zusammenhang nur auf der Tatsache, dass dort runde Häuser gebräuchlich waren, während in Zentralanatolien rechteckige üblich waren. Möglicherweise hing die Entscheidung für eine mesolithische, auf Jagd, Fischfang und Sammeln basierende Lebensweise weniger von Wanderungen ab, als vom Nahrungsmittelangebot der Region, mithin von der ökologischen Situation. Derzeit (2013) fehlen noch entscheidende Untersuchungen zur Tierhaltung in den Dörfern um den Bosporus, nur Menteşe Höyük bildet hier eine Ausnahme. Dort, wie an den bosporusnahen Orten dominieren Rind, Schaf und Ziege. Hingegen bestanden bis ins 6. Jahrtausend die Herden im südlichen Zentralanatolien nur aus Schafen und Ziegen, im Seengebiet kamen Schweine und Rinder spätestens 6800 v. Chr. hinzu, ähnlich wie im zentralen Westanatolien um 6900 v. Chr. die vier Haustierarten genutzt wurden. Als das keramische Neolithikum um den Bosporus einsetzte, fehlten hier jedoch domestizierte Schweine. Daher wird angenommen, dass die später auftauchenden Hausschweine nicht aus dem westlichen Anatolien stammten, wo Schweine in den Jahrhunderten um 6000 v. Chr. womöglich als Haustiere auf Ablehnung stießen; hingegen waren sie weiter im Westen bereits 500 Jahre zuvor verbreitet. Sie erreichten von dort aus Europa. Insgesamt ergänzten die küstennahen Dörfer, die vielleicht nicht ganzjährig bewohnt waren, ihre Nahrung durch die Jagd auf Meerestiere, vor allem aber auf Süßwasserfische. Diese Tatsache genügt jedoch nicht, um hier mesolithische Einflüsse anzunehmen.22j
Die nächste, relativ schnelle Ausbreitungswelle der neolithischen Produktionsweise erreichte den gesamten Balkan. Hauptfundorte sind Fikirtepe, Pendik, Ihpinar (bei Iznik, 5200 bis 4800 v. Chr.) und Menteşe.22n Die spätneolithische Keramik von Fikirtepe fand weite Verbreitung, westwärts bis nach Thessalien.22o 2008 entdeckte man in 6 m Tiefe beim Bau des Schnellzugsystems Marmaray im ehemaligen Hafen von Yenikapı steinerne Hausfundamente. Die Ausgräber fanden vier Gräber mit Skeletten und Opfergaben, die auf die Zeit zwischen 6400 und 6200 v. Chr. datiert werden konnten. Die ältesten Spuren im Gebiet der Istanbuler Kernstadt stammten bis zum Jahr 2008 aus der späten Kupferzeit, (als Gräber aus der Zeit zwischen 6400 und 6200 v. Chr. entdeckt wurden) also aus der Zeit zwischen 4500 und 3500 v. Chr. In Çarşıkapı fand man das wohl älteste Gefäß, das in der Stadt hergestellt wurde; es stammte aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.22p Wahrscheinlich besaßen die Thraker hier eine Siedlung namens Lygos (Plin. nat. 4,18), die von griechischen Kolonisten übernommen wurde. Eine Weinkanne aus dem frühen 6. Jahrhundert steht vielleicht schon in Zusammenhang mit der griechischen Siedlung aus dem 7. Jahrhundert. Schon beim Bau der Eisenbahn 1871 sowie 1925 wurden Überreste von Lygos entdeckt.
Ausgrabungen in Tepecik-Çiftlik und Köşk Höyük im Osten Zentralanatoliens weisen darauf hin, dass die sich weit ausbreitenden Arten der Keramikbearbeitung, bestimmte Arten der Figurinen, tier- oder menschenförmige Gefäße usw. aus dieser Region stammen. Die neuen Siedler bevorzugten Flusstäler und gut bewässerte Ebenen und mieden Hügel und Plateaus. Zwischen Zentralanatolien und der Ägäisküste lassen sich mehr als 100 Stätten dieser Phase zuordnen. Hingegen blieb die östliche Marmararegion davon unberührt. Dort folgte der Fikirtepe-Kultur die Kultur von Yarımburgaz 4. Dort erscheint die Furchenstich-Technik und andere unterscheidende Merkmale. Die zweite Welle der westwärts Ziehenden scheint dabei nicht den Bosporus überquert zu haben, sondern sie umrundete die Kulturen von Yarımburgaz 4 und 3 und damit das Gebiet um Istanbul, das dieser Kultur angehörte, rund um das Marmarameer weiter westwärts.
2013 waren in Anatolien 54 neolithische Grabungsstätten bekannt. Hingegen liegen im Nahen Osten über 400, und über 300 auf dem Balkan. 1999 lag die Zahl der türkischen, jungsteinzeitlichen Stätten noch bei 22, 2007 bei 34, 2011-13 stieg ihre Zahl auf 47. Unter den jüngeren, besonders gut erhaltenen Fundstätten waren Aktopraklık, Ulucak und Yeni Kapı in Istanbul. Im Osten war Göbekli Tepe von großer Bedeutung. Ähnliche t-förmige Säulen tauchten inzwischen um Urfa auch in Karahan Tepe22q und Yeni Mahalle, sowie Kilisik Tepe22s im Südwesten22q auf.22y
Die ältesten gesicherten neolithischen Siedlungen Südostanatoliens fanden sich am Batman, einem Zufluss des oberen Tigris. Von ihnen ist wiederum Hallan Çemi die älteste, sie wurde auf die letzten Jahrhunderte des 11. Jahrtausends BP datiert.23 Nur wenig jünger ist Demirköy, etwa 40 km flussabwärts. Es wird dem ersten Jahrhundert des 10. Jahrtausends BP zugeschrieben. Weitere 20 km flussabwärts befindet sich Körtik, bereits nahe am Zusammenfluss von Batman und Tigris. Wahrscheinlich wurden die drei Siedlungen von ein und derselben Gruppe nacheinander bewohnt. Aus der gleichen, nichtkeramischen Phase des Neolithikums stammen zwei Siedlungen im Euphratgebiet, doch führten dortige Testgrabungen zu keinerlei Funden von Architektur. Die Fundgruppen gehen auf die Zarzien-Kultur zurück, die für die Zeit zwischen 18000 und 8000 v. Chr. angesetzt wird, und bei der es sich um eine hochentwickelte Jäger-und-Sammler-Kultur handelte. Dabei hatten die neolithischen Siedlungen enge Beziehungen zu Stätten im Irak, vor allem solchen um Mossul.
Nur in Hallan Çemi und Demirköy fanden sich Spuren elliptischer Strukturen aus Stein, Flechtwerk und Bewurf (letzteres zumindest in Hallan Çemi). Es fanden sich zwei größere bauliche Strukturen, bei dem über dem Eingang eines der beiden Gebäude der Schädel eines Auerochsen hing.24 Auch wiesen die Gebäude Materialien aus weit entfernten Gebieten auf, wie vier kleine Kupfererzklumpen, Obsidian aus der Gegend um Bingöl und Van, das wohl im „Auerochsenschädelhaus“ bearbeitet wurde. In Hallan Çemi fand sich zudem ein größerer Platz, der umgeben von feuergesprengten Steinen und Tierknochen war. Schließlich fanden sich zoomorphe Steingefäße, etwa in Form eines Ziegenkopfes, aber auch abstrakte Motive, wie Schlangenmuster oder „Zielscheiben“. Die häufigsten naturalistischen Motive waren Skorpione und Schlangen. Diese Steingefäße könnten mit dem „Festplatz“ in Beziehung stehen; in ihnen wurden anscheinend Speisen bereitet. In Körtik fanden sich als steinerne Fetische gedeutete Scheiben, auf denen Bienen erkennbar sind. Das „Zielscheibenmotiv“ taucht nur im Zusammenhang mit diesen Fetischen auf. Die Bienen werden als mythische Figur gedeutet.
Im Gegensatz zu den späteren, neolithischen Stätten, wurden in diesen proto-neolithischen Siedlungen am Batman die Toten außerhalb, etwa in Höhlen beigesetzt. In Demirköy fanden die Toten hingegen ihre letzte Ruhestätte bereits innerhalb des Ortes, allerdings noch ohne Beigaben. Diese tauchen erst in Körtik auf, etwa Steingefäße und -perlen. In Demirköy fanden sich zwei beigesetzte Hunde. Dort fanden sich auch erstmals gebrannte Ziegel. In Körtik Tepe ließ sich durch Untersuchung der Schnittmarken an den Knochen von zehn Individuen belegen, dass diese Schnitte an frischen Leichnamen durchgeführt wurden, während die Skelettbefunde und die Bestattungspraktiken erweisen, dass die die Toten während des Verwesungsprozesses Manipulationen unterworfen waren, die eher als post-funerale Behandlung denn als Sekundärbestattung verstanden werden können. Die Schädel wurden mit Lehm und Farbe als Teil der Bestattungssitten überzogen. Dabei wurde die Entfleischung als Versuch der Reinigung des Leichnams und der Trennung von Leben und Tod gewertet.24f
Zumindest für Hallan Çemi lassen sich erste Versuche der Tierhaltung, genauer gesagt von Schweinen zeigen, die in Demirköy durch Ziegen ersetzt wurden. Wildes Getreide wurde anscheinend nicht geerntet, eher waren dies Nüsse, Hülsenfrüchte oder die Samen der Gewöhnlichen Strandsimse. Es wurde also noch mit verschiedenen Ressourcen experimentiert, Versuche, die noch stark von lokalen Anpassungen abhingen, und der Vorstellung zuwiderlaufen, es habe sich um einen kontinuierlichen Domestizierungsprozess gehandelt.25
Etwa 125 Flusskilometer oberhalb der Batman-Siedlungen, befindet sich Çayönü. Dort lässt sich die Entwicklung von den Rundbauten einer frühen Ackerbauersiedlung aus dem 10. Jahrtausend zu einer großen Siedlung mit rechteckiger, dann differenzierter Bebauung im 9. bis zum Anfang des 7. Jahrtausends belegen. Es entwickelte sich zunächst ähnlich wie die weiter abwärts gelegenen Siedlungen, doch um 9500 bis 9200 BP veränderte sich die lokale Kultur in eine andere Richtung.
Erst mit Göbekli Tepe verdichten sich die Funde zu einem genaueren Bild. Dort entstand um 10500 v. Chr. ein Bergheiligtum, das wohl die älteste bekannte Tempelanlage darstellt. Das kurvilineare Gebäude entstand auf zuvor unbebautem Grund. Der Bau der Anlage B von Schicht III erforderte eine komplexe Organisation. Dabei waren bis zu 500 Menschen erforderlich, um die 10 bis 20 Tonnen, im Extremfall sogar 50 Tonnen schweren Pfeiler in den Steinbrüchen der Umgebung zu brechen und 100 bis 500 m weit zu transportieren. Diese monumentalen, t-förmigen Pfeiler weisen Reliefe in Tier- und Menschengestalt auf. Die Toten wurden in diesem Beinhaus beigesetzt, sie erhielten aber keine Steingefäße, wie in Körtik.
Für die Ernährung wurde Wildgetreide vielleicht schon gezielt angebaut. Es fanden sich bisher keine Wohngebäude, wohl aber „Sondergebäude“, die wahrscheinlich rituellen Zusammenkünften dienten. Anfang des 8. Jahrtausends verlor die Siedlung ihre Bedeutung, doch geriet sie nicht einfach in Vergessenheit sondern wurde aus unbekannten Gründen mit 300–500 m³ Erde bedeckt.
Im Euphratgebiet fanden sich mehrere Siedlungen, darunter Cafer, das zwischen den letzten Jahrhunderten des 10. Jahrtausends BP und etwa 8000 BP bestand.26 Von ähnlicher Bedeutung ist das gleichfalls vorkeramische, zugleich bereits neolithische Nevalı Çori, dessen ältester Fund ins 10. Jahrtausend datiert, ebenso wie Funde aus Çayönü im Tauros, zu denen auch Großplastiken gehören.
Der Umgang mit Ton führte nicht mehr nur zur Herstellung von Figurinen, wie in Demirköy, sondern auch zu Gefäßen, die bald in großen Mengen hergestellt wurden. Früh entstanden rohe Tonimitate steinerner Gefäße. Ob dies auf einen Wechsel in der Geschlechtertätigkeit oder geringere Ansprüche an die Dauerhaftigkeit zurückzuführen ist, bleibt unklar. Fünf Grabungsstätten dieses keramischen Neolithikums finden sich im Südosten Anatoliens: Çayönü, Sumaki (am nächsten Nebenfluss des Tigris flussabwärts, dem Garzan) und Salat Cami Yanı im Tigrisgebiet, Mezraa-Teleilat und Akarçay im Euphratgebiet. Im Tigrisgebiet lässt sich nur in Çayönü Kontinuität von der vorgehenden Phase nachweisen, wobei in der jüngeren Phase die Gebäude aus Flechtwerk und Bewurf von steinernen Häusern abgelöst wurden. Diese Siedlungskontinuität lässt sich auch für Mezraa-Teleilat zeigen. Insgesamt ist die Keramikphase des Neolithikums von kleineren Siedlungen geprägt, als die vorgehende, präkeramische Phase, in der in einigen Siedlungen Monumentalbauten entstanden. Erst in der nachfolgenden Halaf-Periode tauchten wieder große Siedlungen auf.
Obwohl sich auf dem Gebiet der Türkei überaus wichtige Beiträge zur neolithischen Geschichte fanden, so basieren unsere Kenntnisse dieser Epoche auf dem zentralanatolischen Plateau dennoch nur auf elf Grabungsstätten, von denen sechs im Jahr 2011 gerade erst von Archäologen ergraben wurden.27
Das früheste Neolithikum Anatoliens (Präkeramisches Neolithikum A) kennt noch keine (oder sehr wenig) Keramik, aber schon feste Siedlungen mit Rundhäusern aus Stein (Nevali Cori, Göbekli Tepe). Im folgenden Präkeramischen Neolithikum B kamen rechteckige Häuser in Gebrauch. Aşıklı Höyük, Cafer Höyük und Cayönü sind Siedlungen aus dieser Zeit. Ton wurde zu Statuetten verarbeitet und teilweise auch gebrannt, man fertigte aber noch keine Gefäße aus diesem Material. Aşıklı Höyük wies dabei eine Fläche von 40.000 m² auf, die Schätzungen für die Einwohnerzahl variieren zwischen 1500 und 3000.27d
Einige Fundorte belegen den schrittweisen Übergang zur für das Neolithikum typischen Lebensweise. Pınarbaşı ist der älteste anatolische Fundort, an dem sich zwischen 8500 und 8000 v. Chr. Sesshaftigkeit und eine über lange Zeiträume bewohnte Siedlung nachweisen lassen.28 Die zur Hälfte unter der Erdoberfläche liegenden Häuser wiesen oberirdisch Flechtwerk und Lehmbewurf auf. Die Böden waren verputzt, einige waren wahrscheinlich mit rotem Ocker verziert. Es existierten Gruben, Herde und Bänke. Die Siedlung basierte auf der Jagd, vor allem von Auerochsen und Einhufern, aber auch auf Fischfang und dem Sammeln wilder Pflanzen, wie Pistazien und Mandeln. Obsidian und Feuerstein wurden von weit hergeholt und vor Ort bearbeitet.
20 km von Pınarbaşı entfernt und 9 km südlich des ein Jahrtausend jüngeren Çatalhöyük liegt die Fundstätte Boncuklu (die zum Dorf Boncuklu Höyük gehört), die auch kulturell zwischen den beiden Stätten liegt. Sie ist die älteste frühneolithische Stätte außerhalb des Fruchtbaren Halbmonds und stellt damit womöglich einen ersten Schritt zur Ausweitung der neuen Lebensweise dar. Dort wird seit 2006 gegraben, . Es fanden sich ovale, Lehmziegelhäuser, Hinweise auf Jagd und Anbau, aber auch auf Handel, dazu farbige Malereien, die bereits Ähnlichkeit mit denen in Çatalhöyük aufweisen. Auch hier fanden sich Obsidian aus Kappadokien – vor allem aus Nenezi und Kayırlı, zweien der Hauptlagerstätten – und mittelmeerische Muscheln wie in Pınarbaşı. In eine Mauer waren zwei Schädel von Auerochsen eingebaut worden, wie man es aus Çatalhöyük kennt. Die dorfartige Siedlung war von Jägern und Sammlern bewohnt, die in geringem Umfang Getreide anbauten und es mit den Nachbarn tauschten. Knochenuntersuchungen legen nahe, dass die Männer möglicherweise das Land erbten, was sich an den Spuren relativ einheitlicher Ernährung im Dorf erkennen lässt, während die Frauen zur Siedlung hinzukamen, was wiederum Spuren einer etwas anders zusammengesetzten Ernährung in den Knochen hinterließ.28c
Ebenfalls ins 9. Jahrtausend v. Chr. gehört Aşık Höyük in Kappadokien. Zwischen 8400 und 7400 v. Chr. bis 6500 v. Chr. bestand hier eine ganzjährig bewohnte, langlebige Siedlung am Melendiz, in dessen Tal eine reichhaltige Vegetation bestand, im Gegensatz zum umgebenden Plateau. Ovale und rechteckige Häuser herrschten zunächst vor, später nur noch rechteckige. Nach der endgültigen Sesshaftwerdung tauchten Gebäude auf, die offenbar besondere Funktionen übernahmen. Die in Gruppen beisammen stehenden Wohnhäuser im Norden des Hügels, die zwei bis drei Räume aufwiesen und einander recht ähnlich sahen, bestanden aus Lehmziegeln, Lehmplatten und Mörtel. Sie hatten Verbindungstüren, jedoch keine Außentüren, so dass angenommen wird, dass sie mit Holzleitern über die Flachdächer betreten wurden. Neue Gebäude wurden auf die alten gebaut, deren Überreste wieder verwertet wurden. Dabei ergaben sich insgesamt zehn Bauphasen. Zwischen den Hausgruppen bestanden Werkplätze; sie bestanden ebenso über Jahrhunderte, wie die Abfallplätze. Die Häuser südlich der vier Meter breiten Straße, die die beiden Teile der Siedlung trennte, bestanden aus anderen Materialien, wiesen Malereien auf, dazu von senkrecht stehenden Lehmplatten begleitete Zuwege und waren oftmals erheblich größer. So weist eines der Gebäude eine Grundfläche von 5 m mal 5,6 m auf, ein anderes Gebäude hatte an der Nordseite eine Steinwand, die einen Meter großen Lehmplatten dienten als Fußbodenbelag, auch bestand ein großer gemeinsam genutzter Ofen. Über diese Neuerungen hinaus tauchten zum ersten Mal kultivierte Pflanzen auf, wie Einkorn, Emmer und Gerste, Weizen und Hartweizen, auch wenn die Jagd und das Sammeln von Wildpflanzen fortbestanden. Zudem ernährte sich die Bevölkerung zunehmend von Schafen; frühe Domestizierung ließ sich zumindest anhand der zahlenmäßigen Verteilung von Alter und Geschlecht der Tiere wahrscheinlich machen. Die Begräbnisstätten fanden sich innerhalb der Häuser unter den Fußböden.29
Auf der gegenüberliegenden Seite des Melendiz fand sich Musular, das auf 7500 bis 6500 v. Chr. datiert wurde. Es wurde vermutlich von den Bewohnern Aşıks erbaut. Dort wurden offenbar Jagdwaffen wie Pfeilspitzen hergestellt, dazu Klingen. Vor allem aber wurden Tiere geschlachtet und zerlegt, und die Stätte diente möglicherweise rituellen Zwecken. Aufgrund dieser engen Verbindung zu Aşık spricht man auch vom Aşık-Musular-Komplex. Er wurde um 6500 v. Chr. aufgegeben.30
Eine der wichtigsten Obsidianquellen war das 1600 m hoch gelegene Kaletepe am Fuß des 2143 m hohen Göllü Dağ. Die Siedlung ließ sich auf die Zeit zwischen 8200 und 7800 v. Chr. datieren. Dort fanden sich große Mengen an Vorprodukten für die begehrten Obsidianklingen, so dass man von einem weiträumigen Handel ausgeht. Dafür sprechen auch die stark standardisierten Kerne und Blöcke. Weder die Technologie noch die Produkte existierten allerdings auf dem umgebenden Plateau, sondern im Gebiet des Präkeramischen Neolithikum B der Euphrat-Region und auf Zypern. Daher entstanden Mutmaßungen, dass hier weniger anatolische Handwerker lebten, als levantinische.31
Die Siedlungen Can Hasan I, II und III bestanden zwischen etwa 7500 und 6500 v. Chr. auf der Ebene von Konya. Die Hausanlagen waren denen von Aşık ähnlich. Die Siedlungen lagen in einer Steppe, in der es Wälder nur in den Flusstälern gab. Das Spektrum der Nahrungspflanzen scheint sich vergrößert zu haben, Flint wurde wohl hauptsächlich noch bei Erntearbeiten eingesetzt. Ähnlich datiert wurde Suberde am Westrand der Ebene von Konya, doch gibt es hier keine Anzeichen von Domestizierung. Hier tauchen steinerne Fundamente auf, 90 % der Werkzeuge bestanden aus Obsidian, der Rest aus Feuerstein. Keramikfragmente deuten auf Versuche mit Ton hin, Figurinen wurden schon länger aus diesem Material hergestellt. Die Siedlung wurde aufgegeben, als der Wasserspiegel des Suğla-Sees zu stark anstieg.32
Aus Çatalhöyük (7400-6200 v. Chr.), das James Mellaart 1961 bis 1965 und Ian Hodder seit 1993 ausgruben, und einem Tiefschnitt in Mersin sind Beispiele der ältesten neolithischen Keramik (dark burnished ware) bekannt. Çatalhöyük gilt manchen als die älteste Stadt der Welt, sie entstand auf dem Osthügel, zog später auf den Westhügel um. Hodder deutet sie eher als eine Ballung von Dörfern, denn die weite Umgebung war frei von Dorfstrukturen. Dies stand in scharfem Gegensatz zum älteren Göbekli Tepe, das ein rituelles Zentrum darstellte. Domestizierte Schafe und Ziegen lieferten mittlerweile den überwiegenden Teil der tierischen Nahrung, dazu kam weiterhin Jagd und Fischfang, ebenso wie intensive Sammeltätigkeit in einer reichhaltigen Pflanzenwelt. Die Häuser standen dicht aneinander, die dazwischen liegenden Räume wurden, auch wenn sie auf dem Grundriss wie Wege wirkten, für Abfallhaufen genutzt. Es bestanden keine Gebäude mit Sonderfunktionen und nur sehr wenige Straßen oder Durchgänge. Auch hier erfolgte der Hauszugang über Flachdächer und Leitern. Die Häuser hatten meist einen Hauptraum und einige kleine Nebenräume, etwa für Vorräte. Es lassen sich Bänke, Öfen und Herde, Abfallgruben und Pfeiler unterscheiden. Die Stadt unterschied sich deutlich schon durch ihre Größe von den gleichzeitig bestehenden Siedlungen Anatoliens. So umfasste sie die ungewöhnlich große Fläche von über 13 ha, so dass man mit mehreren Tausend Einwohnern rechnen muss. Es fanden sich Malereien, Reliefs, verzierte Rinderhörner, Figurinen und „Geschichtshäuser“ mit zahlreichen Beisetzungen.33 Jüngst fand sich eine Malerei aus der Zeit vor 7000 v. Chr.34 Um 6200 bis 6000 v. Chr. zog die Stadt auf den Westhügel. Möglicherweise war die Stadt einer der frühesten Mittelpunkte eines Herrschaftsgebiets, zu dem Siedlungen der Umgebung gehörten.34a Andere Autoren widersprechen dieser Annahme. Bleda S. Düring fehlen vor allem die Anbindung an ein Umland mit kleineren Siedlungen und die ausgeprägte Binnenorganisation - beides Gesichtspunkte, die sich bisher nicht belegen lassen.34b Von den 1000 bis 1600 Häusern wurde jedes sechste einem höheren Status der Bewohner zugeordnet, die Stadt wies allerdings im Vergleich zu den Megasites Palästinas keine besondere Größe auf, die um 7500 bis 7000 v. Chr. etwa in Jordanien 10 bis 15 ha umfassten. Auch sie waren also recht groß, bargen 1000 bis 3000 Einwohner, lagen aber in einer ausgesprochen siedlungsleeren Landschaft, ähnlich wie Çatalhöyük. Die Formen der Interaktion innerhalb dieser großen Siedlungen ist allerdings noch weitgehend unerforscht. Dies hängt womöglich damit zusammen, dass Archäologen nicht nur an der Erforschung der Entstehung und Entwicklung von gesellschaftlicher Ungleichheit arbeiteten, sondern diese in Stufenmodelle brachten, in denen etwa Familiengruppen, Stämme, Häuptlingschaften und Staaten oder aber egalitäre, Rang- und Schichtengesellschaften und staatsförmige Gesellschaften unterschieden wurden. Daraus wurde geschlussfolgert, dass die zahlreichen rituellen Räume der gesellschaftlichen Sprengkraft entgegengesetzt wurden, dass die Rituale jedoch an einem bestimmten Punkt nicht mehr ausreichten, um die Gesellschaften zusammenzuhalten. Auch wurde zwischen gruppenorientierten Gesellschaften und solchen, die zur Individualisierung neigten unterschieden, so dass komplexe Gesellschaften keineswegs auf Ungleichheit basieren mussten. So orientieren sich viele Untersuchungen an Idealtypen der Gesellschaften und daran, wie man diese erkennt. Daran schloss sich vielfach die Frage nach skalarem Stress, nach dem Druck, der aus der enormen Größenordnung resultierte, der Systemintegration, und ob diese eine soziale Stratifikation erforderte.
Geht man von der archäologischen Überlieferung aus, so lässt sich zunächst der Haushalt herausschälen, in dem ein gemeinsamer Wohnraum geteilt wurde und der ökonomische Funktionen integriert. Diese lassen sich baulich belegen, wie etwa anhand von Nutzungszonen in den Häusern. Diese Häuser hatten, auch wenn sie dicht an dicht standen, eigene Außenwände und bedecken eine Fläche von 10 bis 40 Quadratmetern, im Schnitt sind es 27. Im Hauptraum fanden sich Feuervorrichtungen, also Öfen oder Herde. Dieser Raum war im Schnitt 21, die Nebenräume dagegen nur 5 Quadratmeter groß. Typischerweise fand man im Süden des Hauptraums Öfen, Einstiegsleitern, Vorratsgefäße, dazu eine relativ schmutzige Abteilung, die dem Kochen vorbehalten war und handwerklicher Tätigkeit. Üblich waren zudem erhabene Plattformen und Ruhezonen. Dabei stellte sich heraus, dass die Plattformen im Osten und Nordosten stärker standardisiert waren, so dass man dort die Betten vermutet. Vielleicht wohnten in jedem, relativ autark wirkenden Haus im Schnitt fünf Personen.
Im Gegensatz zu den Wirtschaftsaktivitäten erscheinen rituelle Aktivitäten bei weitem nicht in jedem Haus. Häuser mit offenkundiger ritueller Bedeutung sind etwa mit Malereien, Ornamenten oder - am wenigsten von Zufällen abhängig und zugleich am seltensten - Begräbnissen unter dem Boden ausgestattet. 80 % der Häuser weisen solche Begräbnisse nicht auf. Die übrigen 20 % hatten vielleicht eine größere rituelle Bedeutung, was womöglich auf ihr Alter zurückzuführen ist. Dies gab den Häusern eine größere Nähe zu den Ahnen (history houses). Haus 1 der jüngeren Ausgrabungen barg allein 64 Beisetzungen. Dabei wurde das Durchschnittshaus etwa 60 Jahre genutzt, wodurch sich die Zahl der Verstorbenen hochrechnen lässt. Genetische Untersuchungen belegen, dass die Toten vielfach gar nicht verwandt waren, so dass Bindungen anderer Art dazu führten, dass sie in einem bestimmten Haus beigesetzt wurden. Düring nahm an, dass etwa jeweils sechs Häuser in Verbindung zu einem Geschichtshaus standen. Oberhalb dieser Häusergruppen erschließen sich Nachbarschaften, die durch die wenigen Straßen und Plätze voneinander abgegrenzt waren; zugleich waren die Dächer mit leichten Strukturen (jedenfalls keinen Obergeschossen) ausgestattet, so dass hier ein intensiver Austausch stattgefunden haben muss. Auch hier fand die Essenszubereitung, aber auch handwerkliche Tätigkeit statt.
Bei so intensivem, täglichem Kontakt dürfte die Nachbarschaft kaum mehr als 250 Personen umfasst haben. Dies kommt einem durchschnittlichen Dorf dieser Epoche recht nahe, und so nahm man an, dass Çatalhöyük eine Art verdichtete Dorfansammlung war, die vielleicht aus 27 bis 53 solcher Dörfer bestand. Im akeramischen Neolithikum bestand eine größere Zahl von Dörfern, weährend im keramischen Neolithikum nur noch Çatalhöyük existierte. In der nachfolgenden Zeit, der Kupfersteinzeit, gab es wieder mehrere Dörfer. Der Grund für diese vermutete Kontraktion könnte in der symbolischen Sphäre liegen. Begräbnisrituale und die erinnernde Aufbewahrung von Schädeln und anderen Körperteilen waren ebenso ein Mittel der Fundierung von Erinnerung und Gemeinschaft, wie das beinahe spielerische Ritual des gemensamen Tötens eines wilden Tieres, eines Bären, Schweins oder eines Rindes, gelegentlich idurch in Leopardenfelle gehüllte Männer und Frauen.
Hoca Çeşme in Thrakien ist eine Siedlung der späten Jungsteinzeit, in der während der ersten Siedlungsphase Rundhäuser errichtet wurden. Dabei entsprach die Keramik der untersten Schichten und damit der ersten Siedlungsphase, eine monochrom schwarze, gut polierte Ware, der spätneolithischen Keramik Anatoliens. Schon die älteste Siedlung war mit einer Mauer umgeben. Hoca Çeşme II weist hingegen Spuren einer gravierenden Veränderung auf. Nun dominierten rechteckige Häuser, es fand sich Keramik mit weißer Bemalung auf rotem Grund, die nach Thessalien verweist. Die materielle Kultur zeigt deutliche Parallelen zu Funden aus dem nicht weit entfernten Bulgarien wo mit der Kultur von Karanovo eine der ältesten neolithischen Kulturen Südosteuropas entstand. Für die Bewohner spielte Meereskost eine wichtige Rolle, vor allem Mollusken. Hoca Çeşme weist in einem weiten Raum zwischen der Marica und dem westanatolischen Seengebiet große Ähnlichkeiten in der Keramik auf. Aus diesem Gebiet, aus Westanatolien, hatten die Siedler Lebensweise, Vieh und Kulturpflanzen mitgebracht.
Weniger beachtet wurde die zuweilen als „zweite neolithische Revolution“ bezeichnete, fortgeschrittene neolithische Phase, in der neben dem Tier als bloßem Fleischlieferanten andere Möglichkeiten der Tiernutzung auftraten, sei es die Gewinnung von Wolle, von Eiern und Milch, oder die Nutzung als Trag- und Zugtier, als Lieferant von Bau- und Heizmaterial (Dung). In diese Phase fällt auch die Ausweitung des Raumes, in dem Menschen auf diese Weise lebten, über Süd- und Südostanatolien hinaus in ganz Anatolien und Richtung Griechenland und Balkan. In der ersten Hälfte des 7. vorchristlichen Jahrtausends war Knossos auf Kreta die einzige neolithische Siedlung auf der ganzen Insel, und es wurde darüber diskutiert, ob die Siedler aus der Levante oder aus Anatolien kamen. Um 6500 erscheinen – nun gesichert durch großflächigere Grabungen und sichere Datierungen – neolithische Siedlungen auch auf anderen ägäischen Inseln.35
Genetische Untersuchungen an den ältesten neolithischen menschlichen Überresten Griechenlands konnten belegen, dass die festlandsgriechischen Siedler eher mit denen auf dem Balkan verwandt waren, während die Bewohner der Inseln größere Nähe zu den Bewohnern Zentral- und vor allem des mediterranen Anatolien aufwiesen. Neben Untersuchungen an Brot- oder Weichweizen (Triticum aestivum) weist dies darauf hin, dass es eine Aufspaltung der Siedler Richtung Nordgriechenland und Balkan, bzw. Richtung Kreta und Süditalien gab, die sich bereits im Frühneolithikum ereignete. Letztere wiederum sind auch näher mit nahöstlichen Gruppen verwandt; daher ist Triticum aestivum geradezu kennzeichnend für die südanatolischen, kretischen und italienischen Gruppen. Sie bewegten sich aller Wahrscheinlichkeit nach über See.36 Auf enge, regelmäßige Beziehungen verweisen auch Obsidianfunde von der Insel Melos an der anatolischen Westküste aus dem späten 7. Jahrtausend.37 Bei der Ausbreitung scheinen, folgt man weiteren genetischen Untersuchungen, Reproduktionsvorteile gegenüber den jeweils benachbarten Jäger-und-Sammler-Gesellschaften eine entscheidende Rolle gespielt zu haben.38
Mit Erbaba fand man im Norden Zentralanatoliens am Beyşehir-See eine der wenigen Stätten des Neolithikums. Sie wurde auf 6700 bis 6400 v. Chr. datiert. Der Grabungshügel weist eine Fläche von etwa 5,5 ha auf. Keine Straßen trennten die Häuser voneinander
Das Chalkolithikum Anatoliens zeichnet sich durch mehrfarbig bemalte Keramik aus.39 Dies führte einerseits dazu, dass gleichzeitig bestehende Kulturen mit monochromer Keramik nicht zur Kupferzeit gerechnet wurden. Andererseits fanden sich aus der mittleren und späteren Kupferzeit nur wenige Regionen mit Artefakten aus diesem Metall.
Der frühe Abschnitt der Kupferzeit wird dabei um 6100 bis 5500 v. Chr. datiert. Während im frühen Neolithikum des Fruchtbaren Halbmonds Gerste vorherrschte, aber auch Nacktweizen domestiziert wurde, so war er ab der Kupferzeit regelmäßig in allen Siedlungen anzutreffen. Erst nach der Frühbronzezeit verschwanden die Spelzweizen Emmer und Einkorn beinahe.39h
Bekannt ist in Südwestanatolien vor allem die Siedlung von Hacılar Höyük in der Provinz Burdur, dessen älteste Schichten noch dem präkeramischen Neolithikum angehörten und in das 8. Jahrtausend v. Chr. datieren. In Schicht VI, die um 5600 v. Chr. datiert wird, fanden sich neun Bauten aus Lehmziegeln, die um einen großen Platz gruppiert waren. Die Einwohner lebten von Emmer, Einkorn, Weizen, Gerste, Erbsen sowie von Rind, Schwein, Schaf und Ziege. Auch Hunde wurden gehalten. Zahlreiche Figurinen aus Ton stellen Frauen dar. Die Siedlung der Schicht I (um 5000 v. Chr.) war vermutlich von Neuankömmlingen bewohnt, die den Ort ummauerten, es könnte sich aber auch um eine Siedlungsunterbrechung derselben Bevölkerung handeln. Die Keramik ist feiner gearbeitet und zumeist rot auf weiß bemalt. Jüngere Untersuchungen widersprechen dem von James Mellaart entworfenen Bild eines einheitlichen Übergangs zu mehrfarbiger Bemalung, denn sie wurde auch an älteren, neolithischen Stätten, wie etwa Höyücek nachgewiesen.
Von der frühen unterscheidet man die mittlere (5500-4000 v. Chr.) und die späte Kupferzeit (4000-3000 v. Chr.). Zunächst sollte die Bezeichnung Kupferzeit nichts anderes aussagen, als dass es entsprechend dem Dreistufenmodell zwischen der Steinzeit und der Bronzezeit eine Zeit gab, in der Kupfer in Gebrauch kam, ohne dass sich bereits Bronze nachweisen ließ. Doch luden sich die Begriffe im Laufe der Zeit auf. Dies betraf die zeitliche Abgrenzung – Kupfer fand sich bereits im akeramischen Neolithikum -, aber auch die Dominanz des Materials selbst. Nun galt die besagte farbig bemalte Keramik als kennzeichnend, doch gerade aus der mittleren und späten Kupferzeit fanden sich nur wenige Regionen, in denen diese Art der Bearbeitung in Gebrauch war. Während demnach der Beginn der Kupferzeit mit seinem für Archäologen bedeutsamen Übergang zu besagter Keramik für die Zeitgenossen wohl kaum als Einschnitt wahrgenommen wurde, so mag dies im Gegenteil umso mehr für die Zeit um 5500 v. Chr. gegolten haben, also für die beginnende mittlere Kupferzeit, denn viele der alten Siedlungen wurden aufgegeben. Darüber hinaus übernahm die Marmararegion überhaupt erst in der späten Kupferzeit eine dauerhaft sesshafte Lebensweise und die Bodenbearbeitung. Dort fanden sich neolithische und kupferzeitliche Siedlungen an mindestens 13 Stellen allein im südlichen Thrakien, also vor allem auf der Gallipolihalbinsel.39m Ähnliches gilt für Teile des ägäischen Raumes. Dort, wo später Milet entstand, entwickelte sich in der 1. Hälfte des 4. Jahrtausends eine erste Siedlung (Milet I). In Griechenland und Bulgarien verzichtet man, im Gegensatz zu Anatolien, für die Zeit zwischen 6500 und 3000 v. Chr. weitgehend auf eine Kupferzeit zwischen Neolithikum und Bronzezeit.
Von starken Veränderungen war auch Çatalhöyük betroffen, das von Çatalhöyük Ost nach Çatalhöyük West verlagert wurde. Obwohl Çatalhöyük West, das auf der anderen Seite des Çarşamba-Flusses liegt, gegenüber von Çatalhöyük Ost, und das sich zeitlich dem älteren Çatalhöyük Ost anschließt, erheblich kleiner ist, ist es dennoch mit 8 ha immer noch die größte kupferzeitliche Siedlung des südlichen anatolischen Plateaus. Dabei weist die jüngste Phase der älteren Siedlung große Ähnlichkeiten mit der ältesten der jüngeren Siedlung auf. Dies könnte auf einen sukzessive erfolgten „Umzug“ hindeuten. Wahrscheinlich wurden die „Haushalte“ gegenüber Clanstrukturen, die sich in der haufenartigen, älteren Bauweise spiegeln, autonomer, nachdem man den alten Ort aufgegeben hatte – dieser Prozess ist jedoch noch wenig verstanden.40 Es könnte sich auch um einen von starker Trockenheit erzwungenen Umzug gehandelt haben.40a
In der Zeit bis 3000 v. Chr. kam es zu einer massiven Steigerung der Siedlungstätigkeit, so dass man Tausende von Dörfern annimmt, die miteinander in intensivem Kontakt standen.41 Im Südosten unterscheidet man die Halaf- und 'Obed-Kulturen, die ihre Namen von mesopotamischen Fundorten herleiten. Vor dieser Zeit bestanden eher Kontakte Richtung Nemrut, denn von diesem etwa 3500 m hohen Berg stammte im nordostsyrischen Hamoukar entdecktes Obsidian. Grabstätten und Häuser weisen Spuren auf, die darauf hinweisen, dass die Stadt belagert und zerstört wurde, vor allem aber belegen dies mehr als tausend Kugeln aus Ton, die als Schleudergeschosse eingesetzt werden sollten.42 Die Stadt wurde möglicherweise durch Uruk um 3500 v. Chr. zerstört, später gründeten die Sumerer dort eine Handelskolonie, womit die Region sich südwärts orientierte.
Die Bronzezeit wird in West- und Zentralanatolien ab etwa 3000 v. Chr. angesetzt43. Doch ist die Abgrenzung der ersten Phase (Bronzezeit I, ca. 3000 bis 2700/2600 v. Chr.) zur Kupferzeit unklar, die zweite Phase (2700/2600 bis 2300 v. Chr.) noch wenig verstanden, die dritte (2300 bis 2000 v. Chr.) geht in die Zeit des ersten Großreichs in der Region über.
In Südostanatolien setzt die Bronzezeit um 3400 oder 3300 v. Chr. ein. Die weiteren Unterteilungen sind in diesem stark von Mesopotamien beeinflussten Gebiet umstritten. Die nachkupferzeitlichen Siedlungen waren erheblich kleiner, sehr viel stärker verstreut und meist handelte es sich um Neugründungen. Im nördlichen Euphrattal bestanden Arslantepe, Kurban Höyük und Hassek Höyük fort. Lidar, Hassek 5 und Tirtis Höyük,44, das 6 ha umfasste, waren mit dicken Stadtmauern umgeben. Südlich davon bestanden nur noch sehr kleine Siedlungen.
Die frühe Bronzezeit auf dem anatolischen Plateau gilt als Zeit der verstärkten „Verstädterung“, vergleichsweise großer Siedlungen mit komplexen Strukturen und einem weiträumigen Handelsnetz, das sich ab etwa 2500 v. Chr. besser fassen lässt. Siedlungen mit etwa 8 oder 9 ha Fläche wurden von einer erkennbaren Herrenschicht dominiert, deren Macht auch in das Umland reichte. Diese Entwicklung setzte aber bereits vor der Bronzezeit ein, wie in Troja I, Beycesultan, Karataş oder Küllüoba. In der frühen Bronzezeit weisen Siedlungen wie Liman Tepe, Çadır Höyük45 im nördlichen Zentralplateau oder Tarsus und Mersin in Kilikien, aber auch Küllüoba und Seyitömer, hierarchische Strukturen auf, zudem wurden sie Zentren ihrer Regionen. Innerhalb dieser möglicherweise schon als Herrschaftsgebiete anzusprechenden Regionen intensivierte sich der Austausch, die Keramik entstand zunehmend auf der Töpferscheibe.
Im westlichen Anatolien entstanden in der zweiten Phase der frühen Bronzezeit Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern. So fand man 25 km westlich von Eskişehir in Demircihöyük Sariket46 500 Gräber, von denen eine erhebliche Zahl wohl eine Art Familiengruften darstellten. Das Dorf selbst hatte nur einen Durchmesser von 70 m; die Häuser vom Megaron-Typ waren kreisförmig um einen zentralen Platz angeordnet (depas). In der dritten Phase wurden die Grabausstattungen und die Beigaben aufwändiger, was als Anzeichen zunehmender sozialer Differenzierung gedeutet wird.
Als eine der wichtigsten Ursachen für die zunehmende Zentralisierung gilt der Metallhandel, der sich vor allem in der zweiten frühbronzezeitlichen Phase zwischen 2700/2600 und 2300 v. Chr. deutlich verstärkte, und zu dem sich der Handel mit Tongefäßen gesellte. Viele Archäologen nehmen für diese Phase ein dichtes Handelsnetz an, das vom Schwarzen Meer bis nach Südostanatolien reichte. Verstärkt wurde die Produktion durch Zinnfunde im Taurusgebirge, dessen Erze ihren Weg bis in den Westen Anatoliens fanden. In die Gegenrichtung gelangten die besagten Tongefäße. So gelangten westanatolische Tonwaren bis nach Tarsus und Mersin. Städte wie Kültepe spielten bei diesem weiträumigen Austausch eine große Rolle. Sein Fernhandel mit Tonwaren reichte bis an den mittleren Euphrat.
Anfang des 2. vorchristlichen Jahrtausends berichten assyrische Quellen von Hattisch sprechenden Bewohnern Anatoliens. Weiter kannten sie Luwier, Hethiter, Hurriter (in Nordsyrien), die Indogermanische Sprachen benutzten, zu denen auch die Palaische Sprache zählte. Wann diese Gruppen nach Anatolien kamen, ist ungeklärt. Ein Teil der Archäologen vermutet die Zuwanderung der indogermanisch-anatolischen Gruppen bereits im Neolithikum oder der Kupferzeit. Eine andere Gruppe um den englischen Archäologen Colin Renfrew sehen in Anatolien die Urheimat der Indogermanen. Noch unklarer ist die Form des Zusammenlebens der verschiedenen Bevölkerungen.
In Westanatolien erschien zu Beginn der Bronzezeit als architektonisches Kennzeichen das Megaron. Troja I begann um ca. 3000 v. Chr. und endete zwischen 2600 und 2500 v. Chr. Die Siedlung wurde von 2,5 m dicken Mauern geschützt, drei Stadttore ermöglichten den Einlass. Eines der Megaron-Gebäude wies eine Halle auf, die 7 mal 18,5 m maß.47 Inzwischen ist klar, dass Troja VI eine Fläche von 20 ha bedeckte und vielleicht 4 bis 10.000 Einwohner hatte.47c Eine der größten Siedlungen in Westanatolien war Beycesultan. Zwar war die Stadtstruktur derjenigen von Troja I ähnlich, doch die Keramik war wesentlich feiner gearbeitet. Die Siedlung selbst reichte mindestens bis in die Kupferzeit zurück. Troja II, das zwischen 2700 und 2500 v. Chr. entstand, war erheblich größer als die Vorgängersiedlung. Mindestens fünf Megaron-Gebäude ließen sich nachweisen, wobei das größte von ihnen auf einer Felsplattform im Zentrum stand. Die Funktion dieser Gebäude, die sich stark von den Wohngebäuden unterscheiden, ist ungeklärt. Zweihändige, bauchige bis zylindrische Krüge sind für Troja II kennzeichnend, ähnlich wie das längere und schlankere depas amphikypellon. Diese trojanischen Formen könnten allerdings auch im Hinterland entstanden sein. Aus Troja IIg stammt ein Depotfund, der als der größte dieser Phase gilt, und der wahrscheinlich angesichts eines Stadtbrandes vergraben wurde, der sich anhand umfangreicher Feuerspuren nachweisen lässt.
Entgegen früheren Annahmen bestand zwischen der mittleren und späteren frühen Bronzezeit eine erhebliche Siedlungskontinuität, wie Funde in Troja III (wenn schon nicht auf der Zitadelle, dann doch in der Wohnstadt), Küllüoba, Liman Tepe oder Bakla Tepe erwiesen. Dabei herrschten in Troja nun steinerne Häuser vor, was vielleicht eine Reaktion auf die genannte Feuersbrunst darstellte.
Im nördlichen Zentralplateau ist die Zahl der frühbronzezeitlichen Stätten erheblich geringer, wenn sich auch in Paphlagonien zahlreiche Siedlungsspuren fanden, die jedoch bisher nicht zu entsprechenden Grabungen führten. Die „königlichen Gräber“ von Alaca Höyük, dann Alışar Höyük, das von Assyrern aufgesucht wurde, dann das nahe gelegene Çadır Höyük (das bis in die frühe Kupferzeit zurückreicht), gehören zu den wenigen Fundstätten. Die jüngst ausgegrabene Siedlung weist sehr kleine Wohnhäuser aus der frühen Bronzezeit mit einer Grundfläche von nur 2 mal 3 m auf.
In Phase II der frühen Bronzezeit ist die Fundsituation noch magerer als in Phase I, wobei die Situation auf dem nördlichen Plateau immer noch günstiger ist, als auf dem südlichen, wo in der Hauptsache Tarsus ertragreich war. Bisher wurden in Çadır Höyük keinerlei Gebäudeüberreste entdeckt, wenn auch Scherben gefunden wurden. In Alışar blieben, ähnlich wie in der frühesten Phase, mit Steinen unterfütterte Mauern die Regel, die ebenfalls weiterhin aus Lehmziegeln bestanden. In Phase III wurde auch diese Region in den pan-anatolischen Handel und die Urbanisierung eingebunden. Dies zeigen vor allem Funde aus Alaca Höyük, Mahmatlar und Horoztepe. In vielen Städten wurden die Mauern erheblich verstärkt.
Die 19 Gräber von Alaca Höyük, von denen der Ausgräber 14 als „königliche“ bezeichnete, stellen Steinkisten dar, in denen meist Überreste eines Individuums, gelegentlich aber auch zwei oder drei gefunden wurden. Die Gräber wurden mit Holz abgedeckt, auf dem sich Überreste von Tieren fanden, die als Opfer gedeutet werden. Unter den Grabbeigaben fanden sich menschen- und tierförmige Figurinen, Waffen, Schmuck und Metall- und Tongegenstände. Die Metallobjekte bestanden aus Gold, Silber und Elektron sowie aus Kupfer. Weniger aufwändige Gräber fanden sich in Horoztepe, Oymaagac Köyü, Resuloğlu oder Kalınkaya.
Tarsus, das lange auf Mesopotamien ausgerichtet war, wandte sich kurz nach 3000 v. Chr. stärker Anatolien zu. Die Ursachen wurden in Veränderungen in Uruk gesucht, aber auch in den Zinnfunden im Taurusgebirge. In Phase II der frühen Bronzezeit entstanden wohl zweigeschossige Häuser, jedoch nicht vom Megaron-Typ. Nach einem verheerenden Brand entstand eine beinahe drei Meter dicke Stadtmauer.
Hingegen fanden sich jüngst in Bademağacı, etwa 50 km vom Stadtzentrum Antalya entfernt, Spuren einer kreisförmigen Hügelsiedlung, die aus 70 bis 90 Gebäuden bestand. Hier fanden sich Tonsiegelfragmente, die auf eine rudimentäre Verwaltung hindeuten. Kaneš, 20 km nordöstlich von Kayseri gelegen, das vor allem im 2. Jahrtausend v. Chr. aufstieg, war bereits am Ende der frühen Bronzezeit ein wichtiges Handelszentrum. Sein größtes ausgegrabenes Monumentalgebäude aus dieser Zeit maß 20 mal 22 m. Allein die darin befindliche Halle maß 10,5 mal 17 m.
Im nördlichen Euphrattal bestanden Arslantepe, Kurban Höyük und Hassek Höyük, die schon in der Kupferzeit bestanden hatten, fort. Lidar, Hassek 5 und das 6 ha große Tirtis Höyük,48 waren von dicken Stadtmauern umringt. Südlich dieser Städte bestanden nur sehr kleine Siedlungen.
Auf hochgelegenen Plattformen wurden Rituale durchgeführt, wie etwa in Surtepe und Tilbes Höyük. Bei Gre Virike fand sich eine 1750 m² große Plattform unregelmäßiger Gestalt. Hier fanden sich monumentale Gräber, ähnlich wie am mittleren Euphrat in Syrien. Bei vielen Siedlungen fanden sich Friedhöfe außerhalb der Mauern, ähnlich wie im Westen auch Steinkisten (Zeytinli Bahçe Höyük49) mit reichen Grabbeigaben (Birecik).
Die mittlere Phase der frühen Bronzezeit wird im Allgemeinen um 2700 bis 2400 v. Chr. angesetzt. Titriş Höyük umfasste eine Fläche von 35 ha. Ähnliche Ausdehnungen erreichten Tilbeşar III B mit 30 ha, das eine Unterstadt aufwies, in der Olivenöl und Wein hergestellt wurden.50
Die spätere Phase wird meist um 2400 bis 2100 v. Chr. angesetzt, jedoch erscheint um 2600 bis 2200 v. Chr. bereits eine erkennbare Hierarchie zwischen städtischen Zentren, kleineren Städten und Dörfern. Dabei weisen die genannten Zentren am oberen Euphrat, die nun Unterstädte bargen, eine ausgeprägte soziale Schichtung auf. Titriş Höyük wuchs auf 43 ha an, und offenbar zählten Hofstellen im Umkreis von 4 bis 5 km zum Einflussbereich der Stadt. In Lidar fand man eine Keramikwerkstatt; dort entstand ein eigenes Handwerkerviertel. Tilbeşar III C umfasste eine Fläche von 56 ha, und auch hier wurden Olivenöl und Wein produziert. Es bestand eine Vielzahl von Grabtypen, wobei Erdbestattungen und Kammergräber vorherrschten. Auch das Spektrum der Grabbeigaben wurde stark erweitert, vor allem um verschiedene Formen des Körperschmucks. In Titriş entstanden Häuser mit einer Grundfläche von bis zu 200 m² mit 10 bis 15 Räumen. In diesen Großhaushalten lebten erweiterte Familien, die zuweilen Vorratshäuser für Getreide in ihren Mauern integrierten.
Nachdem Naram-sin um 2200 v. Chr. Ebla zerstört hatte, änderte sich die Siedlungsform. So wurde etwa Tilbeşar III D aufgegeben, ein Niedergang der dominierenden, städtischen Zentren setzte im südlichen Teil des mittleren Euphratgebiets ein, verbunden mit einer zunehmenden Abwanderung in die kleineren Städte. Vor 2000 v. Chr. verschwanden die monumentalen Grabmäler. Darüber hinaus ging die Qualität der Metallbearbeitung zurück.
Auch weiter im Osten, am Tigris, lässt sich um 2200 v. Chr. ein Niedergang der größeren Zentren belegen. Möglicherweise wurden wichtige Handelsstraßen nach Süden verlagert. Pir Hüseyin wies immerhin eine Fläche von etwa 19 ha auf. Naram-Sin ließ auf dem Tell Brak, heute im äußersten Nordosten Syriens gelegen, einen Palast errichten, von dem aus die Chabur-Handelsroute kontrolliert werden sollte. Dort fand sich eine Stele des akkadischen Herrschers.
In Ostanatolien ist die Situation noch komplizierter.51 Dort wird die frühbronzezeitliche Kultur auch als frühe transkaukasische Kultur bezeichnet, da man annimmt, dass viele Kulturzüge aus dem Gebiet am Kaukasus stammten. Die dortige Keramik, wie bereits bemerkt, eines der wenigen anerkannten Anzeichen für die Frühbronzezeit, erschien dort erst Ende des 4. Jahrtausends, während zuvor nur die rot-schwarze Ware vorherrschte. Sie findet sich ab etwa 3500 v. Chr. in Arslantepe VII, Sos Höyük VA und Çadır Höyük und stammt möglicherweise aus Zentralanatolien. Hingegen haben Metallfunde und transportable Herde ihren Ursprung von der Region nördlich des Kaukasus. Jüngste Funde in Naxçıvan, unmittelbar nördlich der iranischen Grenze, deuten tatsächlich auf südkaukasische Herkunft auch der Keramik, denn sie ließen sich auf das Ende des 5. Jahrtausends datieren (Ovcular Tepesi) – allerdings tauchen Siedlungen dieser Kultur erst mit Kültepe I und II auf, also erst Mitte des 4. Jahrtausends.
So nimmt man heute an, dass die erkennbare Wanderungsbewegung Teil einer Bewegung vom südlichen Kaukasus bis in die Levante war. Ein weiteres Charakteristikum dieser Kultur ist die Tatsache, dass sie mit anderen Kulturen vermischt existieren konnte. Dies zeigen etwa Funde aus der Gegend um Elazığ und Malatya. Im oberen Euphrattal wechselten sich transkaukasische und syro-mesopotamische Kulturen zwischen 3300 und 2800 v. Chr. mehrfach ab. Hingegen bestanden Pulur-Sakyol und Norşuntepe52, das eine transkaukasisch, das andere syro-mesopotamisch geprägt, nebeneinander.
Symptomatisch für die Gleichzeitigkeit dieser Kulturen mit Blick auf die Keramik ist das 1996 entdeckte Königsgrab von Arslantepe; hingegen verweisen die Metallfunde wohl eher auf eine transkaukasische Herkunft. Ob die hier beigesetzten Führerfiguren der einen oder anderen Kultur angehörten entscheidet darüber, ob in der Region eine administrativ-zentralisierte Herrschaft bestand, oder eine auf Verwandtschaft aufgebaute, wie sie im Norden vorherrschte. Während es im Süden, also am zu dieser Zeit noch dicht bewaldeten oberen Euphrat, Ende des 4. Jahrtausends zu einer Umorientierung von Mesopotamien nach Anatolien kam, entwickelte sich der Nordosten gleichmäßiger auf der Grundlage autochthoner Kulturen. Auffällig ist, dass Schaf und Ziege andere Herdentiere abrupt verdrängten, wie etwa in Arslantepe. Hingegen änderte sich das Verhältnis zwischen den Haustierpopulationen in der Region Erzurum nicht. Zur verwirrenden Vielfalt in Ostanatolien trägt auch bei, dass verschiedene Haus- und Siedlungstypen gleichzeitig bestanden. Auch gibt es im Raum Erzurum am Ende der frühen Bronzezeit keine kulturellen Brüche, sondern Anzeichen großer Kontinuität. Ganz anders um den Van-See, wo ein scharfer kultureller Bruch zu konstatieren ist. Anscheinend kam es hier zu einer weitgehenden Renomadisierung.
Die Mittlere Bronzezeit Anatoliens wird üblicherweise in zwei Phasen eingeteilt, die mit lateinischen Zahlen versehen werden. Dabei reicht die Mittlere Bronzezeit I etwa von 2000 bis 1800 v. Chr., II schließt sich an und reicht bis 1600 v. Chr. Phase I ist dabei am besten durch die in Anatolien anwesenden assyrischen Händler fassbar, die zahlreiche Siegelabdrücke und Geschäftsschreiben hinterlassen haben, die erstmals Einblicke in die politische und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Situation einiger Teile Anatoliens gestatten. Phase II ist hingegen vom frühen, ersten anatolischen Großreich geprägt, dem der Hethiter.
Die mittlere Bronzezeit, die ab etwa 2000 v. Chr. angesetzt wird, bietet erstmals umfangreiche Schriftquellen.53 Dies hängt damit zusammen, dass Händler aus Assur (Aššur) ein weiträumiges Handelsnetz aufgebaut hatten, und dazu nach Anatolien gegangen waren. Von diesen Stützpunkten, die nach dem akkadischen Wort für Hafen oder Kai als Karum bezeichnet wurden, erhielt die Karum-Periode im Südosten Anatoliens ihren Namen. Dort verstand man darunter die Händlerkolonie oder deren Hauptgebäude. Die Periode reichte von etwa 1950 bis 1800 v. Chr. Haupthandelszentrum für Stoffe, Zinn und Silber war Kaneš, das heutige Kültepe, 20 km nordöstlich von Kayseri, das sich über eine Fläche von 50 ha erstreckte. Aus dieser Zeit fand man in Anatolien mehr als 24.000 Siegelabdrücke.54
Südwestlich des Tuz Gölü ist die Zahl der mittelbronzezeitlichen Fundstätten allerdings äußerst gering, wobei man in Karaböyük Konya, das sich ebenfalls über 50 ha erstreckte, gleichfalls assyrische Siegelabdrücke mit Keilschrift fand. Größere städtische Zentren lagen um den Tuz Gölü. Dazu zählt Acemhöyük, eine der größten mittelbronzezeitlichen Fundstätten, die auf einem Hügel südöstlich des Sees liegt, der 800 mal 700 m misst. Die Stadt mit einer Fläche von 56 ha wurde von einer Feuersbrunst zerstört. Zwei Paläste stammen aus der Karum-Periode, doch ließ sich kein assyrischer Händlerbezirk nachweisen. Hingegen fanden sich Siegelabdrücke von König Šamši-Adad I.
Alışar Höyük, wohl das altassyrische Amkuwa, im Südosten der Provinz Yozgat, maß 520 mal 350 m bzw. 28 ha. Es war vom 4. bis zum 1. Jahrtausend bewohnt. Brandspuren deuten auf eine Zerstörung am Ende der Bronzezeit hin. Neben dieser späteren hethitischen Provinzstadt erlangte vor allem Ḫattuša größte Bedeutung. Insgesamt machte sich mesopotamisch-assyrischer Einfluss in der künstlerischen Produktion, in den Handelsgütern, in der Normierung von Maßen und Gewichten, aber auch in den Begräbnisritualen bemerkbar. So wurden die Toten nach assyrischer Sitte unter dem Boden des Hauses beigesetzt. Zwar blieben Stempelsiegel anatolischer Tradition in Gebrauch, doch herrschten nun Rollsiegel vor.
Erstmals erfahren wir etwas über die politische Geschichte. In Kültepe fand man eine Namensliste assyrischer Könige, die von Erišum I. bis Naram-Sin reichen, also vielleicht von 1974 bis 1819 v. Chr. Die meisten der Texte stammen aus der ersten Hälfte des 19. vorchristlichen Jahrhunderts. Sie bieten allerdings nur äußerst wenige Namen anatolischer Herrscher, wie etwa Waršama, den König von Kaniš.55
Die Regionen, in die die Assyrer Einblick hatten, waren politisch stark zersplittert. Viele selbstständige, befestigte Städte bildeten Kleinstaaten, während einige größere Städte auch ihr Umland bzw. die dortigen Dörfer beherrschten. Hinzu kamen Vasallenstaaten, wie sie Mamma und Kaniš aufwiesen. Während Schicht 2 befanden sich karum in 20 Städten, die kleineren wahartum in 15. Einige der weiter westlich gelegenen Stützpunkte wurden während Schicht 1b (18. Jahrhundert v. Chr.) aufgegeben. Kaniš, die Zentrale des assyrischen Handels, erweiterte seinen Machtbereich von zehn auf vielleicht zwanzig Dörfer in der Umgebung. Die Stadtstaaten wurden von „Prinzen“ geführt, die Dynastien angehörten. Weil Kämpfe zwischen den Städten den Handel behindern konnten, wurden sie vielfach in Schreiben der Händler erwähnt, ebenso bestehende Koalitionen mehrerer Städte. Auch wurde ein assyrischer Händler der Spionage verdächtigt, eine Händlerkolonie musste eine Stadt verlassen, etwa, weil es die gegnerische Stadt verlangte, oder weil es zu Unruhen und Aufständen kam.
In der späteren Phase des altassyrischen Handels lassen sich die Könige von Kaniš benennen: Ḫurmeli, Ḫarpatiwa, Inar und sein Sohn und Nachfolger Waršama, Pitḫana, der Kaniš eroberte und Waršama gefangennahm, und sein Sohn Anitta, der bereits als „Großer König“ bezeichnet wurde, sowie Zuzu, der diesen Titel gleichfalls trug, nachdem er ebenfalls die Stadt erobert hatte. Hinter diesen Kämpfen verbarg sich nicht nur eine politische und militärische Macht, sondern bereits ein ausdifferenzierter staatlicher Apparat. Die Quellen unterscheiden etwa 50 Titel bei Hof. Die höchsten Titel trug das Prinzen-, bzw. Königspaar, das den Staat führte. Für Militär und Handel war ein rabbi sikktim zuständig, daneben hatten sich wohl aus zeremoniellen Ämtern Zuständigkeiten geformt, wie im Falle des Herrn der Tische oder der Gefäßträger. Der Herr der Arbeiter führte Titelträger, die einzelne Métiers leiteten, wie die Hufschmiede oder die Walker. Einige der Titel wurden vom Prinzen gegen ein Geschenk vergeben, auch konnte ein Amtsträger mehrere Titel tragen.
Der Palast war selbst Landeigentümer, ebenso wie die Träger der besagten Titel. Anscheinend waren die Stadtbewohner ebenso wenig Landbesitzer, wie die landfremden Händler, sie waren also vom Markt abhängig. Einige Grundstücke waren dauerhaft zu bestimmten Leistungen verpflichtet (tuzinnum), andere hatten Eigenheiten privaten Besitzes (bẽtum), wieder andere waren Domänen (ubādīnnum). Gemeinsamer Landbesitz war verbreitet. Jeder Landbesitzer musste einen Teil der Ernte an den Palast abgeben. Dabei mussten sich manche der kleinen Bauern Getreide leihen, um über das Jahr zu kommen, manche Würdenträger besaßen hingegen ganze Dörfer. Zahlreiche assyrische Leihverträge sind erhalten geblieben. Das meiste Land wurde mit Gerste und Weizen bepflanzt, wenn auch insgesamt zwölf Getreidearten bekannt waren. Vorratshäuser bestanden offenbar, der Palast kannte einen „Herrn der Speicher“. Das Getreide wurde überwiegend als Brot oder Brei konsumiert, Gerste wurde zu Bier verarbeitet. Sesamöl diente der Speisenzubereitung, aber auch der Beleuchtung. In den Gärten wurde Viehfutter angepflanzt, Gemüse und Obst; Wein wurde produziert und Gewürze. Die bewässerten Felder waren abgabepflichtig, zuständig war ein entsprechender „Herr der bewässerten Felder“. Auf den Domänen wurden Schafe und Ziegen gehalten, deren Milch, Wolle und Fleisch vom Palast verkauft wurde. Fleisch wurde ganz überwiegend von der vermögenden Schicht konsumiert. Der „Herr der Hirten“ war offenbar ein vermögender Mann.
Die assyrischen Karawanen – gegen Abgaben von den Königen geschützt – fanden sichere und ausreichend ausgestattete Karawansereien und Rasthöfe vor. Sie brachten mesopotamische Güter, die sie vor allem gegen Gold und Silber eintauschten, das sie an vier Orten erwerben durften. Gold kursierte in Form von Nuggets, Ringen, Perlen oder verschiedenen Objekten, ein Schekel Gold (8,3 g) entsprach dem Wert von 6 bis 8 Schekel Silber. Für kleinere Käufe wurde das wesentlich billigere Kupfer eingesetzt. Es wurde hauptsächlich am Schwarzen Meer, im Gebiet des Kizil Irmak, oder bei Ergani gewonnen, um dann als Barren, oder in anderer Form südwärts transportiert zu werden. Die Karawanen brachten auch Zinn aus dem Nordwestiran und Usbekistan nach Anatolien, so dass hier eine erhebliche Abhängigkeit entstand. Das Metall wurde erst in Anatolien zu Bronze verarbeitet. Entsprechende Formen für Werkzeuge, Haushaltsgeräte und Waffen fanden sich in Werkstätten in Kültepe. Eisen hingegen war sehr selten und wurde aus Assyrien herbeigebracht oder stammte aus kleinen Minen in Anatolien.
Die Einwohner von Kaniš durften Getreide, Sklaven und den Alltagsbedarf auf den lokalen Märkten erstehen, Stoffe und Zinn durften sie jedoch nur vom Palast kaufen. Während in der früheren Phase der assyrischen Tätigkeit in Kaniš die Anatolier bei ihnen vielfach verschuldet waren, scheint sich diese Situation umgekehrt zu haben. Nun waren Assyrer häufig bei anderen Bewohnern der Stadt verschuldet und einige wurden zu Schuldsklaven. Die meisten Bewohner waren Bauern oder Hirten, wobei letztere zwar frei waren, aber zur Armenschicht gehörten (ḥupšum). Einige der Bauern verrichteten eine Art Frondienst. Die Sklaven waren meist Schuldsklaven, die sich selbst verkauft hatten, oder die von ihren Eltern verkauft worden waren. Gegen Entrichtung des doppelten Kaufpreises, häufig mehr, konnten sie wieder frei werden.
Zweisprachigkeit scheint unter den Assyrern der Normalfall gewesen zu sein, nur der Palast kannte Dolmetscher. Anscheinend führten die Assyrer die Schrift in Anatolien ein. In mindestens einem Fall übernahm ein anatolischer König Schrift und Sprache der Zuwanderer in seinen Dokumenten. Die Assyrer ihrerseits benutzten eine vereinfachte Schriftform, die mit weniger als 200 Zeichen auskam. Umgekehrt adaptierten die Assyrer hethitische Begriffe.
Männer und Frauen besaßen ihre Güter gemeinsam. Beide hatten das Recht sich scheiden zu lassen, wozu ein förmlicher Vertrag im Palast aufgesetzt wurde. Die gemeinsamen Kinder konnten bei der Mutter oder beim Vater bleiben. Wenn ein Anatolier in Schulden geriet, konnte er seine Frau und seine Kinder verpfänden. Falls er sie nicht einlösen konnte, verloren sie ihre Freiheit. Die Assyrer der ersten Generation kehrten meist in ihre Heimat zurück, doch die Nachfolgenden heirateten oftmals in Anatolien, unter der Bedingung nicht im selben Haus zu leben, auch eine zweite Frau neben der in Assyrien. Einige Scheidungskontrakte zeigen, dass die Männer manchmal nach Assur zu ihrer ersten Frau zurückkehrten, die anatolische Frau behielt das Haus, der Mann blieb für den Kindesunterhalt zuständig.
Um 2000 v. Chr. kam es einerseits zu einem für agrarische Gesellschaften ungünstigen Klima, andererseits kam es durch Zuwanderung zu einer ethnischen Zersplitterung. Während der mittleren Bronzezeit wurden der Südosten und der Osten Anatoliens sehr viel stärker in das weiträumiger gewordene Handelsnetz eingebunden, und auch die städtischen Zentren wurden wieder größer.56 Der Euphrat wurde von den Händlern auf ihrem Weg nach Anatolien genutzt, so dass entlang der Karawanenrouten alte Städte wieder aufblühten oder neue entstanden. Allerdings bereitet es große Schwierigkeiten, die in den Quellen genannten Städte mit archäologischen Stätten zu identifizieren. Große Zentren waren etwa Karkemiš, wo die Quellenlage allerdings sehr ungünstig ist, oder Samsat, das hethitische Kummuhu. Hinzu kamen mittelgroße Zentren und vor allem zahlreiche festungsartige Städte, die möglicherweise Außenposten der Zentren darstellten. Auch die mittleren Zentren wiesen nun eigene, abgegrenzte Handwerkerstädte auf. Der Handel intensivierte sich erheblich, wie die Archive des Königs Zimri-Lim von Mari oder des Assyrerkönigs Šamši-Adad I. in Šubat-Enlil (Tell Leilan) zusätzlich belegen. Erst mit der militärischen Expansion der Hethiter in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts änderte sich die politische und wirtschaftliche Landschaft erneut, und die Herrschaft der Stadtstaaten, allen voran von Karkemiš, brach zusammen.
Besonders die Ausgrabungen von Tilmen Höyük am İslahiye konnten die Verhältnisse der etwa zwanzig Stadtstaaten erhellen, die zusammen das Königreich Jamchad bildeten. Die Stadt war, wie viele der Städte, in eine königliche Zitadelle mit Palast und Tempeln geteilt, und eine Stadt, die wiederum je eigene Handwerksquartiere aufwies. Tell Açana („Tell“ ist das arabische Äquivalent zum türkischen „Höyük“ oder zum persischen „Tepe“ oder „Depe“ und bedeutet Siedlungshügel, von denen manche über 40 m aufragen), das antike Alalakh unweit des Orontes, wies eine Fläche von 20 ha auf. Auch diese Stadt war einer der Vasallen von Jamchad. Mit 56 ha war Tilbeşar erheblich größer und seine Paläste, Stadtmauern und Tempel steigerten noch die Monumentalität der stadtstaatlichen Architektur, die die gesamte Region bis nach Mesopotamien auszeichnete. Zugleich nahm der Einfluss von Zypern, das Anatolien als Kupferlieferant zunehmend ersetzte, und von Ägypten zu. Der Handel über das Mittelmeer nahm ebenfalls deutlich zu, was sich in ersten größeren Häfen bemerkbar machte. Weiter im Osten war dieser Einfluss geringer, die Kontakte zu Ostanatolien entsprechend intensiver.
Im Osten der Türkei ist die Forschungslage besonders dürftig, wenn auch das Pipelineprojekt zwischen Baku und Ceyhan zeigte, dass die Siedlungsstrukturen in der mittleren Bronzezeit im Umbruch waren. Auch hier schrumpften die Siedlungen, ihre Zahl ging drastisch zurück, die rechteckigen Häuser waren sehr viel kleiner. Neben Friedhöfen mit Kistengräbern entstanden Begräbnishügel oder Kurgane, wie sie für die gesamte Region im südlichen Kaukasusgebiet typisch waren.
Am oberen Tigris sind es eher Staudämme und infolgedessen erzwungene Notgrabungen, die zeigten, dass zahlreiche kleine bis mittelgroße Siedlungen neu entstanden, die sich mitunter auf bestimmte Handwerke, wie die Tuchproduktion oder Tonverarbeitung spezialisiert haben. Hirbemerdon Tepe57 zeigt beispielhaft, wie die Städte in eine zeremonielle und eine Arbeitssphäre geteilt waren. Diese beiden wurden durch eine sogenannte Plaza und eine vergleichsweise breite Straße voneinander getrennt. Zudem ließ sich hier die Herstellung von Wein nachweisen, der wahrscheinlich als Ware Richtung Mesopotamien eine wichtige Rolle spielte, aber auch für die zeremonielle Stellung des Palastes. Dennoch waren die Städte am oberen Tigris eher klein, die meisten von ihnen erreichten kaum 5 ha Fläche, und die gesellschaftliche und administrative Komplexität steht weit hinter den Städten im zypriotisch-ägyptischen Einflussbereich zurück. Es scheint, als habe der überwiegende Teil der Bevölkerung in kleinen Dörfern gelebt und die Überschüsse an mittlere Zentren wie Hirbemerdon abgeliefert. Diese Zentren mit ihrer spezialisierten „Industrie“ und die Dörfer, die Güter und Arbeitskraft stellten, wären demnach durch Riten miteinander verbunden gewesen.58
Die Geschichte Westanatoliens ist in Bruchstücken aus hethitischen Texten bekannt.59 Dort erscheint das Land Arzawa oder Arzwawiya erstmals zur Zeit des Hethiterkönigs Ḫattušili I., der wohl in Zusammenhang mit Grenzstreitigkeiten einen Feldzug gegen das Land führte. Arzawa reichte wohl von der Ägäis bis in den Westen der Ebene von Konya. Es lag nicht nur mir Ḫattušili im Streit sondern auch mit dessen Nachfolger Ammuna. Dem Hethiterkönig Tudḫaliya I. gelang schließlich zeitweise die Eroberung Arzawas. Damit waren die Kriege zwischen den beiden Mächten jedoch keineswegs beendet, wie eine Invasion in das Gebiet hethitischer Vasallen zur Zeit Tudḫaliyas III. zeigt, vor allem aber die diplomatischen Kontakte, die der ägyptische Pharao Amenophis III. mit König Tarḫundaradu von Arzawa anknüpfte (die 1887 gefundenen Arzawa-Briefe aus dem Amarna-Archiv). Arzawa setzte anscheinend zur Eroberung des Hethiterreichs (Hatti, nach den Hattiern benannt) an. Doch Šuppiluliuma I., der Sohn des hethitischen Königs, setzte sich gegen diese Koalition durch, ohne jedoch Arzawa besiegen zu können, dessen König Anzapaḥḥadu Hatti immer wieder angriff. Als er sich weigerte, Gefangene auszuliefern und eine Invasionsarmee besiegte, setzte Šuppiluliuma mit Ḫanutti einen seiner fähigsten Generäle im sogenannten Unteren Land ein, das an Arzawa grenzte. Muršili II. gelang schließlich die Eroberung Arzawas. Um Bedrohungen von dieser Seite endgültig ein Ende zu setzen, ließ er 65.000 (oder 66.000) Bewohner deportieren, wie er selbst behauptete. Möglicherweise war dies das Ende von „Arzawa Minor“, dem Reich von Apaša, vermutlich Ephesos, das zeitweise das bedeutendste war, weshalb es gelegentlich als „Arzawa Minor“ angesprochen wird.60 Mit den anderen vier Arzawa-Reichen schloss der Hethiter eine Art Vasallitätsvertrag.
Die Bewohner Arzawas waren möglicherweise die Anfang des 2. Jahrtausends eingewanderten indoeuropäischen Luwier, deren Name in jüngeren Fassungen hethitischer Gesetze durch Arzawa ersetzt wurde.60c Auch die derselben Sprachfamilie angehörenden Karer kommen in Frage, die vielleicht Mitte des 2. Jahrtausends nach Südwestanatolien kamen. Wie ihr Verhältnis zur weiterhin bestehenden autochthonen, vorindoeuropäischen Bevölkerung war, ist unklar. Arzawa war offenbar kein einheitlich geführtes Reich, sondern bestand aus bis zu fünf Königreichen.
Ab Ende des 14. Jahrhunderts trat das Arzawa-Reich von Mira die Nachfolge von Arzawa Minor an. Am Oberlauf des Mäander befand sich Kuwaliya, dessen Hauptstadt wohl dem heutigen Fundort Beycesultan entsprach, und das die Hethiter in ihre Machtsphäre einbanden. Nördlich von Mira lag Šeḫa (das Flussland), zu dem auch die Insel Lazpa (Lesbos) gehörte. Šeḫa unterwarf sich angesichts einer Invasionsarmee Muršilis II., nachdem es sich um 1318 v. Chr. erhoben hatte. Als letztes unterwarfen die Hethiter Wiluša, das wahrscheinlich in der Troas lag. Sein letzter König Walmu wurde von Aufständischen oder Angreifern gestürzt, jedoch von Tudḫaliya IV. wieder eingesetzt.
Möglicherweise mit den Griechen verbunden war Achijawa, das vielleicht ebenfalls in Westkleinasien lag, eine Annahme, zu der die Ähnlichkeit zu Achaia führte, einem der drei Namen, mit denen die Griechen in der Ilias bezeichnet wurden. Ob dabei womöglich Theben gemeint war, oder die ethnischen Gruppen, die wir heute als Mykener bezeichnen, bleibt unklar. Von diesen sind, neben einigen Orten, bei denen es sich vielleicht um Kaufmannskolonien handelte, nur zwei Siedlungen auf dem ostägäischen Festland gesichert. Diese sind Milet an der Mündung des Mäander und die weiter südlich gelegene Fundstätte Müsgebi. Funde wurden aber auch im karischen Iasos und in Ephesos gemacht, dementsprechend lebten dort mykenische Griechen, die wahrscheinlich eine minoische Siedlung abgelöst hatten, wie man aus lokal produzierter, minoischer Keramik schlussfolgern kann.60d Erhebliche Mengen mykenischer Keramik fanden sich auch in Çine-Tepecik im Mäandergebiet in der Provinz Aydın, das seit 2004 ausgegraben wurde. In dessen Schicht II,1, die auf etwa 1350 bis 1240 v. Chr. datiert wurde, ließen sich die 'Funde in die späthelladischen Phasen LH III B1 bis LH III C datieren. Unter ihnen findet sich ein Krater mit der Darstellung von Hunden, die einen Hirsch jagen. Zwei Siegelabdrücke tragen hethitische Namen, einer von ihnen nennt einen Enkel des Königs. Insgesamt bestand der Ort von etwa 2000 v. Chr. an, die spätere Siedlung war mit starken, 2,20 m dicken Türmen und Mauern umgeben. Sie dürfte dem mykenischen Einflussbereich zuzuordnen sein.60g
In Milet fanden sich Spuren minoischer Besiedlung aus der mittleren (Milet III, etwa 2000 bis 1650 v. Chr.) und der späten Bronzezeit (Milet IV). Möglicherweise eroberten Mykener die Siedlung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, gesichert ist dies um 1400 (Milet V und VI). Die Hethiter nannten die Stadt Milawata oder Milawanda. Muršili II. zerstörte das im Westen gelegene Millawanda gegen Ende des 14. Jahrhunderts, das sich an einer anti-hethitischen Koalition einiger westanatolischer Fürstentümer beteiligt hatte. Die Mehrheit der Forscher setzt Millawanda mit Milet gleich und verbindet die Zerstörungsschicht von Milet V mit dem Bericht über die Zerstörung Millawandas. Das folgende Milet VI zeigt deutlich mehr hethitische Fundstücke. Möglicherweise gelang es dem Hethiterkönig Tudḫaliya IV. den Einfluss Ahhijawas auf die Küstenstädte, der im Laufe des 13. Jahrhunderts wieder gewachsen zu sein scheint, zurückzudrängen. Die Stadtmauer Milets, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts v. Chr. entstand, zeigt deutliche Parallelen zu hethitischen Stadtmauern, wie der in Ḫattuša.
In einigen westanatolischen Gebieten war die hethitische Herrschaft weniger zu spüren. Vielleicht im späteren Norden Lydiens lag Maša, wo anscheinend ein Ältestenrat, kein König regierte. Es kämpfte gelegentlich gegen die Hethiter, bei Kadesch auf ihrer Seite, und es wurde erst unter dem letzten hethitischen Großkönig Šuppiluliuma II. erobert (Südburg-Inschrift). Ebenfalls von einem Ältestenrat wurde Karkiša regiert, das wahrscheinlich den Kariern einen Herrschaftsrahmen gab. Auch Karkiša kämpfte mit und auch gegen die Hethiter. Bei Lukka handelte es sich eher um eine Städtegruppe mit gemeinsamer ethnischer Herkunft zwischen West-Pamphylien, Lykaonien, Pisidien und Lykien. Ihre Sprache, das Lykische, ist in etwa 200 Inschriften überliefert und weist große Nähe zum Luwischen auf. Zudem weisen diese Gruppen die größte kulturelle Kontinuität zwischen bronze- und eisenzeitlichen Gruppen in Anatolien auf. Das Luwische wurde in weiten Teilen Südanatoliens gesprochen, ebenso wie im Westen.
Die Hethiter errichteten das erste Großreich Anatoliens.61 Sie beherrschten im Kern das Gebiet zwischen Pontus- und Taurusgebirge, führten aber Eroberungs- und Raubzüge bis an die Ägäis und bis nach Babylon. Sie nannten die Ebene von Konya „das untere Land“, „das obere Land“ war hingegen das Gebiet um den Fluss Kızılırmak, den die Hethiter Maraššantiya nannten. Zwar existieren Beschreibungen der rituellen Umzüge der Könige und vor allem der Kriegszüge, doch die meisten der dort genannten Städte-, Fluss- oder Landschaftsnamen lassen sich nicht sicher identifizieren.
Hauptstadt des Reichs war Ḫattuša, etwa 150 Kilometer östlich von Ankara. Um 1900 v. Chr. setzten die Hethiter eine Reihe von Völkerwanderungen in Bewegung, doch unterstanden sie noch keiner Zentralmacht. Ihre Sprache, die sie Nesili nannten, gehörte zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Nesili war die Sprache von Neša (Kültepe), wo eines der frühen Machtzentren bestand, um die sich zwei rivalisierende Reiche entwickelten. Dabei war die materielle Kultur fast von Anfang an von erheblicher Einheitlichkeit. Auch erscheint Eisen schon zu dieser Zeit für rituelle Gegenstände, wie den Thron, das Szepter oder Kultgegenstände. Während des Großreichs erschienen erstmals eiserne Waffen, wenn auch sehr selten; die Mehrzahl der Waffen bestand aus Bronze.
Traditionell wird Labarna I. als Gründer des Reiches genannt, doch erst unter seinem Nachfolger Ḫattušili I. wurde es ein Großreich. „Der von Ḫattuša“, wie sein Name übersetzt heißt, verlegte seine Hauptstadt von Kuššara nach Ḫattuša und führte zahlreiche Feldzüge. So zerstörte er die Stadt Zalpa an der Mündung des Kızılırmak ins Schwarze Meer, dann griff er Jamchad mit der Hauptstadt Halpa in Syrien an, das die Karawanenwege des Zinns kontrollierte. Die Vasallenstadt Halpas, Alalach, wurde zerstört, Ḫattušili zog sich zurück, zerstörte aber auf seinem Weg Ikakali, Tanšinija und Warsiwa. Im folgenden Jahr zog er nach Arzawa im Westen, konnte jedoch offenbar nicht viel ausrichten. Im Gegenteil attackierte das Reich von Halpa mit den Hurritern (dem späteren Reich Mittani) das hethitische Kernland, woraufhin sich anatolische Vasallen von den Hethitern lossagten. Nach mehrmonatigen Kämpfen zogen die Hurriter wieder ab, der Großteil der Vasallen unterwarf sich wieder. Bei seinen Kriegen griff Ḫattušili auf diplomatische Mittel zurück, wie etwa in einem Brief an einen gewissen Tunip-Teššup, den Herrn von Tikunani erkennbar ist, in dem er diesen dazu bewegen will, einen gemeinsamen Kriegszug zu unternehmen und die Beute zu teilen. Wieder zog die hethitische Streitmacht nach Syrien, zerstörte „Zaruna“ und „Hassuwa“, obwohl Halpa sie unterstützte. Sicher ist dabei nur, dass Ḫattušili das Taurusgebirge und anschließend den Euphrat überquerte. Gemeinsam mit dem Panku, einer Art Adelsversammlung oder Hofrat, versuchte er die Nachfolge zu regeln. Nachdem seine Kinder in der Hauptstadt gegen ihn rebelliert hatten, und auch sein Neffe in Ungnade gefallen und verbannt worden war, machte er, wohl in Absprache mit dem Panku, an dessen Rat sich sein Nachfolger halten sollte, seinen Enkel Muršili zu seinem Nachfolger. Muršili gelangen Eroberungen bis zum Oberlauf des Tigris, von Kizzuwatna aus eroberte er Jamchad mit der Hauptstadt Halpa, schließlich zog er 1595 v. Chr. (mittlere Chronologie) sogar bis nach Babylon. Dort erbeutete er die Statue des Gottes Marduk und die Kassiten besetzten die Stadt. Möglicherweise waren sie mit Muršili verbündet.62
Muršili I. wurde gegen 1594 v. Chr. von seinem Schwager und Mundschenk Ḫantili I. ermordet, womit eine Reihe von dynastischen Kämpfen eröffnet wurde. Doch zu dieser Zeit litt das Reich unter einer Dürre und unter Aufständen sowie Angriffen der Hurriter. Zidanta, der Schwiegersohn des Königs, der schon bei der Ermordung Muršilis unter den Verschwörern gewesen war, ermordete nach dem Tod Ḫantilis I. dessen Sohn und machte sich selbst zum König. Doch Zidanta wurde wiederum von seinem eigenen Sohn Ammuna ermordet. Das Reich verlor unter seiner langen Herrschaft nicht nur die syrischen Gebiete sondern auch die kilikische Ebene (Kizzuwatna) und den Westen. Die innerfamiliären Kämpfe endeten damit noch immer nicht. Bei der von Ammunas Bruder Zuru inspirierten Verschwörung gegen den König, der die königliche Leibwache kommandierte, kamen die beiden Königssöhne ums Leben. Nun kam Ammunas illegitimer Sohn Ḫuzziya II. auf den Thron. Telipinu, ein Sohn des Königs Ammuna, der um sein Leben fürchten musste, stürzte nun seinerseits den König und bestieg den Thron. Aus Gründen der dynastischen Legitimation heiratete er die Schwester der Ermordeten. In einem Thronfolgeedikt nach Niederschlagung eines Aufstands seines Vorgängers, bei dem sein Kronprinz und die -prinzessin ums Leben gekommen waren, ebenso wie sein Vorgänger und dessen Brüder, erinnerte Telipinu an die angeblich ruhigen Zeiten der früheren Großkönige. Diese Kämpfe versuchte er mit dem Telipinu-Erlass zu beenden, der eine Thronfolge festlegte, vor allem aber die Bestrafung ganzer Sippen und die Blutrache untersagte. Dabei räumte er dem Panku erhebliche Macht ein. Er schloss zudem einen Vertrag mit Kizzuwatna, das sich unabhängig gemacht hatte. Mit seinem Tod endete das sogenannte Alte Reich.
Unter Ḫantili II. griffen Kaškäer aus dem Gebiet zwischen Ankara und dem Schwarzen Meer Ḫatti an, so dass die Hauptstadt befestigt werden musste. Sie waren Hirten, denen die Hethiter so sehr misstrauten, dass sie nur in bestimmten Städten Handel treiben durften. Besonders heftig wurden die Auseinandersetzungen in Syrien, bei denen Ägypten unter Thutmosis III. und Mittani wichtige Rollen spielten. Kizzuwatna in Südostanatolien wurde zunächst als Pufferstaat zwischen diesen Großmächten aufrechterhalten. Zugleich machte sich ein erheblicher kultureller Wandel vor allem seit Tudḫaliya I. bemerkbar, seit dem die Könige von Ḫatti häufig einen hattischen Eigennamen und einen hurritschen Thronnamen führten, was als Indikator für eine „Hurritisierung“ gilt. Tudḫaliya war mit der Hurriterin Nikalmati verheiratet, die anscheinend großen Einfluss auf die religiöse Entwicklung nahm.
Tudḫaliyas Nachfolger war Arnuwanda I. (um 1400), der sich in dauerhafte Kämpfe mit Kaškäern und Isuwiern verwickelt sah. Ḫattuša wurde unter Tudḫaliya II. niedergebrannt, und die syrischen Gebiete gingen verloren. Erst Šuppiluliuma I. konnte sich gegen die Angreifer durchsetzen. Er war ein erfolgreicher Feldherr und verschwor sich, nachdem Tudḫaliya II. um 1355 v. Chr. gestorben und Tudḫaliya III. Großkönig geworden war, mit einem Teil der Oberschicht, ermordete den König, womöglich nach einem Bürgerkrieg, und wurde selbst Großkönig.
Unter seiner Herrschaft wuchs die Hauptstadt auf das Dreifache ihrer bisherigen Größe an. Er konnte die Kaskäer vom hethitischen Kernland abdrängen. Nach dieser Konsolidierung kam es zu Konflikten mit dem Mittanireich unter König Tušratta, der mit Ägypten im Bund stand, und hethitische Beutestücke dorthin sandte. Šuppiluliuma schloss einen Vertrag mit dem zwischen Ḫatti und Mittani gelegenen Hajaša, ebenso wie mit Ugarit, und er bot Babylon ein Heiratsbündnis an. Daraufhin attackierte eine Koalition von Kleinstaaten, die auf Seiten Mittanis stand, Ugarit. Als Artatama II. gegen Tušratta Thronansprüche erhob, wurde er von Assyrien und Šuppiluliuma unterstützt, der bis vor die Hauptstadt Waššukanni zog und sie plünderte. Tušratta vermied die offene Schlacht, zog sich nach Osten zurück; Šuppiluliuma überquerte den Euphrat und belagerte vergeblich Karkemiš. Danach unterwarf er weitere Vasallenstaaten der Mittani. Wahrscheinlich um diese Zeit schloss er einen Vertrag mit dem ugaritischen König Niqmaddu II., der sich von den syrischen Städten unter Druck gesetzt sah. Nach Abschluss dieses Vertrages schuf Šuppiluliuma in Halpa ein Vizekönigtum für seinen Sohn Telipinu. Ägypten war zu dieser Zeit mit der Amarna-Revolution unter Echnaton beschäftigt, und griff daher nicht ein. In einem weiteren Feldzug wurde Qatna zerstört, worauf ägyptische Streitwagen gegen Kadesch vorrückten, während Truppen des Mittanireichs die Hethiter in Nordsyrien angriffen. Etwa zur selben Zeit wurde Tušratta von Mittani gestürzt, sein Sohn Šattiwazza floh zu Šuppiluliuma, der ihn mit seiner Tochter verheiratete. Nun zog eine Armee nach Mittani, eine weitere gegen die Ägypter. Die Dahamunzu-Affäre versinnbildlichte die Gleichrangigkeit des Hethiterreichs mit dem der Ägypter. Die Witwe des Pharaos wollte einen der Söhne Šuppiluliumas ehelichen. Dieser eroberte jedoch Karkemiš und setzte seinen Sohn Šarri-Kušuh als Vizekönig ein. Nach einer erneuten ägyptischen Gesandtschaft im folgenden Jahr sandte Šuppiluliuma seinen Sohn Zannanza nach Ägypten, der jedoch zu Tode kam, woraufhin die Hethiter das ägyptische Syrien attackierten.
Mit den Gefangenen kam jedoch eine Seuche nach Ḫatti, die noch unter Muršili II. grassierte; Šuppiluliuma und sein ältester Sohn und Nachfolger Arnuwanda II. zählten zu ihren Opfern. Muršili versuchte mittels Orakelanfragen den Grund für den Zorn der Götter und den damit verbundenen Ausbruch der Seuche festzustellen. Im 2. Pestgebet der „Mannestaten Šuppiluliumas“ (auch „Annalen Šuppiluliumas“ genannt) nennt der König den Bruch des Kurustama-Vertrages. Dies ist hier weniger von Bedeutung als die Tatsache, dass dieser Vertrag der älteste zwischenstaatliche Vertrag ist. Am ehesten kommt die Regierungszeit von Tudḫaliya I. in Frage; auf ägyptischer Seite nur die Zeit der Könige Amenophis II. und Thutmosis III. Letzterem wird dabei eine größere Wahrscheinlichkeit zugesprochen. Šarri-Kušuh gelang im Krieg gegen Mittani die Eroberung obermesopotamischen Gebiets, vor allem aber wurde Šattiwazza als König in Mittani eingesetzt, der seinerseits einen Vertrag mit Ḫatti abschloss. Telipinus Sohn und dessen Nachkommen wurden Könige von Halpa.
König Muršili II. gelangte jung auf den Thron und sah sich zahlreichen Feinden gegenüber. Er hoffte, die Götter durch Gaben und Gebete dazu bewegen zu können, die Epidemien zu beenden, die das Land zwanzig Jahre lang plagten. Er glaubte, dass ein starker Staat im Sinne der Götter sei, und er renovierte zahlreiche ihrer Tempel. Orakel sagten ihm, dass die moralischen Vergehen seines Vaters die Ursache für den Zorn der Götter wären. Es gelang ihm, das Reich wieder zu stärken, wenn auch nicht gleich zu Anfang seiner Herrschaft. Im ersten Jahr griffen ihn die Kaskäer an, die er nie endgültig besiegen konnte, im zweiten Jahr griff Assyrien Karkemiš an und drang ins Untere Land vor. Ihm gelang jedoch ein Sieg über die Kaskäer, dann die Eroberung Arzawas bis zur Ägäis. Die übrigen vier Reiche von Arzawa wurden Vasallen des Großreichs. Muršili bekämpfte Pihhunija, den einzigen König der Kaskäer; er hatte die Kaskäer geeinigt und das Untere Land überfallen. Der Hethiter wehrte einen ägyptischen Angriff in der Schlacht bei Karkemiš ab, wodurch Nordsyrien weiter unter hethitischer Kontrolle blieb. Zudem gelang es, Ugarit im Status eines Vasallen zu halten, indem ein neuer Vertrag unterzeichnet wurde.63 Muršili eroberte das abgefallene Karkemiš zurück, setzte den Sohn des verstorbenen Šarri-Kušuḫ Šaḫurunuwa als Statthalter ein und Sarruwa als Herrscher von Halap.
Muršilis Sohn und Nachfolger Muwattalli II. verlegte die Hauptstadt nach Tarḫuntašša im Taurusgebirge, östlich von Antalya. Auch er geriet in Konflikt mit Ägypten. Ramses II. bewegte den hethitischen Vasallenstaat Amurru zum Abfall. Die Schlacht bei Kadesch im Jahr 1274 v. Chr. brachte keine Entscheidung im Dauerkonflikt; seine Truppen hatten allerdings keinen Auftrag, Ägypten selbst anzugreifen. Muwattallis Bruder Ḫattušili III. schloss 1259 einen Friedensvertrag. Muwattalli schloss einen Unterwerfungsvertrag mit Alaksandu von Wilusa, das vielleicht mit Troja identisch ist. Sein Nachfolger Muršili III. verlegte den Sitz seiner Regierung wieder in die alte Hauptstadt. Mittani eroberten die Assyrer, ohne dass Muršili die zugesagte Unterstützung bot; das assyrische Friedensangebot lehnte Muršili brüsk ab. Ramses II. zog 1271 und 1269 v. Chr. nach Syrien und eroberte mehrere hethitische Städte, die jedoch von Šahurunuwa, dem Statthalter von Karkemiš zurückgewonnen wurden.
Ḫattušili III., der jüngste Sohn Muršilis II., stürzte Muršili III., doch war die Legitimität der Herrscher mittlerweile so stark gefestigt, dass es göttlicher Legitimation bedurfte, um den Umsturz zu rechtfertigen, insbesondere der Ištar von Šamuḫa, der sich der kränkliche König verpflichtet fühlte. Kuruntiya, dem jüngeren Bruder seines Vorgängers, verschaffte er die Herrschaft über Tarḫuntašša.
Unter seinem Sohn Tudḫaliya IV. kam es zu Auseinandersetzungen mit dem expandierenden Assyrien unter Tukulti-Ninurta I.; Išuwa, eine Gegend in Ostanatolien, fiel an Assur. Ein Brief Tukulti-Ninurtas aus Ugarit erwähnt einen Sieg über ein hethitisches Heer in Obermesopotamien. Außerdem wurde Tarḫuntašša, wo sich zeitweise die Hauptstadt befunden hatte, nun unabhängig. Andererseits gelang die Eroberung von Alašija (Zypern). Eine seiner wichtigsten Aufgaben sah der König anscheinend in der Auflistung und Renovierung aller Tempel.
Offenbar traf das Hethiterreich nun eine katastrophale Hungersnot. Pharao Merenptah (ca. 1212–1203) lieferte Getreide, um die Not zu lindern. Zwischen 1194 und 1190 v. Chr. wurde zudem Ugarit zerstört, Zypern ging verloren, dessen Herrscher den König von Ugarit, Hammurapi III., vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt hatte. Die ugaritischen Fußtruppen und die Flotte verteidigten jedoch zu dieser Zeit das hethitische Kernland und die Südküste, während Šuppiluliuma II. Kämpfe um die Lukka-Länder im Westen führte. Wann das hethitische Großreich verschwand, und ob es zu hauptstädtischen Aufständen kam, ist nicht bekannt, die Hauptstadt weist jedenfalls nur geringe Zerstörungsspuren auf. Vielleicht wurde sie erneut verlegt. Kuruntiya, der Vizekönig in Tarḫuntašša, mischte sich nun in den Kampf um das Großreich ein, doch eine Inschrift verweist auf einen Sieg Šuppiluliuma über Tarḫuntašša.
Eine Rolle beim Untergang des Reiches könnten Piratenflotten gespielt haben, die als Šikalayau in den Quellen erscheinen. Sie „leben in Schiffen“, wie es heißt, und der König von Ugarit sollte 150 Schiffe gegen sie ausschicken. Wenig später fanden sich diese Seevölker aus Sizilien, Sardinien, Etrurien64, aber auch Männer aus Adana und Philister in Mukiš, nördlich von Ugarit und an zahlreichen anderen Orten bis hinunter nach Ägypten. Mykenische Flüchtlinge, deren Keramik entdeckt wurde, verweisen darauf, dass auch andere Völker der Region versuchten, sich vor den Flotten in Sicherheit zu bringen. Das hethitische Kernland wurde wohl von Kaskäern besetzt. In diese Zeit fällt wahrscheinlich auch die Zerstörung der westanatolischen Stadt Troja.
2017 teilte die Stiftung Luwian Studies mit, dass eine luwische Hieroglypheninschrift übersetzt worden sei, die Hinweise auf die Herkunft der Seevölker gebe. Die Inschrift stammt aus dem Nachlass von James Mellaart. Der Archäologe George Perrot soll sie 1878 in Beyköy im Landkreis İhsaniye kopiert haben, wobei die dortigen Steinblöcke später in das Fundament einer Moschee eingemauert wurden. In der knapp 30 m langen Inschrift werden Kriegszüge des Königreichs Mira geschildert, darunter ein Unternehmen von vier luwischen Herrschern mit 500 Schiffen und 10.000 Kriegern gegen Zypern, Karkemisch und Syrien, das bis an die Grenzen Ägyptens reichte.64d
Hinter diesen Katastrophen stand wiederum, wie so oft, eine drastische Veränderung des Klimas in der Zeit zwischen 1250 und 1100 v. Chr., wie zwischen 2010 und 2013 ein Forschungsteam der Universität Tel Aviv belegen konnte. Dabei wurden die Pollen aus mehr als 20 m dicken Sedimentschichten aus dem Toten Meer in Intervallen von 40 Jahren systematisch ausgezählt. Schon Mitte des 13. Jahrhunderts klagte eine Hethiterkönigin gegenüber Ramses II., sie habe kein Getreide in ihrem Reich. Die Pollenuntersuchungen im Toten Meer zeigten, dass sich die Bestände von Eichen, Kiefern, Oliven- oder Johannisbrotbäumen deutlich verminderten, wohl infolge der zunehmenden Trockenheit.65f
Die hethitische Kultur überlebte bis um 700 v. Chr. in mehreren Kleinstaaten in Ostanatolien, zum Beispiel in Melid, dem heutigen Malatya, Zincirli, Karkemiš und Tabal.
Im Südosten Anatoliens waren es vor allem Tarsus und Mersin, die für die späte Bronzezeit von großer Bedeutung waren.65 Entsprechend der Zeit vor der hethitischen Okkupation und während ihrer Herrschaft teilte man die Epoche in Späte Bronzezeit I (1650–1450 v. Chr.) und II (1450–1100) ein, wobei II noch einmal in eine hethitische und eine ägäische eingeteilt wurde; IIa (1450–1225) war durch Monumentalbauten der Hethiter, IIb (1225–1100) durch Spuren der „Seevölker“ gekennzeichnet. Heute setzt man die Späte Bronzezeit I etwa 100 Jahre später an, II etwa 40 Jahre. Während Tarsus stark von den Machtwechseln zwischen Mittani, Assyrien, den Hethitern und den Seevölkern geprägt war, wurde der Südosten, vor allem am Tigris von einer Zwischenhandelszone zwischen Mesopotamien und Anatolien zu einem Grenzgebiet zwischen den Großmächten. Daher wurden hier die meisten Handelssiedlungen aufgegeben, während zahlreiche Festungen entstanden. Zugleich nahm, im Gegensatz zu Tarsus, der hethitische Einfluss zugunsten des syrischen ab. Am Ende der Bronzezeit wurden die Militärsiedlungen aufgegeben, weite Regionen scheinen unbewohnt oder nur kurzzeitig von Landbesetzern bewohnt gewesen zu sein. Die Region erholte sich erst um 1000 v. Chr.
Unsere Kenntnisse von der frühen Eisenzeit Zentralanatoliens, die der großräumigen Herrschaft von Phrygien im Westen und Urartu im Osten vorausging, sind mangels entsprechender Grabungen gering, das gilt umso mehr für das zentralanatolische Plateau.66 Die ältere Einteilung in frühe Eisenzeit, oftmals als Dunkles Zeitalter oder Dunkle Jahrhunderte bezeichnet, mittlere und späte, ist nicht mehr unumstritten. Nach dem Ende des hethitischen Reiches errichteten die Phryger unter ihrem König Midas ein Reich, das im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. Westanatolien beherrschte. Seit 850 v. Chr. bestand im Osten Anatoliens (mit Zentrum am Vansee) das Reich Urartu.
Ende des 8. Jahrhunderts erreichten die vielleicht skythischen Kimmerer Anatolien. Baumringuntersuchungen in Gordion, 100 km südwestlich von Ankara am Sakarya gelegen, weisen phrygische Spuren zwischen 1071 und 740 v. Chr. auf, wobei sich Hinweise auf feuchteres, kühleres Klima ergaben, was der Landwirtschaft förderlich gewesen sein dürfte. Die frühphrygische Stadt wird auf 950 bis 800 v. Chr. datiert, die mittelphrygische auf 800 bis 540 v. Chr. (die spätphrygische Stadt war bis um 400 v. Chr. politisch unbedeutend, aber wirtschaftlich von hoher Integrationskraft). Eine groß angelegte Neugestaltung der Oberstadt wurde, wie lange aufgrund assyrischer und griechischer Quellen angenommen, nicht von Kimmerern durch die Zerstörung Gordions schlagartig beendet, sondern bereits um 800 v. Chr. durch einen Stadtbrand. Mit der Zerstörung Gordions durch die Kimmerier 697 oder 676 v. Chr. brach das Phrygerreich zusammen.67
Es war offenbar bereits zuvor von den Lydern in Bedrängnis gebracht worden. Die späte Eisenzeit, die erst mit Alexander dem Großen endete, brachte wiederum einen weiträumigen Handel hervor, sowie einen kulturellen Wiederaufstieg. Um 680 v. Chr. zerstörten die Lyder das Phrygerreich, doch 644 v. Chr. kam König Gyges (Guggu) in der Schlacht gegen die Kimmerer, in deren Folge die Hauptstadt Sardes eingenommen wurde (Herodot I,15), ums Leben. Die Kimmerer plünderten darüber hinaus zusammen mit den Treren die ionischen Städte. Erst um 600 gelang die Vertreibung der Kimmerer durch den Lyderkönig Alyattes II. (Herodot I,16), den Vater des berühmten Krösus (Kroisos). Ab 590 lagen die Lyder mit der neuen Großmacht der Meder in Konflikt, die die politische Landschaft erneut drastisch veränderten. Sie hatten 614 v. Chr. im Bündnis mit Babylon das Reich der Assyrer und die Stadt Assur zerstört, zwei Jahre später die assyrische Hauptstadt Niniveh.
Neben Gordion bestehen in Zentralanatolien nur drei weitere eisenzeitliche Grabungsstätten, diese sind Boğazkale (früher Boğazköy, über 200 km östlich von Ankara), das etwa 180 ha umfasste und zuvor die hethitische Hauptstadt war, Çadır Höyük und Kaman-Kalehöyük, etwa 100 km südöstlich von Ankara.70 Sie weisen auf das Verschwinden der Töpferscheibe hin (mit der Ausnahme von Kaman), also wohl auf die Rückkehr vorwiegend regionaler Produktion statt überregionalen Handels. Die Zonen kultureller Ähnlichkeit, die vor allem in der Keramik erkennbar sind, wurden kleinräumiger. Boğazkale war zugleich der erste Nachweis, dass es überhaupt eine Siedlungskontinuität zwischen später Bronze- und früher Eisenzeit gab. Dabei handelte es sich allerdings zunächst um ein kleines Dorf, das offenbar hethitische Materialien aus den monumentalen Überresten wiederverwertete. Am Ende der Eisenzeit erreichte das größte Gebäude Maße von 20 mal 30 m, doch wurde die Siedlung um 600 v. Chr. aufgegeben. Etwa 10 km nördlich von Çadır Höyük fand man die riesige späteisenzeitliche Festungsstadt Kerkenes, die sich über 250 ha erstreckte.71 Sie wurde zwischen dem Ende des 7. und der Mitte des 6. Jahrhunderts vollständig zerstört, die gewaltigen, 7 km langen Mauern geschleift.
Zum Herrschaftsbereich der Lyder gehörten auch die griechischen Siedlungen an der Westküste, unter denen Milet eine Vorrangstellung einnahm. Diese Ionischen Städte hatten eine privilegierte Stellung genossen, und es war zu einer kulturellen Annäherung gekommen. So hatte Kroisos laut Herodot im Vorfeld seines Feldzuges gegen die Perser das Orakel von Delphi konsultiert. Als das Lyderreich von den Persern erobert wurde, widersetzten sich viele Städte wie Ephesos und Priene, mit Ausnahme Milets, den Eroberern, wenn auch letztlich ohne Erfolg, auch wenn sich ihnen Karer, Kaunier und Zyprer anschlossen, ebenso wie die Stadt Byzantion. 498 v. Chr. unterlag das griechische Landheer gegen die persische Armee bei Ephesos. Zwei der drei Schwiegersöhne des Perserkönigs kamen ums Leben, doch der dritte, Otanes, und der Satrap von Sardes, Artaphernes griffen die Griechen erfolgreich an.
In Ostanatolien setzt sich die Gleichsetzung der frühen Eisenzeit mit der vor-urartäischen Phase, der mittleren mit der urartäischen und der späteren Eisenzeit mit der medischen und archämenidischen Phase langsam durch.72 Die lokal verfügbaren Eisenerzfunde reduzierten die Abhängigkeit vom Zinn- und Kupferfernhandel, der die Bronzezeit kennzeichnete stark, jedoch in einem langsamen Prozess. Die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge des Untergangs des Hethiterreichs dürften, wie auch einige Brandhorizonte belegen, dramatischer gewesen sein. Am Van-See ist dabei die archäologische Situation noch ungünstiger. Wie assyrische Quellen belegen, bestanden jedoch Herrschaften in der Region, wie etwa Uruatri und Nairi, doch die Nennung von 60 Königen bleibt eher unglaubhaft. In der Region Erzurum ist die frühe Eisenzeit hingegen besser zu fassen, etwa in Sos Höyük, das bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. bewohnt war.
„Uruatri“ taucht erstmals in mittelassyrischen Texten aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. auf, doch meinte dies wohl nur die Landschaft am Vansee; die dortigen Einwohner nannten ihr Gebiet in ihrer Sprache „Biai-nili“, doch hat sich in der Wissenschaft die assyrische Bezeichnung durchgesetzt. Ihre Hauptstadt war Tušpa. Zeitweise erreichten die Urartäer Karkemiš im Süden und Qulha im Nordwesten, ihr Reich umfasste den Sewansee und das Araxes-Tal im Norden73, den Urmia-See im Osten und Rawanduz im Südosten. Feldzüge urartäischer Herrscher fanden bis nach Georgien statt.74 Entweder Išpuini oder sein Sohn Menua eroberten um 810 Hasanlu in Mannai. Gegen Ende der Regierungszeit von Išpuini fanden Feldzüge zum südlichen und westlichen Teil des Urmia-Sees statt, die unter anderem durch die Inschrift von Taštepe und die Stele von Karagündüz belegt sind.75
Die Eisenzeit ist, was ihre materiellen Hinterlassenschaften anbetrifft, in Südostanatolien in der Hauptsache durch Notgrabungen, die die Staudämme am Tigris und vor allem am Euphrat erzwangen, heute besser bekannt, als noch vor wenigen Jahren.75a Politisch war die Epoche durch die Expansion der mesopotamischen Reiche, vor allem der Assyrer und Babylonier, schließlich der Meder und Perser gekennzeichnet.
Nach dem Ende des Hethiterreichs beriefen sich einige Herrscher auf dessen Großkönige. Es entstand eine Reihe vergleichsweise kleiner Staaten, von denen die nördlichen eher von hethitischen, die südlichen ab etwa 1000 v. Chr. eher von aramäischen Herrschern geführt wurden. Dabei war Mehrsprachigkeit verbreitet. Unter dem Druck Assyriens schlossen sich einige hethitische Nachfolgestaaten wie Sam'al und Kizzuwatna der Herrschaft von Karkemiš an, es entstanden aber auch Städtebündnisse gegen die Großmacht. Daneben bestand Kummuh um das spätere Samosata oder das luwische Tabal nordwestlich von Malatya, das ähnlich wie Karkemiš die Nachfolge der hethitischen Großkönige beanspruchte. Qu'e mit den Städten Tarsus, Adana und den Festungen Sirkeli Höyük und Karatepe fiel 725 v. Chr. an die Assyrer, Karkemiš folgte 717 v. Chr. Damit wurde ein erheblicher Teil Südostanatoliens bis gegen Ende des Assyrerreiches unterworfen, wenn es auch immer wieder zu Aufständen kam. Ab 607 v. Chr. wurde Kilikien unter den Syennesis unabhängig, jedoch machte das Neubabylonische Reich Ansprüche im Südosten geltend.
550/549 gelangten die Perser in den Besitz der Mederhauptstadt Ekbatana und bereits 547 drang der Perserkönig Kūruš (Kyros II.) nach Südostanatolien vor und eroberte Urartu. Dann besiegte er den Lyderkönig Kroisos und annektierte wohl 54175c dessen Hauptstadt Sardes und sein Reich, das bis zu den Griechenstädten an der ägäischen Küste reichte. Sardes wurde zur Hauptstadt einer persischen Satrapie, 539 fiel auch Babylon. Bis 333 v. Chr. (Schlacht bei Issos) herrschten die Perser über Kleinasien, bis Alexander der Große sie besiegte und ein Reich bis nach Indien errichtete.
Zwar siedelten Griechen schon sehr lange im Westen der Türkei, doch erst mit der Großen Kolonisation von der Mitte des 8. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. erreichte sie praktisch alle Küstenregionen um Thrakien und Anatolien, aber auch nach Süd- und Westeuropa. Dabei hat sich im vorderasiatischen Bereich vor allem Milet mit Kolonien im Schwarzmeergebiet, darunter Apollonia Pontike, Sinope, Trapezous, weiter im Nordwesten Odessos und Olbia, sowie mit der Gründung von Kyzikos an der Propontis hervorgetan. Für die Griechen war diese Meerenge von entscheidender Bedeutung. Hier fuhren die Schiffe entlang, die Athen und andere Poleis mit Getreide aus der heutigen Ukraine versorgten. Zur Sicherung dieses strategisch wichtigen Punktes, der gleichzeitig Schlüsselstelle der Landverbindung von Europa nach Asien sowie des Seewegs von der Ägäis ins Schwarze Meer war, wurde von mégarischen Siedlern um 685 v. Chr. die erste Kolonie auf der asiatischen Seite des Bosporus' gegründet: Kalchedon (griechisch: Καλχηδών), an der Stelle des heutigen Kadıköy. In der bereits von Thrakern besiedelten Gegend auf der europäischen Seite kam es 17 Jahre nach der Gründung von Kalchedon zu einer zweiten Stadtgründung durch Megarer, zusammen mit Kolonisten aus Argos und Korinth. Der thrakische Name der neuen Siedlung, Byzantion (griech.: Βυζάντιον), wurde später als Stadt des legendären Anführers, Byzas aus Megara, gedeutet. Die Neugründung lag auf der östlichen Spitze einer nördlich an das Goldene Horn und südlich an das Marmarameer angrenzenden Halbinsel. Da dieser Ort sehr viel geeigneter für eine Stadtgründung war, galt Kalchedon von da an als „Stadt der Blinden“, weil ihre Bewohner den hässlicheren Platz einem schöneren vorgezogenen hatten. Der Legende nach erhielt Byzas vom Orakel von Delphi die Antwort, er solle sich gegenüber der „Stadt der Blinden“ ansiedeln. Ab 541 hatten die griechischen Kolonien Kleinasiens fast überall das persische Großreich als Nachbarn.
Ein Bündnisangebot Athens im Jahr 507 v. Chr. wurde von den Persern als Unterwerfung des Stadtstaats aufgefasst. 499 v. Chr. brach ein Aufstand in den griechischen Gebieten Kleinasiens gegen die persische Herrschaft aus, die von Athen und Eretria unterstützt wurde. Die Aufständischen nahmen 498 v. Chr. Sardes ein. Der Aufstand, der sich bis nach Zypern und den thrakischen Odrysen ausweitete, wurde 494 v. Chr. niedergeschlagen, Milet zerstört. 492 v. Chr. wurde Thrakien erneut unterworfen, 490 das mit Athen verbündete Eretria zerstört; ein persisches Heer landete schließlich in Attika mit der Absicht, Athen zu erobern. Doch scheiterte es in der Schlacht bei Marathon; weitere Versuche scheiterten in den Schlachten von Salamis und Plataiai (480 und 479 v. Chr.).
Athen übernahm nun die Führungsrolle im Kampf gegen die Perser (Perserkriege), die griechischen Städte Kleinasiens wurden bis 386 unabhängig. Erst 449 v. Chr. wurde ein Frieden zwischen dem Perserkönig und Athen geschlossen. Im Korinthischen Krieg (399 bis 386 v. Chr.) trat das Perserreich auf Seiten Athens und Thebens ein; diese gegen Sparta gerichtete Koalition siegte. Im Königsfrieden wurde festgelegt, dass die kleinasiatischen Griechenstädte wieder dem Perserreich unterstehen und dass alle anderen griechischen Städte unabhängig sein sollten. Trotz dieses Erfolges wurde die Perserherrschaft weiter erschüttert. In den sechziger Jahren des 4. Jahrhunderts brachen in Kleinasien mehrere Aufstände aus, die früher als „Großer Satrapenaufstand“ bezeichnet wurden. Es handelte sich jedoch um voneinander unabhängige Aufstände. Dabei gelangten örtliche Herrscher wie der Karier Maussollos zu beträchtlicher Macht. Letztmals gelang König Artaxerxes III. für wenige Jahre die Wiederherstellung der persischen Macht, die schließlich ab 334 v. Chr. von Alexander dem Großen zerschlagen wurde.
Alexander der Große zeigte schon nach seinem ersten Sieg über die Perser, dass er das vorgefundene System der Satrapien übernehmen wollte, indem er den Makedonen Kalas mit der gerade eroberten Satrapie Daskyleion betraute. Als Sardes in Alexanders Hand gelangte, wurde der Stadt erlaubt, nach dem bisherigen Herkommen zu leben und Alexander gab ihr innenpolitisch freie Hand. Den anfänglichen Widerstand auch griechischer Städte, wie Milet, konnte er überwinden, zog dann nach Gordion und schließlich nach Kilikien. 333 v. Chr. siegte Alexander bei Issos und begann die Eroberung des übrigen Perserreiches. Dabei waren erhebliche Teile Kleinasiens, vor allem Kilikien und der Norden von seiner Herrschaft unberührt. Mit Blick auf die Satrapien verfuhr Alexander ähnlich wie anfangs die Perserkönige, denn er beließ ihnen wo möglich ihr Amt und übernahm die Einteilung in Amtsbezirke. Erst später wurden diese immer wieder aufgespalten. So hatten bis zur Herrschaftszeit Dareios' I. die eroberten Königreiche in dieser Form gleichsam fortbestanden, die erst durch Verwaltungsreformen nach und nach umstrukturiert und verkleinert worden waren. So trat neben die königliche Verwaltung, die auch die königlichen Güter übernahm, eine Art Vertretung der Völker durch den Satrapen. Nach Dareios kam es zwar zu einer Machtsteigerung der einzelnen Satrapen, vielleicht bedingt durch den Kampf gegen die Griechen, die jedoch durch Verkleinerung des Machtraumes kompensiert wurde. Alexander legte nun in partieller Umkehrung dieses langen Trends in den Grenzbereichen Satrapien wieder zusammen, um sie militärisch zu stärken.76
Nach dem Tod Alexanders 323 v. Chr. erhielt sein griechischer Sekretär Eumenes das noch zu erobernde Kappadokien, das der persische Satrap Ariarathes I. bis 322 gegen die Makedonen verteidigte. Sein Adoptivsohn Ariarathes II. floh nach Armenien, konnte jedoch Jahrzehnte später Kappadokien zurückerobern. Ihm folgte sein Sohn Ariaramna, der die Oberherrschaft der Seleukiden anerkennen musste, die den Osten des Alexanderreiches erhielten. Ariaramnas Sohn und Nachfolger Ariarathes III. heiratete Stratonike, die Tochter des Seleukidenkönigs und nannte sich ab etwa 250 v. Chr. König (basileus).
Bereits vor dem Tod Alexanders hatten sich seine makedonischen Offiziere für den Kampf um die Macht zu positionieren begonnen. Entsprechend der Babylonischen Reichsordnung nach dem Tod Alexanders wurde auch Anatolien aufgeteilt. Armenien ging an Neoptolemos, Kilikien an Philotas, Lydien ging an Menandros, Karien an Asandros, Kleinphrygien, das „hellespontische Phrygien“, an Leonnatos, Großphrygien hingegen, dazu Lykien, Pamphylien und Pisidien, gingen an Antigonos den Einäugigen. Dieser wurde 321 v. Chr. zum Heerführer in Asien ernannt und damit beauftragt, Eumenes zu beseitigen, der zusammen mit Perdikkas die Rechte der Königsfamilie gegen die Machtansprüche der Offiziere verteidigte. Nach dem Tod des Perdikkas (320 v. Chr.) und der Ermordung der meisten Mitglieder der Königsfamilie bis 316 v. Chr. trugen die Diadochen ihre Kämpfe offen aus. 311 v. Chr. einigte man sich auf einen Frieden, der das Reich Alexanders faktisch aufteilte, um 310 wurden Alexanders Sohn und seine Mutter ermordet. 301 v. Chr. wurde Antigonos als letzter, der das Gesamtreich beanspruchte, besiegt. Seine Erhebung zum König machte den Weg auch für die anderen Diadochen frei, auch formal insgesamt sechs Dynastien zu gründen. Die Freiheit der griechischen Städte war damit erneut bedroht, den neuen Oberherren wurde göttliche Verehrung erwiesen. Nach Ipsos fiel Kleinasien an Lysimachos, der in Thrakien residierte und in Kleinasien Alexandria Troas gründete. Seinen Staatsschatz deponierte er in Pergamon. Er ließ seinen Sohn ermorden, da er glaubte gegen ihn zu intrigieren, seine ptolemäische Frau floh zu Seleukos.
In der Schlacht von Kurupedion siegte 281 v. Chr. Seleukos I. und brachte Kleinasien an sich, so dass er kurzfristig zum mächtigsten Diadochen wurde, der das Alexanderreich beherrschte, sieht man von Ägypten ab. Nachdem er jedoch den Hellespont überquert hatte, um seine Herrschaft auch in Makedonien durchzusetzen, wurde er ermordet. Damit starb der letzte Offizier Alexanders, die nächste Generation der Epigonen teilte sich das Reich. In Kleinasien erkämpften sich die kleineren hellenistischen Königreiche Pergamon, Bithynien, Pontos und Kappadokien ihre Autonomie, während sich die Ptolemäer, die ihren Machtmittelpunkt in Ägypten hatten, in den meisten Küstengebieten festsetzen konnten, zunächst in Phaselis und Xanthos. Zudem konnte er den ägäischen Nesiotenbund dominieren und Einfluss in Kilikien erlangen.
Als neuer Unruhefaktor im zersplitterten Kleinasien kam das keltische Galatien hinzu, wie wir aus hellenistischen Quellen erfahren.77 Kelten, die sich kurz zuvor bei Byzantion niedergelassen hatten, wurden vom bithynischen Herrscher Nikomedes I. 278 v. Chr. gegen seinen Bruder zu Hilfe gerufen. Nach dem Sieg stießen die drei Stämme der Tolistoagier, Trokmer und Tektosagen weiter in das Innere Kleinasiens vor, wo sie sich, von Antiochos I. in der Elefantenschlacht (268 v. Chr.) besiegt78, niederließen und das Königreich Galatien gründeten. Dabei lebten die Tolistoagier im Westen um Pessinus und Gordion, die Tektosagen um Ankyra (Ankara) und die Trokmer am rechten Ufer des Halys.79 Sie verdingten sich bei Seleukiden und Ptolemäern weiterhin als Söldner. Die Erpressung der westlichen Küstenstädte führte zur Einführung der sogenannten „Galatersteuer“, mit der Antiochos II. die Tribute belegte „und so an ihren Erpressungen mitverdiente“80. Um 230 v. Chr. gelang es Attalos I. von Pergamon, die Galater zweimal zu besiegen und 184 bis 165 v. Chr. errang Eumenes II. die Oberherrschaft über sie; dies gelang, nachdem 189 v. Chr. der römische Konsul Gnaeus Manlius Vulso mehrere ihrer Festungen hatte erstürmen lassen und zahlreiche Kelten in die Sklaverei verkauft hatte.81
Rom hatte 190 v. Chr. den Krieg gegen den Seleukiden Antiochos III. siegreich abschließen können. 188 v. Chr. wurde die Aufteilung des Seleukidenreichs durch den Frieden von Apameia vollendet. Hauptgewinner war Eumenes II., dessen Herrschaftsgebiet sich vervierfachte. Städte, die Antiochos III. Tribut entrichtet, aber Rom im Krieg unterstützt hatten, blieben frei von Tributforderungen, alle Städte aber, die dem Pergamener Attalos Tribut gezahlt hatten, entrichteten nun die gleiche Summe an Eumenes. Schließlich mussten die Städte, die zu Antiochos übergelaufen waren, und ihm Tribut entrichtet hatten, diese Summen an Eumenes zahlen. Ohne Tributpflicht blieben alte Verbündete.82 Pergamon umfasste nun Lykaonien, die beiden Phrygien, Mysien, Lydien und Ionien. Doch war diese neue Großmacht ein Gemisch verschiedener Völker, Institutionen und Lebensformen. 133 v. Chr. vererbte der letzte König Attalos III. sein Reich an Rom, wenn auch Aristonikos, ein illegitimer Sohn Attalos II., noch vier Jahre lang Widerstand leistete.
Bis 60 v. Chr. kamen die Küstenregionen durch Pompeius zum Römischen Reich, auch wenn König Mithridates VI. Eupator von Pontus (121-63 v. Chr.) in drei Kriegen versucht hatte, Kleinasien zum Aufstand gegen die Römer zu bewegen. Nach und nach unterwarf Rom ganz Kleinasien, und um 65 wurden die Provinzen neu aufgeteilt. So entstanden Pontus im Norden, Asia im Westen, Lycia et Pamphylia im Südwesten und Cilicia im Südosten. Die Könige von Galatien, Kappadokien und Paphlagonien wurden Vasallen Roms, bis auch sie als Provinzen in das Reich integriert wurden. Paphlagonien wurden 64 v. Chr. zur Provinz Bithynia et Pontus vereinigt. Die Ariobarzaniden von Kappadokien waren vielfach mit Rom verbündet und herrschten von 95 bis 36 v. Chr. Erst Kaiser Tiberius bereitete dem eigenständigen Königreich 18 n. Chr. ein Ende und machte es zur kaiserlichen Provinz Cappadocia.
Die römische Expansion stieß allerdings im Osten an ihre Grenzen. Dies hing damit zusammen, dass Rom daran gelegen war, gegenüber den Parthern, die zwischen etwa 250 v. und 224 n. Chr. im Iran eine Großmacht führten, einen Pufferstaat zu erhalten. Der Zeitpunkt der Einwanderung der dort ansässigen Armenier ist ungeklärt. 188 v. Chr. rief sich Artaxias zum König von Armenien aus. Der Dynastie der Artaxiden gelang zunächst eine erhebliche Ausdehnung ihres Reiches. Das armenische Königreich erlangte im 1. Jahrhundert v. Chr. seine größte Ausdehnung unter König Tigranes dem Großen. Er ließ sich zum König der Könige ausrufen, geriet jedoch mit Rom in Konflikt. Die Artaxiden wurden von den Parthern, die in häufigen Kämpfen mit Rom lagen, in Armenien ab 12 bzw. 54 n. Chr. durch die Arsakiden abgelöst, eine Nebenlinie des Königshauses der Parther. Armenien galt dabei weiterhin als Pufferstaat zwischen den Großmächten, in dem Parther und Römer versuchten Einfluss zu nehmen und ihre Prätendenten durchzusetzen. Zeitweise von Rom unter Trajan zur Provinz gemacht, konnte sich Armenien eine gewisse Unabhängigkeit zwischen den Mächten erhalten, wobei die Sassaniden, die die Parther 224 ablösten, zunächst erheblich mehr Druck ausübten. 301 nahmen König Trdat III. und die Angehörigen des Hofes das Christentum an, wie es Gregor der Erleuchter vermittelte.
Asia, die westlichste Provinz im römischen Anatolien, war unter den Provinzen Kleinasiens diejenige mit der größten Zahl an Städten. Neben Ephesos, das vielleicht 200.000 Einwohner hatte82x und damit eine der größten Städte des Reiches und zugleich Sitz des Proconsuls war, wurden Pergamon und Smyrna zu wichtigen Zentren. Aber auch Milet, Sardes, Tralleis, Mylasa waren bedeutende Zentren der Administration und des Handels. Dort lebten überwiegend Griechen, während in den ländlichen Gebieten weiterhin eine vorgriechische Bevölkerung bestand. Die Städte wurden bereits ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts christianisiert.
Diokletian, der als einer der Tetrarchen in Nikomedeia in Bithynien residierte, ließ das Reich neu organisieren. Die oberste Verwaltungsebene wurden die Diözesen, darunter befanden sich nun die Provinzen. Die Dioecesis Asiana ließ er dementsprechend in kleinere Provinzen unterteilen: Neben Asia, das nur noch die mittlere Westküste umfasste waren dies Hellespontus, Lydia und Phrygia im Norden, Pisidia, dann Lycaonia im Osten, Caria, Pamphylia und Lycia im Süden. Hinzu kam Insulae, wozu die meisten der ägäischen Inseln zählten. Auch die übrigen Provinzen wurden aufgeteilt, und dabei wurde nicht mehr zwischen senatorischen und kaiserlichen Provinzen unterschieden. Unter Konstantin wurde das Reich wiederum in Präfekturen unterteilt, die oberhalb der Diözesenebene angesiedelt wurden. Der für Kleinasien zuständige Praefectus praetorio per Orientem, dem die Diözesen Oriens (Ägypten, Levante bis Kilikien und Isaurien), Pontica (Nord- und Ostanatolien) und Asiana (Süd- und Westanatolien) unterstanden. 395 war Ägypten abgetrennt, die Zahl der Präfekturen auf fünf erhöht.83
Während der Osten, insbesondere Armenien, ein beständiger Zankapfel zwischen Römern auf der einen Seite und Parthern und Persern auf der anderen Seite blieb, entfalteten die kleinasiatischen Provinzen eine enorme wirtschaftliche und kulturelle Aktivität, die nur von wenigen militärischen Auseinandersetzungen gestört wurde. Zu diesen zählte etwa der Aufstand der Septimia Zenobia von 267/68 bis 272, der einen großen Teil des römischen Orients erfasste, und die bis Kilikien vordrang. Der Vorstoß in das westliche Kleinasien scheiterte jedoch.
Bereits 29 v. Chr. wurde auf Initiative kleinasiatischer Städte in Pergamon ein Kult für die Dea Roma und für den göttlichen Augustus eingerichtet84, mit der Einführung eines neuen Kalenders in Asia wurde der Jahresanfang auf den Geburtstag des Herrschers festgesetzt.85 23 n. Chr. wurde für Kaiser Tiberius und seine Mutter Livia ein ähnlicher Kult eingerichtet, der auch dem Senat galt. Unter elf Kandidaten erhielt Smyrna den Zuschlag als Kultort. Tiberius' Nachfolger wurden zumindest auf munizipaler Ebene geehrt, zudem war der lebende Kaiser bereits ein Gott. Ein weiterer Kult wurde 89/90 unter Domitian eingerichtet, dem sich zwölf Städte unterzogen, die unter Führung Milets eine Art Opfergemeinschaft bildeten.86
Karl Julius Beloch schätzte die Einwohnerzahl Asias auf 6 Millionen auf einer Fläche von 135.000 km², insgesamt kam er für Anatolien auf 11,5 bis 13,5 Millionen Einwohner87, eine Einwohnerzahl, die die Region erst weit nach 1900 wieder aufwies. Diese Zahlen sind jedoch kaum als Näherungswerte zu gebrauchen, denn die Quellenlage ist wesentlich ungünstiger als in Ägypten oder Italien, wo man auf genauere Werte kommt. Wie vielfach im Mittelmeerraum, so basierte die kleinasiatische Wirtschaft in den dafür geeigneten Gebieten auf Wein, Olivenöl und Weizen. Dabei galten zwar Lydien und Phrygien als ausgeprägte Getreidegebiete, doch Kornkammern wie Ägypten, Africa oder Sizilien stellten sie nie dar. Zu diesen auch für die Ausfuhr wichtigen Produkten kamen Güter aus der Hortikultur, wie Obst, Gemüse, aber auch Gewürze. Hinzu kam Fischfang und die traditionelle Viehwirtschaft. In den Gebirgszonen kamen Holz, Pech und Harze hinzu, ebenso wie Honig und Pilze aus den dortigen Wäldern. Die Waldprodukte, insbesondere Holz und Pech, waren für den Schiffbau von großer Bedeutung; so lieferte das Gebiet östlich von Amastris Buchsbaumholz. Handwerker und Händler, aber auch Ärzte und Schiffseigner waren in Gilden organisiert, ob sie jedoch mehr als Kulte und Geselligkeiten boten, ist unklar. Als in Ephesos die Bäcker streikten, wies sie der Proconsul scharf darauf hin, dass sie nicht als hetairia, als Klub, von dem die Römer Unruhe und Aufruhr fürchteten, auftreten dürften.
Die häufig auf kleinasiatischem Boden ausgetragenen Kriege führten zu Hungerkrisen und zur Verarmung ganzer Landstriche. Doch auch in antoninischer Zeit grassierte Hunger in besonders schwerer Form, eine Katastrophe, von der der Arzt Galen berichtet.88 Dennoch florierte der Handel, und zwar nicht nur in den städtischen Zentren mit ihrem Luxusbedarf, wie lange angenommen, sondern auch im ländlichen Bereich, der für Güter schwerer zu erreichen war. Zahlreiche Zollstationen regulierten und belasteten Ein- und Ausfuhr im riesigen Handelsraum des Römischen Reiches mit Abgaben. Viele Großkaufleute, oft italischer Herkunft, betätigten sich in den Hafenstädten, es bestanden große Handelsgesellschaften, deren Tätigkeit versichert werden konnte. Sie charterten Frachtraum oder ganze Schiffe, die Bithynier galten als Seefahrernation; vor allem in Nikomedeia saßen Schiffseigentümer (sie besaßen ein eigenes Heiligtum), Seeleute und Finanziers. Sie handelten vor allem mit Marmor. Ähnlich wie die Händler aus Sinop hatten sie Verbindungsmänner in griechischen Städten und in Rom. Milet hingegen war der bedeutendste Lieferant feiner Wolle und von Textilien. Weiterhin spielten Metallwaren und Mineralien, Leder und Pergament, Keramik, aber auch Sklaven eine wichtige Rolle.
Märkte fanden nicht nur in größeren, sondern auch in kleineren Städten statt, offenbar wurden Dörfern auch gemeinsame oder zeitlich abgestimmte Märkte gewährt. Obwohl der Grad der Marktvermittlung insgesamt sehr viel niedriger war als heute, so zeigt die Menge an vorgefundenen Münzen doch, dass der Umgang mit Geld sehr viel stärker verbreitet war, als in den meisten Teilen des übrigen Imperiums. Allein in Phrygien wurden zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert von 52 Städten zeitweise Münzen geprägt. Dabei prägte nicht jede Polis eigene Münzen, andererseits taten dies selbst kleine Dörfer im Tauros.89 Dabei zirkulierten vor allem Denare, aber auch als gleichwertig betrachtete Drachmen, sowie ältere Münzen, die lokale Dynastien weiterhin prägten. Die Münzen vorrömischer Dynastien zirkulierten ebenfalls weiter. Während der Reichskrise verfiel der Wert der Münzen, wogegen bereits eine Münzreform unter Aurelian versucht wurde. Diokletian ordnete an, dass nur noch eine einheitliche Reichsmünze kursieren durfte, doch an die Prosperität der Vorkrisenzeit konnte Kleinasien nicht wieder anknüpfen.
Noch in der Spätantike besaß Kleinasien über 600 Städte. Asia wies schon in der frühen Kaiserzeit 282 Städte auf, selbst Pisidien wies 54 Städte auf.90 Einige von ihnen gingen auf römische Kolonien zurück, die mit Italikern besiedelt wurden. Diese Orte genossen Privilegien, die jedoch in der Kaiserzeit immer weniger durchzusetzen waren. Doch immerhin wurden einige von bestimmten Abgaben oder Steuern befreit, andere durften eine Armenkasse einrichten. Auch bestanden die Städtebünde, wie der ionische Bund, oder auch Sakralbünde um ein Heiligtum, bis weit in die Kaiserzeit hinein. Wichtiger jedoch waren die Landtage, die als Koinon mit dem Zusatz des Provinznamens bezeichnet wurden. Ihre Führer übernahmen Titel wie den eines „Asiarchen“ oder eines „Bithyniarchen“, in Lykien traten auch einige Male Frauen als „Lykiarchissa“ auf. Die Leitung führte ein Erzpriester. Die Koina gewährleisteten vor allem die Kommunikation mit dem Kaiser, etwa um Petitionen aufzusetzen, in denen man sich über Übergriffe von Statthaltern beschwerte, oder um Abgesandte zu bestimmen. Gelegentlich gerieten die Städte auch in die Auseinandersetzungen auf der höchsten Ebene. Septimius Severus ließ Byzantium zur Bestrafung für die Unterstützung seines Rivalen Pescennius Niger im Winter 195 auf 196 belagern und zerstören. Er entzog ihm die Rechte einer Stadt und unterstellte es Perinto (heute Marmara Ereğlisi) am Nordrand des Marmarameers. Erst auf Fürsprache Caracallas wurde Byzantium wieder aufgebaut. 324 wurde die Stadt bei den Kämpfen zwischen Konstantin und Licinius in Mitleidenschaft gezogen. Konstantin hatte seinen Rivalen bei Adrianopel (Edirne) besiegt, worauf Licinius sich in Byzantion verschanzte. Am 18. September 324 kam es bei Chrysopolis (Üsküdar) zur Schlacht, die Konstantin für sich entscheiden konnte. 258 wurde die Stadt zusammen mit Kalchedon von den Goten geplündert und zerstört. 284 ließ sich Diokletian im benachbarten Nikomedia zum Kaiser ausrufen.
In den Städten war das entscheidende Gremium der Stadtrat, die Boule. Die Ratsherren waren eine kleine, privilegierte Schicht. Sie unterstanden seit Hadrian nicht mehr der Kapitalgerichtsbarkeit (außer bei Elternmord). Man musste Polisbürger sein, ohne dass das römische Bürgerrecht erforderlich war, vor allem aber musste man ein Mindestvermögen vorweisen, was in der Antike vor allem Landbesitz voraussetzte. Vorbild war der römische Senat, so dass auch Zensoren über die Aufnahme neuer Ratsherren bestimmten. Ihnen standen Rechtsberater und Anwälte, Gemeindeärzte und eine Art Polizeitruppe zur Verfügung. Im 2. Jahrhundert gibt es „Friedensvorsteher“, als eine Art Polizeichef; in den ländlichen Gebieten gab es „Flurwächter“, die vor allem Räuberei bekämpften. Die Städte unterhielten jedoch keinerlei militärischen Apparat, denn das Militär wurde zentral von Rom aus gesteuert.
Die Ämter waren lange Zeit begehrt, auch wenn von den Inhabern Leistungen verlangt wurden (leiturgiai). Diese Verpflichtungen wurden in der späten Kaiserzeit so hoch, dass sich Viele dem Amt durch Flucht entzogen. Die Amtsinhaber waren nicht durch eine besondere Ausbildung qualifiziert und wurden nicht bezahlt. Hingegen mussten die darunter liegenden Positionen bezahlt werden. Auch Gesandtschaften verschlangen erhebliche Summen. Hinzu kam die Verköstigung kaiserlicher Amtsinhaber oder gar des Kaisers, dann Kulte und Feste sowie die Lebensmittelversorgung und die Sorge für öffentliche Gebäude. Direkte Steuern bestanden nicht, so dass sich die Städte über Abgaben und Zölle, Verkaufssteuern und zahlreiche Gebühren, aber auch Bußgelder finanzierten. Einige Landgebiete wurden allerdings mit einer Pauschalabgabe belastet. Einige Stadtgebiete waren mehr als 10.000 km² groß.91 Die römische Gesetzgebung strebte dabei, um die Lasten verteilen zu können, die Einbeziehung größerer Bewohnerkreise an. Die Griechen hingegen beharrten auf der Exklusivität ihrer Rechte und schlossen die schlecht Griechisch sprechenden Bevölkerungsteil aus. An der Zugehörigkeit zur Bürgerschaft hing neben Rechten auch die Verteilung von Brotgetreide. Mit den Reformen des 3. Jahrhunderts verloren die Kommunen auch fiskalische Freiheiten, die Honoratioren wurden für die Abgaben haftbar gemacht. Mitte des 3. Jahrhunderts stellten die Städte die eigenständige Münzprägung ein.92 301 erfolgte ein Höchstpreisedikt, wohl um durchziehende Truppen vor willkürlichen Preiserhöhungen zu schützen.
Frauen waren erbberechtigt, traten als Erblasserinnen, Besitzerinnen von Land und Sklaven auf. Einige finden sich unter den Siegern im Pferderennen. Allerdings saßen sie nicht im Stadtrat sondern durften sich ihm nur titular zurechnen. Auch führten Jüdinnen den Titel einer Vorsteherin der Synagoge, wie in Smyrna.93 In dieser vielfach gespaltenen Gesellschaft spielten die jüdischen Gemeinden eine besondere Rolle. Sie besuchten nicht die Tempel oder opferten den Kaisern, sie entrichteten ihre Abgaben nach Jerusalem, sie lebten nach eigenen Regeln und lehnten den Verzehr von Schweinefleisch ab. Sie waren in den kaiserzeitlichen Städten stark präsent und an ihren Feiertagen boten Städte wie Smyrna ein verändertes Bild.
Tumuli, wie sie Anatolien schon lange kannte, waren auch in der Kaiserzeit noch verbreitet, ebenso wie hausartige Mausoleen oder Nekropolen.
Wegen der wachsenden Bedeutung der Osthälfte des Reiches - dazu trug das feuchtere Klima während des 4. bis 6. Jahrhunderts erheblich bei - wurde Byzantion 324 vom römischen Kaiser Konstantin I. als neue Hauptstadt, als „Neues Rom“ (Nova Roma) geplant und am 11. Mai 330 - nach hellenistischem Vorbild nach dem Gründer - als Constantinopolis (griech.: Κωνσταντινούπολις „Stadt des Konstantin“) feierlich eingeweiht. Nach dem Vorbild des Romulus umschritt der Kaiser mit einem Pflug die neuen Stadtmauern, wobei er 650 ha als Fläche festsetzte. Das entsprach dem 3,5 fachen der ursprünglichen Fläche. Wie das Vorbild Rom wurde die Stadt auf sieben Hügeln errichtet. Auch die Einrichtungen der alten Hauptstadt wurden nachgeahmt. So erhielt Konstantinopel ein Kapitol, einen Circus (für 100.000 Zuschauer), ein Forum (Forum Constantini) und eine Hauptverkehrsachse in ost-westlicher Richtung. Konstantinopel wurde als Mittelpunkt von Verwaltung, Wirtschaft und Kultur eines Reiches geplant. In Folge der zentralen Stellung wurde die Stadt auch zum kirchlichen Mittelpunkt. Ihr Bischof, der sein Amt auf den Apostel Andreas zurückführte, war ab 451 Patriarch und beanspruchte eine herausgehobene Stellung unter den Bischöfen. Die Stadt unterstand nun keiner Provinzverwaltung mehr, sondern einem Senat und einem Prokonsul. Als Konstantin starb, war die Stadt eine gewaltige Baustelle mit vielleicht 20.000 Einwohnern.
Unter Constantius (337-361) entstanden die nach ihm benannten Thermen, dazu wurde eine Wasserleitung, der Valens-Aquädukt begonnen, der unter Kaiser Valens 378 fertiggestellt wurde. 356, erneut 370, wurde die Apostelkirche geweiht, 360 der Vorgängerbau der Hagia Sophia. Die Bevölkerungszahl stieg zwar rapide an, stand aber den Metropolen wie Antiochia noch bei weitem nach. Der erste Kaiser, der überwiegend in Konstantinopel residierte, war Theodosius I. (379-395). Er berief das 2. Ökumenische Konzil, das zugleich das erste in Konstantinopel war. Es räumte dem Bischof seiner Hauptstadt einen Vorrang vor allen Bischöfen des Ostreichs ein. 391/92 untersagte er den Besuch heidnischer Tempel und heidnische Opfer.
Etwa 500 m westlich der von Konstantin errichteten Stadtmauer wurde 412 unter Kaiser Theodosius II. eine neue Landmauer93l errichtet, und so das Areal der Stadt von 600 auf 1200 ha verdoppelt. Die Bevölkerung Konstantinopels wuchs rasch und ab einem gewissen Maß gegen den Willen der Herrscher. Doch selbst Zuzugsbeschränkungen vermochten dies nicht zu verhindern. So rechnet man Ende des 4. Jahrhunderts bereits mit 90.000, Mitte des 5. Jahrhunderts mit rund 200.000 Einwohnern. Um 600 schwanken die jüngeren Schätzungen, bei denen es sich nur um Näherungswerte handeln kann, zwischen 300 und 500.000 Einwohnern.93n
395 fiel Kleinasien durch die Teilung des Römischen Reiches an Ostrom. Seit im Jahr 380 Theodosius I. das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte, war Konstantinopel Mittelpunkt der Ostkirche und Sitz eines der Patriarchen. Die Christianisierung begann bereits mit Paulus von Tarsus, der im Antiochia in Pisidien, Ikonion, Lystra, Derbe und Ephesos für die neu entstehende Religion warb. Infolgedessen entstanden im städtischen wie im ländlichen Gebiet von Phrygien, Lydien, Lykaonien und im nördlichen Isaurien zahlreiche Gemeinden. Die ältesten epigraphischen Zeugnisse stammen aus der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts aus den phrygischen Gemeinden Cadi, Synaos und Aizanoi.94 Auch entstanden montanistische Gemeinden, vor allem in Phrygien, deren Lehre als Häretiker betrachtet wurde, ebenso wie die der Anhänger Novatians, die sich überwiegend im 4. Jahrhundert in Pisidien, Lykaonien, Lydien und Bithynien nachweisen lassen. Noch rigoristischer waren die Enkratiten, Sakkophoroi und die Apotaktiten, die wohl an den moralischen Rigorismus, der die kleinasiatische Religiosität stärker kennzeichnete als andere Teile des Reiches anknüpfen konnten.95 Diese Gruppen wehrten sich gegen Verweltlichungstendenzen der Kirche, doch hatten sie keine gemeinsamen politischen, ethnischen oder sozialen Wurzeln. Ende des 3. Jahrhunderts stellten die Christen in einigen Gemeinden bereits die Mehrheit der Bevölkerung, die ältesten Bischofsinschriften entstanden um 300, Ende des 4. Jahrhunderts waren die Nichtchristen anscheinend bereits in der Minderheit. Unter einigen Kaisern kam es zu Verfolgungen. Für Kleinasien wissen wir aus einen Pliniusbrief, dass es wohl die lokalen Opferkultunternehmer und Gewerbetreibenden waren, denen es ökonomisch schlechter ging, seitdem die Christen nicht mehr am Opferkult und der örtlichen Festkultur teilnahmen. Diesem Wirtschaftsschaden begegneteder Statthalter Plinius in Kleinasien, indem er einerseits hartnäckige Christen zum Tode verurteilte und andererseits auf eine gesellschaftspolitische Reintegration der Apostaten setzte.
Mit dem Ende der Verfolgungen seit Konstantin I. (313) und der zunehmenden Privilegierung durch den Staat, wozu die Steuerfreiheit zählte, entstand eine steilere kirchliche Hierarchie. Die Bischöfe in der jeweiligen Metropolis der Provinzen wurden ab 325 Erzbischöfe, denen die anderen Bischöfe der Provinz Gehorsam schuldeten. Ab 381 stand der Patriarch von Konstantinopel allen Bischöfen in den Diözesen Asiana und Pontica vor. Hingegen unterstanden dem Patriarchen von Antiochia am Orontes die kleinasiatischen Bistümer von Kilikien und Isaurien. Unterhalb der Bischofsebene fanden sich Diakone (männliche und weibliche), Presbyter und Lektoren, hinzu kamen Totengräber, Türhüter, Protopresbyter oder Subdiakone. Um 300 erhielten die dörflichen Bischöfe den Titel Chorbischof. Sie galten bald nur noch als Nachfolger der (mindestens) 70 Jünger, nicht mehr der 12 Apostel, wie die Bischöfe. Mitte des 4. Jahrhunderts sollte in den Dörfern ein Presbyter genügen, doch finden sich Chorbischöfe noch im 6. Jahrhundert. Der Klerus war dabei der einzige Stand, zu dem alle sozialen Schichten Zugang hatten, wenn auch nicht jeder in die höchsten Positionen der bedeutendsten Kirchenzentren aufsteigen konnte, und die höheren Schichten wohl nicht nach einem Bistum in wenig angesehenen Gebieten strebten. Den Klerus auf den Landgütern der Großgrundbesitzer stellten die dort wohnenden Kolonen.
Dies verweist auf die Übergangsphase in der Entwicklung vom freien Bauern zum Kolonat. Kaiserliche Gesetze schufen, vermutlich auf Initiative der großen Landbesitzer, die Voraussetzungen, um beinahe unbeschränkte Verfügungs- und Polizeigewalt an lokale Herren abzutreten, deren wachsende Wirtschaftseinheiten sich dadurch gegenüber staatlichem Einfluss zunehmend abriegelten. Die Landbevölkerung wurde zunächst gezwungen, das Land zu bebauen und Abgaben (tributum) zu entrichten. War bis ins 5. Jahrhundert vielfach die bodenbearbeitende Bevölkerung an ihr Land gebunden, während ihr Besitz ihrem Herrn gehörte, so konnten andere nach drei Jahrzehnten in diesem Rechtszustand ihren mobilen Besitz, bzw. ihr Vermögen in eigenen Besitz nehmen. Unter Kaiser Justinian I. wurde nicht mehr zwischen freien und unfreien Kolonen unterschieden. Kolone und Unfreier wurden nun identisch gebraucht, um Ackerbauer zu beschreiben, die an die Scholle gebunden waren und kein freies Eigentum besaßen.
Seit Konstantin dem Großen durften die Herren flüchtige Kolonen, die vor weniger als dreißig Jahren verschwunden waren, in Ketten legen (Codex Theodosianus 5, 18, 1).96 Seit 365 war es den Kolonen verboten, über ihren eigentlichen Besitz zu verfügen, wohl in erster Linie Arbeitsgeräte.97 Seit 371 durften die Herren die Abgaben der Kolonen selbst eintreiben. Schließlich verloren die Ackerbauer 396 das Recht, ihren Herrn zu verklagen.98
Aber auch in der Hauptstadt wuchsen die gesellschaftlichen Spannungen. Diese fanden ihren mitunter äußerst militanten Ausdruck in den Zirkusparteien. In der Spätantike gab es statt der im Prinzipat entstandenen vier Parteien faktisch nur noch die Partei der „Blauen“, der venetoi (meist mit den „Weißen“ als „kleinerem Koalitionspartner“), und die der „Grünen“, der prasinoi (mit den „Roten“), die im Wesentlichen mit den zeitweise auch als Bürgermiliz dienenden städtischen Bezirken, den Demen, identisch waren und durch einen Demarchen geführt wurden. Ob sich hierbei ausschließlich Stadtbezirke ihre Repräsentation auf der größten städtischen Bühne suchten, oder ob sie auch den verschiedenen, sich bekämpfenden christlichen Bekenntnissen anhingen, ist unklar. 445 kam es jedenfalls erstmals zu Unruhen der Parteien, die sich um 500 zu bürgerkriegsartigen Kämpfen zwischen „Roten“, „Grünen“ und „Blauen“ auswuchsen. 512 kam es zum Staurotheis-Aufstand gegen Kaiser Anastasios, der sich an christologischen Streitigkeiten entzündete, in deren Folge der Kaiser einen neuen Patriarchen eingesetzt hatte, einen Monophysiten aus Antiochia. Der Kaiser konnte den Aufstand nur durch demutsvolle Gesten gegenüber den Massen beenden, der vom Volk gegen seinen Willen ausgerufene Gegenkaiser gab nach einem Tag auf. Ein Jahr später setzte sich der comes foederatorum Vitalian, der für die Beziehungen zu den föderierten Nachbarvölkern verantwortlich war, an die Spitze des Widerstands gegen den Monophysitismus des neuen Patriarchen. Mit einer hunnischen und bulgarischen Streitmacht, wie Theophanes der Bekenner (Weltchronik, A.M. 6006) erzählt, erschien er mehrmals vor der Hauptstadt, wurde aber − nachdem ihm von Anastasios zwischenzeitlich der Posten eines magister militum per Thracias zuerkannt worden war − 515 besiegt. Im Januar 532 verbanden sich die vier Zirkusparteien und entfachten den Nika-Aufstand. Dabei kam es zu Straßenschlachten und die Kirche der Hagia Eirene, die Thermen des Alexander, zwei kaiserliche Villen, die Basilika des Illus und das Hospiz des Sampson sowie das des Eubulus gingen in Flammen auf, ebenso wie das Haus des Symmachus, die Aquilian- und die Theodorkirche, sowie ein Bogen auf dem Forum Konstantins. Bei der Niederschlagung des Aufstands sollen 30.000 Menschen im Hippodrom niedergemetzelt worden sein, wobei sich der Feldherr Belisar, der 531 eine Niederlage gegen die Perser erlitten hatte und dementsprechend in Ungnade zu fallen drohte, besonders hervortat. Die Zerstörungen boten Justinian die Möglichkeit zu ehrgeizigen Bauvorhaben, in deren Zuge vor allem die niedergebrannte Hagia Sophia innerhalb von fünf Jahren errichtet wurde. Sie wurde am 27. Dezember 537 geweiht. 552 konnten Seidenraupen aus China eingeschmuggelt werden, ab dem 7. Jahrhundert lassen sich Seidenwerkstätten beim Großen Palast nachweisen. Doch weiterhin kristallisierten die hauptstädtischen Spannungen an den Zirkusparteien, Kaiser Maurikios file 602 ihrem Aufstand zum Opfer, sein Nachfolger Phokas nahm einseitig für die Blauen Partei, was das Reich in einen Bürgerkrieg zu stürzen drohte. Der politische Einfluss der Demarchen als Führer der Zirkusparteien endete erst mit der Makedonischen Dynastie, d.h. sie waren von der Mitte des 5. Jahrhunderts bis in das 9. Jahrhundert eine enorm wichtige politische Kraft.
Trotz der Prachtentfaltung und der militärischen Erfolge gegen Vandalen und Ostgoten litt das Reich unter der Überforderung seiner Ressourcen. So traten immer wieder schwere Mangeljahre auf, wie 524, 546 oder 555, als es an Öl, Wein oder Brot mangelte. Ab 542 begann zudem eine mehr als zwei Jahrhunderte anhaltende Kette von Pestwellen, die die Bevölkerung besonders hart traf. Unter Justin II. (567-578) entstand ein Waisenhaus (Orphanotropheion). Um 600 endete fast jede kaiserliche Bautätigkeit (614 wurde eine letzte Ehrensäule aufgestellt), sieht man von Ausbau und Instandhaltung der Verteidigungsanlagen ab. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt sank, vor allem durch die Pestwelle von 747, als man begann, die Toten auch innerhalb der Stadtmauern beizusetzen. Öffentliche Bäder, wie die Zeuxippos-Bäder, wurden als Gefängnisse, vielleicht als Seidenwerkstätten umgenutzt. Die Einwohnerzahl brach auf 30 bis 40.000 zusammen.
Eine Reihe von Faktoren musste zusammenkommen, um die Region in eine derart schwere Krise zu stürzen. Vom 4. bis 6. Jahrhundert war die zunehmende Feuchtigkeit und Wärme der ländlichen Expansion in bis dahin kaum genutzte Gebiete und der Produktion von Lebensmitteln überaus förderlich gewesen. Nun begann eine Phase der Trockenheit, die sich bis in das 10. Jahrhundert erstrreckte, wie sich anhand klimageschichtlicher Untersuchungen belegen ließ.98q Einige Gebiete wurden Sümpfe, andere stärker bewaldet. Doch in vielen Regionen dehnte sich zunächst die Fläche, die agrarischer Nutzung verfügbar gemacht werden konnte, in der Spätantike erheblich aus. Einer der best untersuchten Fälle ist die Stadt Sagalassos in Pisidien. Zwischen 300 und 450/75 lässt sich eine Expansion des bereits zuvor dichten Siedlungsgebiets erkennen. Hingegen kam es im 6. Jahrhundert zu einem massiven Rückgang, wenn die Stadt auch nicht völlig zusammengebrochen ist, wie man zunächst annahm.98r Diese spätantike Expansion betraf nicht nur die Städte, sondern auch die Dörfer Pisidiens. Der Zusammenbruch im 6. Jahrhundert beendete eine lange Epoche des extensiven Getreideanbuaus in Verbindung mit Baumkulturen, wie dem Olivenanbau, die im 2. Jahrtausend v. Chr. begonnen hatte. Die Getreideproduktion erreichte im 5. und 6. Jahrhundert ihren Höhepunkt, wie Pollenanalysen erwiesen. Die Walnussproduktion verschwand im 6., die Olivenproduktion im 7. Jahrhundert; zugleich ging die Produktion von Weizen stark zurück. Im 7. Jahrhundert breitete sich stattdessen die Weidewirtschaft mit Viehherden aus, in anderen Regionen begann dies allerdings bereits im 5. Jahrhundert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in Gebieten, in denen die zunehmende Feuchtigkeit die Rückkehr der Wälder begünstigte, die Weidewirtschaft den Bäumen wich. Am Pınarbaşı-See in Karien begann die kpmplexe agrarische Nutzung, die durch Olive, Walnuss und Getreide gekennzeichnet war, erst um 870/850 v. Chr. Auch sie ging im 7. Jahrhundert unter und wich der Viehwirtschaft. Ähnliches gilt für die Ebenen um Konya, eine Region, die in römischer Zeit zunächst dünn besiedelt war. Dies änderte sich im 4. und 5. Jahrhundert, als die Siedlungsdichte erheblich zunahm. Im 6. und 7. Jahrhundert brach die Besiedlung derart weitgehend zusammen, dass sie sogar dünner war, als in der frühen römischen Phase, wie sich am Beyşehir-See zeigte, wo anscheinend jede menschliche Besiedlung aufgegeben wurde, und wo Wälder vorherrschten.
Byzanz musste sich lange Zeit der Angriffe persischer, hunnischer, gotischer, dann arabischer, bulgarischer und awarischer Armeen erwehren. Zugleich war der Staat von innerkirchlichen Auseinandersetzungen um theologische Fragen zerrissen und wurde von Aufständen erschüttert, wie etwa 491-498 in Isaurien. Die Kriegszüge der Germanen, Hunnen, der Slaven, Awaren und Bulgaren trafen vor allem die byzantinischen Gebiete auf dem Balkan, während Anatolien zunächst von den Kriegen mit den Persern, dann mit den Umayyaden betroffen war. Diese zahlreichen Kämpfe, die einander bis 740 fast ununterbrochen ablösten, militarisierten Anatolien und entvölkerten die Gebiete im Grenzraum zwischen den Großmächten, also vor allem in Ostanatolien. Der Arbeitskräftemangel auf dem Lande führte zu einem weiteren Rückgang der bereits rückläufigen Agrarproduktion, des mit Abstand bedeutendsten Sektors der mittelalterlichen Ökonomie. Die Städte schrumpften, ihre Funktion veränderte sich. Ihre Hauptaufgaben waren Sicherheit, Fiskaleinnahmen und lokaler und regionaler Austausch. Die Kommunikation brach immer wieder zusammen und blieb schwierig, der Geldumlauf verringerte sich. Ab den 660er Jahren war das Vertrauen in den Wert der Münzen so gering, dass die Bronzemünzen verschwanden. Bis 769, als wieder Zahlung in Münzen verlangt wurde, sah sich der Fiskus gezwungen, von der Geldeinziehung auf den Einzug von Gütern und Leistungen abzusehen. Die Armee wurde so umorganisiert, dass auch sie mit wenig Geld auskam, indem etwa Kompensationen durch Güter eingerichtet wurden. Nur Ephesos konnte seine wirtschaftliche Position noch ausbauen.
Die römisch-persischen Kämpfe des 7. Jahrhunderts waren dabei vom Willen gekennzeichnet, den Gegner vollständig zu schlagen, nicht mehr, nur Gebietsgewinne zu erzielen. Nachdem bereits der Krieg in der Zeit Chosraus I. (531–579) mit großer Intensität geführt worden war, begannen die Perser unter Chosrau II. (590–628), zwischen 603 und 627 oströmisches Gebiet systematisch zu besetzen, wobei sie von inneren Unruhen in Ostrom profitierten. Nach mehreren Kriegen, in deren Verlauf die Perser 544 kurzzeitig Edessa besetzten, schlossen Ostrom-Byzanz und Persien 562 einen „ewigen Frieden“. Doch in den 570er und 580er Jahren kam es erneut zu heftigen Kämpfen im oberen Tigrisgebiet. 575 besetzten die Byzantiner Lazika am Ostrand des Schwarzen Meeres, das wiederum die Perser 588 kurzzeitig hielten. Daraufhin dehnten die Byzantiner ihr Gebiet bis fast zum Kaspischen Meer aus, ohne diese Regionen jedoch langfristig halten zu können. 591 kam es zu einem erneuten Friedensschluss.
Gleichzeitig eröffneten die Awaren an der Donau eine zweite Front, als sie 582 Sirmium eroberten. Darüber hinaus zogen große Slavenverbände nach Griechenland, awarische vor Thessaloniki. Ab 604 begannen nun die Perser Anatolien zu erobern. In diesem Jahr zogen sie nach Melitene, im nächsten Jahr nach Caesarea. 611 fielen Edessa und Apameia, dann Antiochia am Orontes. 615/616 drang eine Armee bis zum Bosporus vor, 620 eroberten die Perser Ancyra. Gleichzeitig drangen persische Armeen 616 nach Ägypten vor, 619 standen sie im libyschen Tripolis. 617 eroberte die persische Flotte Zypern, attackierte bald Rhodos. Parallel dazu eroberten die Awaren und Slaven 611 Singidunum, 612 Naissus und standen 616 vor Konstantinopel. 626 belagerten Perser, Slaven und Awaren die Hauptstadt. Konstantinopel war jedoch 626 nicht zu erobern und Kaiser Herakleios hatte eine Gegenoffensive begonnen, die ihn ab 623 ins Kernland der Perser führte. Er ließ sich auch durch die Belagerung Konstantinopels nicht ablenken, so dass die Perser schließlich um 629 Frieden schließen mussten.
Wenige Jahre nach diesem umfassenden Krieg, der beide Großmächte an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatte, begann die zunächst von Arabern getragene Expansion des Islams. Nach der Eroberung Ägyptens und Syriens – Damaskus fiel 634 – zwischen etwa 633 und 642, bildete Kleinasien das Kerngebiet des Oströmischen Reiches. 639/40 standen die Araber am oberen Tigris, 641 drang eine Armee bis Amorion vor, erneut 647; Caesarea wurde 646 geplündert. Vor der lykischen Hafenstadt Phoinix kam es 655 zu einer Seeschlacht, in der die byzantinische Flotte eine schwere Niederlage erlitt. Kaiser Konstans II., der die Flotte selbst befehligt hatte, konnte entkommen. Dennoch verlangsamte sich die arabische Eroberung, denn es kam ab 656 zu einem mehrjährigen Bürgerkrieg und zur Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten. Doch danach nahm Damaskus, der Sitz des Kalifats, seine Offensive wieder auf. 662 ging die Region um Tephrike verloren. 668 zog eine Armee bis an den Bosporus, 674 bis 678 wurde Konstantinopel belagert, nachdem 669 bereits Kos und Chios, 672 Smyrna erobert worden waren. Doch die Belagerung scheiterte. 709-711 eroberten muslimische Armeen das kappadokische Tyana. Justinian II. ließ 688 nach einem Sieg über Bulgaren und Slawen mehrere der Besiegten im kleinasiatischen Thema Opsikion ansiedeln. 717 bis 718 versuchten die Araber erneut die Hauptstadt zu erobern, doch auch diesmal hielten die Byzantiner stand. Zwar plünderten immer wieder muslimische Heere im Osten Kleinasiens, doch ab 726 gelang den Arabern kein Sieg mehr. 732 gelangte Muʿāwiya I. zwar nach Paphlagonien, doch ab 740, nach einer vernichtenden Niederlage bei Akroinon, wie Theophanes berichtet, beruhigte sich die Lage in Anatolien. Davon profitierte Konstantin V., der 741 von seinem Schwager gestürzt, in Isaurien Zuflucht fand und den Usurpator 743 besiegen konnte. Dieser Umsturz ereignete sich bereits vor dem Hintergrund des 726 begonnenen Bilderstreits, doch scheint Konstantin eine eher gemäßigte bilderfeindliche Politik betrieben zu haben.99 Nach einer bilderfreundlichen Phase ab etwa 797 verschärfte sich der Konflikt ab 815, konnte aber 843 beendet werden. In Kleinasien konnten mehrere Siege über die Araber errungen werden (798 bei Dorylaion, 806 bei Angora), Flottenexpeditionen führten, wenn auch erfolglos, nach Kreta und sogar Ägypten. 781 kam es zu einem Friedensschluss, für den Byzanz Tribut leistete, den es jedoch 802 einstellte. Byzanz hatte die Phase der bloßen Abwehrkämpfe überwunden.
Um die militärische Abwehr zu organisieren und entsprechende Ansiedlungen ehemaliger Soldaten vorzunehmen, entstanden bereits um die Mitte des 7. Jahrhunderts Themen oder Heeresbezirke wie Anatolikon. Dieses Thema verdankte seinen Namen dem Umstand, dass sich hierhin die geschlagene Armee des Magister militum per Orientem (lat. Oriens = griech. Anatolé) zurückgezogen hatte. Der Verwaltungssitz dieses Themas war Amorion, 200 km südwestlich von Ankara. Im Laufe der Zeit übertrug sich diese Bezeichnung auf ganz Kleinasien. Der Staat, der sich einen Teil der Agrar- und Handelserträge auf verschiedenen Wegen aneignete, teilte diese wieder geldförmig über Löhne aus, womit er bei der Wiederausbreitung der Geldwirtschaft in den ländlichen Raum und damit stärker marktvermittelter Prozesse eine wichtige Rolle übernahm. Im Jahr 769 konnte die Regierung verlangen, dass Steuern in barem Geld gezahlt wurden. Dies setzte eine ausreichende Monetarisierung voraus, wohl ein Anzeichen für eine spürbare wirtschaftliche Erholung. Die Vereinfachung der Kupfermünzenherstellung im 8. und 9. Jahrhundert setzte eine Flexibilisierung des Münzsystems voraus. Dies geschah unter Bedingungen, die weit entfernt von einer administrativen Kontrolle über wirtschaftliche Prozesse waren. Nur im Bereich von Grundnahrungsmitteln, vor allem Getreide, aber auch bei Luxusprodukten wie Seide entstand eine Verbindung von staatlichem Handeln und Einzelunternehmern. Die eher ländliche Ökonomie lag in der Hand von meist kleinen Besitzern, der Tausch in denen von Händlern, Schiffsführern und Seeleuten. Zugleich ging die Bedeutung der großen Landgüter gegenüber den Dörfern zurück. Auch Städte, Häfen und Schiffe wurden kleiner. Der Handelsumfang war noch relativ gering, doch zeichnet sich eine Wende ab.
Vielfach wurden slawische Siedler vom Balkan nach Kleinasien deportiert und dort angesiedelt, um die Bevölkerungsverluste auszugleichen und den Balkan zu beruhigen. Doch die religiösen und sozialen Spannungen nahmen weiter zu. 820 erhoben sich Aufständische unter Führung von Thomas dem Slaven, der sich mit den Abbasiden verbündete, und der bis 823 standhielt. Er galt als Beschützer der Armen und stützte sich auf die im Osten starken Paulikianer. Er ließ sich unter dem Namen Konstantin VI. zum Kaiser krönen und inthronisierte zwei Mitkaiser. Er belagerte ab Ende 821 erfolglos Konstantinopel, das zudem von den Bulgaren, die ein neues, orthodoxes Reich geschaffen hatten, unterstützt wurde. 823 wurde er hingerichtet, seine Anhänger unterlagen 824. Diesen äußerst heftig geführten Bürgerkrieg nutzten die Abbasiden, um Kreta zu erobern, das bis 961 muslimisch blieb. 838 zogen arabische Truppen nach Amorion und plünderten die Stadt, die sich von dieser Zerstörung nicht wieder erholte.
853 und 859 griff die byzantinische Flotte Ägypten an, wenn auch ohne größere Erfolge. Das gleiche galt 865 für Kreta. 873 gelang die Eroberung mehrerer Städte am Euphrat, wie Samosata, doch erst ab etwa 940 ging Byzanz stärker in die Offensive. Im Zuge der neuerlichen Expansion Richtung Osten und auf den Balkan im Zuge der Makedonischen Renaissance konnte Byzanz seine Macht in Kleinasien sichern. 943 erreichten byzantinische Truppen Amida und Nisibis, 959 erneut Samosata, 963 und 965 gelang die Eroberung von Adana und Tarsos, 965 von Zypern, 969 von Antiochia. 975 wurde Damaskus zu einem byzantinischen Vasallen und die Südostgrenze des byzantinischen Machtbereichs endete kurz vor Jerusalem. Wenige Jahre später musste zwar ein Teil dieser Gebiete wieder aufgegeben werden, doch konsolidierte sich die Grenze für mehrere Jahrzehnte. Unter Kaiser Basileios II. gelang zudem die Rückeroberung des Balkans, insbesondere die bis 1018 abgeschlossene Eroberung Bulgariens, und die Eroberung des Gebiets zwischen Van- und Urmia-See (1021–1022). Schließlich kamen im äußersten Osten Kars (1052) und Ani (1065) hinzu.
Die byzantinische Wirtschaft hatte sich im 8. und 9. Jahrhundert wesentlich früher erholt als die westeuropäische. Dabei war die langsam anwachsende Bevölkerung ein wichtiger Motor. Die Gebiete, die unter den Pflug genommen wurden, dehnten sich wieder aus, möglicherweise wuchsen auch die Erträge pro Flächeneinheit. In jedem Falle folgte die Produktion der wachsenden Nachfrage, worauf spätestens ab Mitte des 10. Jahrhunderts das Ausbleiben von Teuerungs- und Hungerphasen hinweist. Nachdem die Getreidepreise vom 6. bis zum 9. Jahrhundert gestiegen waren, fielen sie nun wieder. Die Städte begannen bereits Ende des 8. Jahrhunderts wieder zu wachsen – eine Entwicklung, die sich bis Ende des 12. Jahrhunderts weiter beschleunigte.
Die Seldschuken waren eine islamisierte türkische Dynastie aus Transoxanien im heutigen Usbekistan, die zuvor Afghanistan und Teile Persiens erobert hatten. Bereits vor 1050 sicherten seldschukische Gruppen im Osten Kleinasiens ein, während es ab 1047 zu verschiedenen Revolten und Thronusurpationen im byzantinischen Reich kam. 1057 wurde in Paphlagonien Isaak Komnenos zum Kaiser ausgerufen, der knapp drei Monate später, am 1. September in Konstantinopel gekrönt wurde. Währenddessen tauchten immer größere Verbände seldschukischer Gruppen in Anatolien auf, wie etwa 1057 bei Melitene. Der Khan der Großseldschuken Alp Arslan ließ 1063 Städte wie Ani und Kars erobern. Bis 1068 ging der gesamte Osten verloren, Edessa wurde bereits 1065 belagert. Am 19. August 1071 unterlag die von Kaiser Romanos IV. geführte Armee in der Schlacht bei Manzikert nördlich des Van-Sees. Der Kaiser fiel in Gefangenschaft, doch ließ ihn Alp-Arslan frei. Nach Konstantinopel zurückgekehrt wurde er gestürzt, 1072 starb Alp-Arslan. Sein Sohn und Nachfolger Malik Schah I. (1072–1092) eroberte große Teile Ost-Anatoliens. So entriss er 1087 dem byzantinischen Statthalter Philaretos Brachamios Edessa.
In Anatolien entstand um Konya 1081 eine unabhängige seldschukische Herrschaft unter Suleiman ibn Kutalmiş, das Seldschukenreich von Rum. Dieser Zusatz „Rum“, daher auch die Bezeichnung als Rum-Seldschuken, bedeutet „Rom“. Damit bezeichneten sich die Seldschuken als Römer beziehungsweise deren Nachkommen und grenzten sich so von den Großseldschuken ab. Sie eroberten weite Teile Kleinasiens und drangen bis an die Ägäis vor; 1075 fiel Nikäa, 1084 Antiochia. 1077 nahm Suleiman den Titel Sultan an, 1078 machte er Nikaia zu seiner Hauptstadt. Doch 1086–1092 geriet das Reich nach einer Niederlage gegen die Großseldschuken in eine Krise. Zugleich konnte Byzanz ab 1082 und dann mit dem Beginn der Kreuzzüge wieder in die Offensive gehen.
Kaiser Alexios I. gelang es, das Kreuzfahrerheer durch sein Reich nach Kleinasien zu schleusen, dessen Führer schwören mussten, die ehemals byzantinischen Gebiete an das Reich zurückzugeben. Bis zum Tod des Kaisers gewannen die byzantinischen Truppen Kleinasien bis zu einer Linie Trapezunt-Ankara-Mäander zurück. Nach 1104 kamen mehrere kilikische und syrische Festungen hinzu. Nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer (1099) endete jedoch die Zusammenarbeit mit Byzanz, und auch die Grafschaften von Edessa und Tripolis erkannten die byzantinische Oberhoheit nicht an. Die erneute Verlagerung des Schwergewichts nach Kleinasien war jedoch zum einen nur um den Preis zahlreicher Handelsprivilegien vor allem für die Venezianer zu erreichen, zum anderen durch das Bündnis mit dem grundbesitzenden Adel, statt wie bisher mit den hauptstädtischen Amtsinhabern. Damit wurde auf lange Sicht der Handel und damit die Staatseinnahmen von italienischen Handelsinteressen abhängig, zum anderen setzte eine Feudalisierung der ländlichen Verhältnisse ein, die dem zentralistischen, von Beamten gesteuerten byzantinischen Staat bis dahin fremd gewesen war. Darüber hinaus siegte 1101 Suleimans Sohn Kılıç Arslan I. über erneut andrängende Kreuzfahrer, eroberte Ikonion (Konya) und machte es zum Mittelpunkt seines Reiches.
Kaiser Johannes II. gelang zunächst die Rückeroberung Paphlagoniens, dann folgte 1137 das Königreich Kleinarmenien. 1144 gelang jedoch türkischen Truppen die Eroberung von Edessa, was den 3. Kreuzzug auslöste. Dieser endete 1147 in einem Desaster. Zudem verlagerte Kaiser Manuel I. bald seine Politik stark nach Westen, und das Sultanat von Konya befand sich bald wieder in einer Hand. Unter Thoros II. machte sich darüber hinaus Kleinarmenien ab 1145 trotz herber Rückschläge wieder zunehmend selbstständig.
Sultan Kılıç Arslan II. („Löwenschwert“) wurde 1161 von Manuels Neffen Johannes Kontostephanos geschlagen, woraufhin es zu einem Friedensschluss mit Byzanz kam. Dieser Frieden endete jedoch 1175, als sich Kılıç Arslan weigerte, von den Danischmenden erobertes Gebiet an Byzanz abzutreten. Am 17. September 1176 besiegte er Kaiser Manuel in der Schlacht von Myriokephalon. Danach konnte die byzantinische Herrschaft im Binnenland immer weniger aufrechterhalten werden, die griechische Bevölkerung floh zunehmend in die städtischen Zentren an der Küste, im 13. Jahrhundert sickerten immer neue türkische Gruppen, darunter wohl die späteren Osmanen, nach Anatolien ein.100 1180 nutzte er den Tod Manuels und besetzte den größten Teil der südöstlichen Küste Anatoliens. 1185 schloss er Frieden mit Manuels Nachfolger Kaiser Isaak II.
1186 übertrug er die Macht auf seine elf Söhne, die sich untereinander jedoch bekämpften. Auch konnte er Friedrich Barbarossa nicht aufhalten und unterlag im Mai 1190 in den Schlachten von Philomelion und Ikonion. Sein Nachfolger Kai Chosrau I., Sohn einer Byzantinerin, der nur vier Jahre herrschte, eroberte die Hafenstadt Antalya, musste aber 1196 zunächst seinem älteren Bruder Suleiman II. weichen, dem sein minderjähriger Sohn Kılıç Arslan III. folgte. Kai Chosrau I. setzte seinen Neffen ab und wurde 1205 zum zweiten Mal Sultan. Er starb 1211 nach einem Kampf mit dem Herrscher von Nicäa Theodor I. 1230 gelang die Abwehr der westwärts expandierenden Choresm-Schahs unter ihrem letzten Herrscher Dschalal ad-Din in der Schlacht von Yassı Çemen bei Erzincan .
Doch die Mongolen, die wenige Jahre später nach Anatolien zogen, konnte Konya nicht abwehren. Zwischen 1236 und 1237 unternahmen sie Raubzüge, wobei sie von den Georgiern unterstützt wurden. Sie drangen bis Sivas und Malatya vor und trieben bei ihren Zügen ganze Völker vor sich her. So kamen viele turkmenische Stämme nach Anatolien. Es kam zu Konflikten und schließlich zum Babai-Aufstand, der 1240 niedergeschlagen wurde. Die Mongolen eroberten 1242 Erzurum, dann unterlag Kai Chosrau II. 1243 mit seinen christlichen Alliierten in der Schlacht vom Köse Dağ. Konya geriet 1277 unter die Herrschaft der Ilchane und das Sultanat löste sich 1303 mit der Hinrichtung des letzten Sultans auf.
Diesen Niedergang nutzten die türkischen Stämme, um sich von Konya unabhängig zu machen. Daher wurden die politischen Verhältnisse im Westen Anatoliens äußerst kompliziert. Unter den sogenannten Beyliks, die zwischen der Ägäis und Ostanatolien entstanden, und die häufig als Emirate bezeichnet werden, setzte sich am Ende die von Osman Bey gegründete Dynastie durch, das spätere Osmanische Reich. Mit der Ghazi-Ideologie, die an der Grenze zum Byzantinischen Reich (Uc) eine gewichtige Rolle spielte, sahen es die Osmanen auf die Eroberung byzantinischer Territorien ab, zunächst weniger auf die Vorherrschaft über andere türkische Gruppen. Andere Emirate, wie das an der Ägäis gelegene Aydın verlegten sich eher auf Handel und Piraterie, während Germiyan die dominierende Macht im Westen Anatoliens wurde. Die Wirtschaft der Stämme beruhte auf wechselnden Weiden und auf dem Handel mit den benachbarten, städtischen Gebieten, viele Türken stellten sich aber auch in den Dienst der sich bekämpfenden Nachbarstaaten im Westen wie im Osten. Die ersten Eroberungen gelangen den Osmanen ab 1298 und 1302 gelang ein wichtiger Sieg bei Nikomedia über byzantinische Truppen. Der Stammvater der Dynastie ist in der Form „Ataman“ nur von Georgios Pachymeres überliefert.101 Schon bald entstanden in den eroberten Städten Moscheen, von denen einige noch einen Eindruck der frühosmanischen Architektur vermitteln. Sie finden sich in Westanatolien in Iznik (Haci Özbek camii von 1333) und in Bursa (0rhan camii von 1340 und Alaattin camii von 1335).
Neben der militärischen Dynamik der türkischen Kleinreiche war der Zerfall des Byzantinischen Reiches, der schon weit fortgeschritten war, von zentraler Bedeutung. Das Reich, das gegen Ende des 12. Jahrhunderts sowohl auf dem Balkan als auch in Anatolien zunehmend an Boden verlor, zerfiel im Zuge des 4. Kreuzzugs 1204 in mehrere Teilherrschaften. Dabei konnte das Kaiserreich Nikaia seine Position in Kleinasien zunächst auf Kosten des Lateinischen Kaiserreichs, das die Eroberer gegründet hatten, ausbauen und zugleich die Grenze gegen die türkischen Gebiete stabilisieren, ebenso wie das Kaiserreich Trapezunt am Schwarzen Meer. Dieses verlor jedoch 1214 Sinop. Die Rückgewinnung von Konstantinopel (1261) durch einen Handstreich Nikaias, und dynastische Kämpfe sowie der Niedergang der Wirtschaft durch die italienischen Konkurrenten Venedig und Genua, führten zum Verlust weiter Teile des einst nikaiischen Gebiets an türkische Emirate, die aus dem Zerfall des Seldschukenreiches hervorgegangen waren. Nur Philadelphia konnte sich bis 1390 halten, ebenso blieb das byzantinische Kaiserreich von Trapezunt im Pontos bis 1461 unabhängig. Dem verbliebenen Byzantinischen Reich blieb kaum mehr als das Gebiet um die Hauptstadt und einige wenige feste Punkte in Griechenland und am Schwarzen Meer.
Mit dem Einfall der Seldschuken verlor Armenien seine Eigenstaatlichkeit, es begann eine Abwanderung Richtung Südwesten, die bereits im 10. Jahrhundert mit Zwangsumsiedlungen begonnen hatte. Vom 11. bis 14. Jahrhundert wurde in Kilikien (zwischen Taurusgebirge und der südlichen Mittelmeerküste) nochmals ein armenisches Königreich gegründet, das bis 1375 bestehende Kleinarmenien. In den geräumten Gebieten setzten sich türkische Nomaden fest. In Antiochia ergriff bis 1080 der Armenier Vasak die Herrschaft, in Edessa Abu Kab. Gründer des neuen Königreichs wurde jedoch Ruben, der die Dynastie der nach ihm benannten Rubeniden gründete, die 1199 bis 1242 die Könige stellten. Ihm gelang es ab 1079 im Bündnis mit Philaretos Brachamios, der Antiochia und Edessa beherrschte, sein Herrschaftsgebiet in die Kilikische Ebene auszudehnen. 1130 wurde ein Angriff der Danischmenden mit Hilfe der Kreuzfahrer abgewehrt, doch 1137–38 gelang dem byzantinischen Kaiser Johannes II. die Rückeroberung Kilikiens. Unter Thoros II. wurden die Rubeniden wieder weitgehend unabhängig, 1198 gründeten sie das Königreich. Sie huldigten dem römisch-deutschen Kaiser Heinrich VI. und der Mainzer Erzbischof krönte Leo II.. Durch Hethum I. endete die Dynastie der Rubeniden. Er verbündete sich mit den Mongolen gegen die Mamluken und beteiligte sich an der Plünderung von Aleppo und Damaskus, woraufhin die Mameluken Kleinarmenien angriffen.
Der Mamluke Baybars plünderte 1275 zum zweiten Mal Ayas (das erste Mal 1266), Latakia leistete Tribut; er besiegte Truppen der mongolischen Il-Chane 1277 in Elbistan, in Kayseri wurde er gar zum Sultan von Rum ausgerufen. Jedoch musste er sich 1277 vor dem anrückenden Il-Chan Abaqa zurückziehen und starb noch im selben Jahr in Damaskus. Ende des 13. Jahrhunderts bedrohten die Mamluken die Existenz des Königreichs.
Als Konstantin IV. bestieg der katholische Guido von Lusignan den Thron, doch wurde er 1344 ermordet. Peter I. von Zypern gelang zwar die Besetzung einiger Küstenstädte, doch am Ende eroberten die Mamluken 1375 die Reste des Königreichs. Bis dahin hatte vor allem Lajazzo für die italienischen Fernhandelsmetropolen Venedig und Genua eine überaus wichtige Rolle. Dies wurde durch die Tatsache begünstigt, dass der direkte Handel mit den Ägyptern von 1322 bis 1345 infolge eines päpstlichen Verbotes fast gänzlich zum Erliegen kam. So blieb einige Zeit nur Kleinarmenien als Brücke Richtung Persien und Zentralasien, und indirekt nach Ägypten.102
Nachdem die Osmanen 1390 Philadelphia und die Emirate von Aydın und Menteşe an der ägäischen Küste erobert und sie großflächige Eroberungen auf dem Balkan abgeschlossen hatten, schien es nur noch eine Frage der Zeit, wann sie auch Konstantinopel erobern würden. Am 20. Juli 1402 besiegte jedoch Timur den Osmanen Bayezid I. in der Schlacht bei Ankara. Die tatarischen Truppen des Sultans liefen zu Timur über. Nach fast zwanzigstündigem Kampf gaben auch die serbischen Truppen unter Stefan Lazarević auf und flohen. Bayezid wurde gefangen genommen, er starb in Gefangenschaft. Doch 1403 zogen Timurs Truppen aus Anatolien ab, ihr Führer starb 1405. Trotz der katastrophalen Niederlage gelang es den Söhnen Bayezids, sich als einzig denkbare Kandidaten für seine Nachfolge durchzusetzen, doch kämpften sie ein Jahrzehnt lang um die Macht. Süleyman (Rumelien), Mehmed (Zentralanatolien) und İsa (Anatolien um Bursa) kämpften in der Folge sowohl um die an Timur verlorenen Gebiete als auch gegeneinander um die Herrschaft. In diesen Kämpfen wurde Süleyman von einem weiteren Bruder, Musa, 1410 geschlagen, dem wiederum Mehmed 1413 eine Niederlage beibrachte (Osmanisches Interregnum).
Mehmed I. (1413–1421) und Murad II. (1421–1451) setzten die Expansion des Reiches fort, wobei sich die türkischen Emirate Anatoliens besonders lange wehrten. Dennoch kam Germiyan, das um 1375 schon einmal an die Osmanen gebunden war, und das in der Zeit vor Timur eines der mächtigsten Emirate gewesen war, 1429 unter osmanische Kontrolle. Auch das 1386 unterworfene Karaman und Tekke (1386 oder 1388) wurden erneut besetzt, wobei Karaman sich 1417 den ägyptischen Mameluken unterstellt hatte. Bis 1420 war die Wiedereroberung der anatolischen Gebiete, z. T. auch durch Heiratsbündnisse, abgeschlossen. Die Expansion richtete sich allerdings zu dieser Zeit vor allem Richtung Westen, wo 1448 ein entscheidender Sieg über ein Kreuzfahrerheer und 1453 die Eroberung Konstantinopels unter Führung von Mehmed II. gelang, das zur neuen Hauptstadt wurde, und damit Adrianopel (Edirne) ablöste, das diese Funktion ab 1369 von Bursa ererbt hatte.
Der Sultan nannte sich Kayser-i Rûm, römischer Kaiser, womit er in seldschukische Fußstapfen trat, aber auch in byzantinisch-römische. Die Hauptstadt wurde Residenz der Sultane. Sie behielt neben der politischen große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung und erhielt Zuzug aus allen Teilen des wachsenden Reiches. Das Patriarchat blieb erhalten, bis 1821 spielten Griechen eine wichtige Rolle. Um 1478 erließ der Sultan eine Art Staatsgrundgesetz, das ausgesprochen absolutistische Züge aufwies, das zudem den Zugriff auf alle wichtigen Wirtschaftsressourcen dem Sultan zusprach. Dies galt etwa für den Bergbau oder Reisfelder.103 Die rudimentäre innere Verwaltung der Hauptstadt übernahm als erster Hızırbey Çelebi, der die Funktion des Şehremini übernahm, der für die Alte Stadt verantwortliche, vertrauenswürdige Mann. Daneben spielten aber vor allem die Kadis (Istanbul Kadısı) eine wichtige Rolle, die religiösen Richter. Von letzteren ist bis 1858 eine Reihe von 422 Amtsinhabern überliefert, mit der Reform dieses Jahres erhielt das Amt einen neuen Funktionsumfang. 1477 zählte man 16.324 Hausstellen in Istanbul und Galata. Daraus lässt sich allerdings mangels Kenntnissen über die Durchschnittsgrößen der „Haushalte“ nur ungefähr hochrechnen, dass die Stadt inzwischen wieder mindestens 80.000 Einwohner hatte. Dabei zählte man 9.517 muslimische, dazu 3.151 Hausstellen von Griechen und 3.095 von Armeniern, Zigeunern und Lateinern, dazu 1.647 jüdische Hausstellen.103m Dieser Bevölkerungsanstieg war die Folge der Prosperität, aber auch der Ansiedlungspolitik Sultan Mehmeds II., der den steuerfreien Bezug unbewohnter Häuser anbot. Der Topkapı-Palast wurde Sitz des Hofes, das Frauenhaus war allerdings bis Mitte des 16. Jahrhunderts im Eski Saray am Forum Tauri untergebracht.
Der Schutz der Anhänger der Buchreligionen war seit Mohammed vorgesehen. Bayezid II. nutzte die Gelegenheit, als die Spanier die Juden 1492 aus ihrem Land vertrieben, einige Tausend Flüchtlinge nach Konstantinopel zu holen. Ende des 15. Jahrhunderts zählte die Stadt wieder mehr als 100.000 Einwohner. Der Status der Nicht-Muslime, der Dimmi, wurde 1453 um das Millet-System ergänzt.103n Mehmed II. hatte eingeführt, dass jede nicht-muslimische Gemeinde ein Millet bildete, also ein durch seinen jeweiligen Glauben bestimmtes Volk. Als erste Gemeinde dieser Art wurden 1453 die orthodoxen Christen festgelegt. Ihnen folgten die Armenier 1461, dann in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Juden. Diese Gemeinden besaßen Autonomie bei der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten, wohingegen das islamische Recht ihre Beziehungen zum Staat regelte. Dementsprechend unterlagen sie rechtlichen, sozialen und politischen Beschränkungen. Sie durften keine öffentlichen Ämter bekleiden und keine militärischen Posten, nicht als Zeugen für Muslime auftreten und die Männer durften keine muslimischen Frauen heiraten. Wie in allen islamischen Ländern zahlten sie eine Sondersteuer als Ersatz für den Schutz, den sie selbst aufgrund des Ausschlusses vom Militärdienst nicht bieten konnten. Andererseits wurde ihnen nur das halbe Strafmaß auferlegt. Eine Assimilierung war nicht vorgesehen, fand aber dennoch als langsamer sozio-kultureller Prozess statt. Erst ab dem 17. Jahrhundert wurde das Millet-System dadurch zum außenpolitischen Faktor, dass die europäischen Mächte es zum Gegenstand von Verträgen machten. Damit wurden die Minderheiten zunehmend zum politischen Hebel, um in die inneren Verhältnisse des Reiches eingreifen zu können. Dies sollte umgekehrt ab dem 19. Jahrhundert die Minderheiten in Gefahr bringen, denn sie wurden zunehmend als innere Feinde betrachtet. 1453 wurde der Rabbi der jüdischen Gemeinde Mose Capsali in seinem Amt bestätigt; er führte dieses Amt von 1445 bis zu seinem Tod um 1495. Er war darüber hinaus für die Einziehung der Sondersteuer, die seine Gemeinde zu entrichten hatte, verantwortlich und pflegte ein gutes Verhältnis zu den Sultanen.103o Innerhalb der Gemeinde kam es jedoch zu Auseinandersetzungen, die 1481 in einem Attentatsversuch kulminierten. Der ab 1835 eingesetzte Ober-Rabbi der Gemeinde trug den Titel Hahambaşı. Er hatte weitgehende Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsgewalt über die Mitglieder seiner Gemeinschaft und vor allem Zugang zum Sultan. Erster Inhaber dieses Amtes war bis 1839 Abraham Levi Pascha. Außerhalb des Millet-Systems standen zwar die Kurden, doch unterlagen sie von 1514 bis 1858 eigenen Gesetzen, da sie einen unabhängigen Status besaßen.
Mit der Expansion nach Osten geriet das Osmanenreich in erste Konflikte mit den Persern und den Mamluken Ägyptens, was sich auch in innerdynastischen Kämpfen zeigte. Cem Sultan, der jüngere Bruder Sultan Bayezids II., wehrte sich gegen den Ausschluss von der Herrschaft und besetzte Inegöl und Bursa. Er rief sich zum Sultan von Anatolien aus, doch unterlag er bei Yenişehirsa und floh nach Kairo. 1482 kehrte er, von den dortigen Mamluken unterstützt zurück und eroberte Ostanatolien, Ankara und Konya. Doch nach einer weiteren Niederlage musste er nach Rhodos fliehen. Der Krieg zwischen Osmanen und Mamluken dauerte von 1484 bis 1491. Mit dem Sieg von 1514 bei Çaldıran gegen die persischen Safawiden konnten die Osmanen Diyarbakır und das Gebiet am oberen Euphrat in Besitz nehmen.104 Schließlich folgte Ägypten.
Damit waren die Osmanen von der Gefahr befreit, dass sich die östlichen mit den westlichen Gegnern verbündeten. 1463–1479 stand Venedig erneut im Krieg mit den Osmanen, die wichtige Gebiete Venedigs in der Ägäis eroberten, wie 1470 die Insel Negroponte (Euböa). Venedig suchte das Bündnis mit dem Schah von Persien und griff Smyrna, Halikarnassos und Antalya an. Doch Persien und Karaman unterlagen den Osmanen, die nun einen Angriff im Friaul sowie in Apulien versuchten. Am 24. Januar 1479 kam es zu einem Friedensschluss, Venedig musste jedes Jahr 10.000 Golddukaten an Tribut zahlen. In den Kriegen von 1499 bis 1503 und von 1537 bis 1540 war Venedig mit Spanien verbündet, verlor aber dennoch Naxos, ebenso wie 1571 Zypern im nunmehr fünften Krieg mit den Osmanen. Erst 1718 endete der letzte Krieg zwischen Venedig und Istanbul.
Mit der Eroberung Ägyptens unter Selim I. (1512-1520) im Jahr 1517 wurde Konstantinopel zum Sitz des Kalifen und zahlreiche Künstler gingen von Kairo an den Bosporus. Mitte des 16. Jahrhunderts zogen zahlreiche Griechen in die Stadt. Doch ein schweres Erdbeben mit einem anschließenden Tsunami warf Konstantinopel am 10. September 1509 um Jahre zurück. Mehr als tausend Häuser wurden zerstört, 4 bis 5000 Menschen starben, etwa 10.000 wurden verletzt. Die Mauern von Galata wurden beschädigt, ebenso der massive Turm der Stadt. Aksaray wurde überschwemmt, die Mauern von Yenikapı übersprungen, die Mauern um die Schiffswerften brachen zusammen. Die Stärke des Bebens wurde auf nahe 8,0 geschätzt, die Höhe der Wellen auf mehr als 6 m.104p Die Entfernung zwischen Istanbul und der Anatolischen Verwerfungszone beträgt weniger als 20 km. Von dieser Katastrophe erholte sich die Stadt nur langsam.
Die erste im Osmanenreich geprägte Münze war die Akçe, eine Münze, die auch in Trapezunt und Kaffa in Umlauf gebracht wurde. Diese von den byzantinischen Aspron-Münzen abgeleiteten Akçe wurden zudem nicht nur von den Osmanen sondern auch in Menteşe und Aydın geprägt. Als Vorbild diente dabei die Münzprägung der Ilchane. Der Venezianer Giacomo Badoer überliefert für die Zeit um 1430 die Wertverhältnisse zwischen den umlaufenden Münzen, die allerdings stark schwankten. Zu dieser Zeit entsprach ein venezianischer Dukat 33, ein Hyperperon 10,5 bis 11 Akçe. Hingegen lag der Hyperperon zum Akçe von Samsun und Kaffa bei 19 bzw. 20:1. Bald prägten die Osmanen auch Goldmünzen nach dem Vorbild Venedigs. Diese wurden zu Zeiten Badoers mit 2,05 Hyperpera bewertet, bzw. 80 Akçe. In Aydın wurden venezianische Dukaten nachgeprägt, so dass sich 1368 eine venezianische Gesandtschaft am Hof bemühte, den dadurch entstandenen Schaden zu verdeutlichen. Der Emir ließ die Prägung beenden. Menteşe hingegen setzte das lukrative Geschäft fort, obwohl es zu Zusammenstößen mit Venedig kam. Ohne Einsicht in wirtschaftliche Zusammenhänge, jedoch abhängig von kurzfristigen Gewinnen wurden solche Versuche immer wieder unternommen. Auch gefälschte Akçe zirkulierten vielfach. Offenbar litt ganz Anatolien in den 1380er Jahren unter einem gravierenden Mangel an Gold und Silber. Gleichzeitig floss ein erheblicher Teil des westeuropäischen Silbers Richtung Alexandria. Innerhalb der italienischen Händlergemeinde zirkulierten dabei Wechsel, mit deren Hilfe ohne den Einsatz von Münzen große Geldbeträge transferiert werden konnten. So liefen etwa zwischen Venedig oder Genua und Konstantinopel Wechsel hin und her, aber auch in einigen osmanischen Städten, wie 1438 in Edirne. Auch die Vergabe von Krediten mit ihrem Schriftverkehr war gängig.
Münze und Wechsel waren Mittel, um den Handel zwischen den Italienern und den türkischen Produzenten zu betreiben, aber auch den Transithandel mit Gewürzen und Seide. Dabei lieferte Anatolien hauptsächlich Rohstoffe wie Kupfer, Baumwolle, Getreide, Wein oder Alaun, aber auch Tuche und Sklaven (darunter viele Türken). Daher saßen Agenten aus Genua nicht nur in den Exporthäfen an der Ägäisküste, in Kaffa auf der Krim oder in Konstantinopel sondern auch in den Binnenzentren, wie Samsun. Ähnliches gilt für die Venezianer, deren Handel jedoch mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen stark zurückging. Schon seitdem Timur die Handelswege über die untere Wolga Richtung Osten abgeschnitten hatte, also gegen Ende des 14. Jahrhunderts, hatten die Orte im Schwarzen Meer stark an ökonomischer Bedeutung verloren, wie der gesamte Raum. Bis zur Eroberung des Mamlukenreichs lief der Handel mit Zentral- und Südasien entweder über Alexandria oder über verschiedene Häfen im Raum zwischen Südostanatolien und Palästina. Ab 1517 mussten sich Genuesen und Venezianer mit den Osmanen arrangieren, die nunmehr alle traditionellen Handelswege zwischen Mittelmeer und Asien kontrollierten.
Süleyman I. (1520-66), genannt ‚der Prächtige‘ und später ‚der Gesetzgeber‘, war der Nachfolger Selims. Er gilt als einer der bedeutendsten Osmanenherrscher. Süleyman betätigte sich in beträchtlichem Maße als Gesetzgeber und er dehnte das Osmanenreich erheblich aus. Nachdem die grundlegenden Fragen des Straf- und des Verfassungsrechts bereits im Gesetzbuch Mehmeds II. geregelt worden waren, befasste sich der Süleymans Namen tragende Codex vor allem mit Finanz-, Steuer- und Bodenrecht, wobei erstmalig auch bestehendes Gewohnheitsrecht kodifiziert wurde.
Auf die Verweigerung des bei jedem Thronwechsel üblichen Tributs reagierte er mit dem ersten seiner insgesamt dreizehn Feldzüge. Den ersten führte er gegen Ungarn, in dessen Verlauf er Schabatz, Semlin und 1521 Belgrad eroberte. 1522 griff er die Insel Rhodos an, die nach sechsmonatiger Belagerung am 25. Dezember 1522 kapitulierte. Die dortigen Johanniter erhielten freien Abzug und siedelten sich 1530 auf Malta an (wo sie 1565 nochmals von Süleyman belagert wurden). Hierauf zog er 1526 mit 100.000 Mann und 300 Kanonen erneut gegen Ungarn. Am 29. August siegte sein Heer in der Schlacht bei Mohács, worauf am 10. September Pest und Buda (Ofen) die Tore öffneten. Ungarn wurde zwischen dem Osmanen- und dem Habsburgerreich aufgeteilt.
Nach Unterdrückung eines Aufstandes in Kleinasien unternahm Süleyman zugunsten von Johann Zápolya, des Bans von Siebenbürgen, den eine Partei zum König gewählt hatte, 1529 einen weiteren Feldzug nach Ungarn, nahm am 8. September Ofen ein und drang am 27. September mit 120.000 Mann bis Wien vor. Diese erste Belagerung gab er aber nach einem Verlust von 40.000 Mann am 14. Oktober auf. Nun wandte sich Süleyman gegen Persien. Im Krieg von 1532 bis 1555 sandte er 1533 ein Heer unter Großwesir Ibrahim nach Asien, wo die Festungen Erciş, Ahlat und Van fielen und er am 13. Juli 1534 die persische Hauptstadt Täbris einnahm. Auch Bagdad wurde noch am 4. Dezember desselben Jahres besetzt.
Währenddessen hatte Süleymans Flotte unter Khair ad-Din Barbarossa den Spaniern 1533 Koroni genommen und 1534 Tunis besetzt, das aber 1535 durch Karls V. Tunisfeldzug wieder an Spanien fiel. 1541 unterwarf Suleyman mehr als die Hälfte Ungarns; Zápolyas Sohn musste sich mit Siebenbürgen begnügen. 1547 wurde ein fünfjähriger Waffenstillstand mit dem Habsburger-Reich geschlossen, nach welchem Süleyman ein jährlicher Tribut von 50.000 Dukaten gezahlt wurde. Hierauf unternahm er einen zweijährigen Krieg gegen Persien und erneuerte 1551 den Krieg in Ungarn, wo erst 1562 ein Friedensabkommen zustande kam.
In den Friedenszeiten zwischen den Kriegen erholte sich der Handel immer wieder, zumal das Mittelmeer als Handelsdrehscheibe noch bis um 1630 von größter Bedeutung war. 1585 bis 1610 traf das Osmanische Reich jedoch eine lange Wirtschaftskrise, die sich in einer starken Geldentwertung niederschlug. 1590 sicherte nach zwölf Jahren permanenten Krieges ein Friedensschluss mit dem Iran die ostanatolischen Eroberungen. 1591 kam es infolge dieses Krieges jedoch in Anatolien zu umfassenden Aufständen, die als Teil der sogenannten Celali-Aufstände gelten, Zehntausende von Provinzialtruppen (Sipahi) kamen den Gestellungsbefehlen nicht nach. Besonders nach 1584 hatten die Janitscharen das Land der Bauern besetzt, um Geld zu erpressen oder um es zu verpachten. Urfa wurde 1598 für 18 Monate zum Zentrum des Widerstandes.
Immerhin endeten die regelmäßigen Brudermorde, die das Reich erschütterten, wenn es zu einem Herrscherwechsel kam. Mehmed III. war 1595 der letzte Herrscher, der in dieser Weise gegen seine 19 Brüder vorging. Er duldete eine Art Nebenregierung seiner Mutter Safiye, der Venezianerin Baffa.105 Nicht nur politisch, sondern vor allem wirtschaftlich spielte Venedig nach wie vor eine bedeutende Rolle. Es gelang der Stadt, ihre nahöstlichen Gewürzkäufe praktisch zu einem Monopol auszubauen, dessen Drehkreuz nun Kairo und Alexandria wurden. Venedig bezahlte fast nur noch mit Golddukaten, womit es zum größten „Goldleck“ Europas wurde.
Die Bedeutung der nordanatolischen Städte ging hingegen bis zum 16. Jahrhundert, sieht man von den wenigen Hafenstädten wie Sinop und Trabzon ab, stetig zurück. Dies hing damit zusammen, dass nicht-osmanische Schiffe im Schwarzen Meer nicht zugelassen wurden, dass das Meer geradezu zum Istanbuler Meer wurde, ein Zustand, der erst 1779 geändert wurde, als russische Schiffe, die bald auch ins Mittelmeer fahren durften, die Seewege öffneten. Izmir hingegen erholte sich und erlangte größte Bedeutung für den Handel Anatoliens. Es hatte 1580 nur noch 2000 Einwohner, 1650 hingegen bereits wieder 40.000.106 Zwischen 1550 und 1650 stellte sein Handel denjenigen Istanbuls beinahe in den Schatten. Doch auf den Ozeanen, die das Mittelmeer nun als Haupthandelswege ablösten, konnten die Osmanen nicht mit den Portugiesen konkurrieren, die nun den Gewürzhandel kontrollierten. Hingegen wurden einige Städte, wie Konya oder Amasya als Prinzenresidenzen eingerichtet, so dass sie vom entsprechenden Luxushandel und Prestige profitierten. Schafe und Ziegen, dazu Pferde für das Militär, beanspruchten im ländlichen Bereich große Weideflächen, hinzu kamen Kamele.
Im Gegensatz zur früheren Forschung, die in der osmanischen Geschichte nach dem 16. Jahrhundert nur einen langen Niedergang sah, sieht die jüngere Forschung eher einen Wandel von einem zentralistischen, von feudalen Strukturen gekennzeichneten Staat zu einem dezentralisierten, ökonomisch bestimmten und weniger autokratischen Regiment. Außerdem wurde die Nachfolge so geregelt, dass es nicht immer wieder zu Bruderkämpfen kam, wobei der Sieger jedes Mal seine Brüder umbringen ließ. Seit Ahmed I. (1603-1617) ging man zu einer geregelteren Nachfolge über. Die Nachfolgekämpfe fanden nun nicht mehr zwischen den Armeen in den Provinzen statt, sondern am Hof in Istanbul. Gleichzeit erhielten die Großwesire erheblich mehr Einfluss; sie zogen um 1654 in den Paşa Kapısı gegenüber dem Sultanspalast.
Diese Veränderungen in der Machtkontrolle in Verbindung mit Veränderungen in der Armee führten zu einer Reihe von Aufständen, bei denen es 1622, 1648 und 1687 dazu kam, dass der Sultan abgesetzt wurde, zu weiteren Aufständen kam es 1632, 1655 und 1656. Möglicherweise als Konsequenz aus diesen Unruhen und dem hohen Risiko, wie in den Jahren 1622 und 1648 geschehen, dass der Sultan zu Tode kam, zogen die Herrscher einen Aufenthalt in Edirne ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor. Revolten wurden geradezu zu einem Kennzeichen der politischen Kommunikation zwischen dem komplexen Hof und der Gesellschaft, denn die rebellischen Janitscharen verbanden sich oftmals mit der Stadtarmut und den einfachen Handwerkern.
Diese Rebellionen wurden aber auch durch eine ausgeprägte Inflation und damit Verarmung angetrieben, die als osmanische Preisrevolution bekannt wurde, und die die Jahre zwischen etwa 1580 und 1650 prägte. Unter den, wohl auch durch die staatlichen Aufwändungen bedingten Abwertungen des Akçe, einer Münze, die ursprünglich 1,2 g wog (ein Gewicht, das nach 1600 auf 0,33 g sank), litt der Handel. Daher wurden größere Silbermünzen aufgelegt, wie der Para. Er wurde unter Murad IV. (1623 bis 1640) eingeführt. 40 Para entsprachen einem Kuruş oder Piaster. Dennoch setzte sich die Inflation fort, während die oftmals staatlich vorgegebenen Preise nur langsam angepasst wurden. Die betroffenen Gewerbe und Handwerke verarmten. Gleichzeitig zog der Staat seine Abgaben immer mehr in Münzen ein, und zwar bevorzugt in „guten“, also europäischen, und akzeptierte immer weniger osmanische Münzen oder gar Naturalien. Ein Steuerpächtersystem etablierte sich zudem in den Provinzen. Die Köprülü-Wesire, die von etwa 1656 bis 1683 die Reichspolitik beherrschten, versuchten Lösungen zu finden, um dem Zusammenbruch zu entgehen. 1657 gelang an den Dardanellen ein Sieg über Venedig und Aufstände konnten niedergeschlagen werden. So reagierte die Regierung zwar, doch es gelang nicht, zu grundlegenden Lösungen vorzustoßen.
Außenpolitisch geriet das Osmanenreich seit dem Wiederaufstieg des persischen Safawidenreiches unter Schah Abbas I. (1587-1629) massiv unter Druck. Ihm gelang es, die türkischen Heere in Aserbaidschan und im südlichen Kaukasusgebiet zu schlagen. 1603 eroberten die Perser Täbriz zurück, im nächsten Jahr folgte das aserbaidschanische Naxçıvan. Auch Bagdad, Basra und das südliche Kurdistan, im Osten Afghanistan fielen an Persien, so dass sein Reich vom Euphrat bis zum Indus reichte. Grundlage dieser Erfolge waren wirtschaftliche, politische und soziale Reformen, aber auch militärische Änderungen, bei denen Engländer als Berater fungierten. Mit Hilfe einer Flotte der East India Company konnte er zum einen die Handelsmacht der Portugiesen brechen, indem er sie von der Insel Hormus am Nadelöhr des Persischen Golfes vertrieb, zum anderen knüpfte er Kontakte zu den europäischen Höfen an, die Gesandte nach Isfahan schickten, um Abbas als Verbündeten gegen Konstantinopel zu gewinnen. 1615 schlug Abbas einen Aufstand der Georgier in Tiflis nieder, eine Allianz zwischen Osmanen und Tataren wurde 1618 von seinen Truppen ebenfalls besiegt. Diese Niederlagen der Osmanen waren jedoch nur Ausdruck einer umfassenderen Krise, die sich schon in den letzten Jahren des Gesetzgebers abgezeichnet hatte.
Wie so oft in religiös dominierten Gesellschaften, die in eine allgemeine Krise geraten, so glaubten viele Bewohner die Lösung für die Nöte in fundamentalistischen Bewegungen finden zu können. Sie folgten vor allem Männern, wie Kachzade Mehmed († 1635), die eine Rückkehr zum als einfach imaginierten Leben zu Zeiten Mohammeds forderten. Sie wandten sich gegen alles, was sie als modern empfanden, wie Kaffee trinken, Rauchen oder das zikr, die Sufi-Praxis des leisen oder lauten Nennens der Namen Gottes. Kadizadeli und Sufiorden bekämpften sich oftmals in großen Straßenkämpfen. 1633 und 1662 kam es zu Verboten von Kaffeehäusern und Tavernen, 106c 1685 wurde selbst Nichtmuslimen der Genuss von Wein untersagt, und Männer wie Vani Mehmed, ein Berater Mehmeds IV., erlangten großen Einfluss.
Die Veränderung des osmanischen Reiches stand nicht nur in Wechselwirkung mit politischen und wirtschaftlichen Erschütterungen, sondern sie zeitigte auch demographische. Zahlreiche Bewohner der an ausländische Mächte verlorenen Gebiete zogen es vor, osmanische Untertanen zu bleiben oder wurden vertrieben. Als Russland die Krim besetzte, zogen vielleicht 300.000 Menschen ins türkische Reich, weitere 425.000 folgten 1812 und 1828. Zwischen 1859 und 1864 verließen große Gruppen das Kaukasusgebiet, darunter 100.000 Nogaier und 400 bis 500.000 Tscherkessen. Viele Flüchtlinge gingen zunächst nach Rumelien, also in den europäischen Reichsteil, doch nach dessen Teilverlust 1878 zog ein erheblicher Teil von ihnen weiter nach Anatolien oder nach Palästina. Vielleicht eine Million Menschen flohen im Laufe des 1877 beginnenden Krieges mit Russland südwärts.107 Zu den Ursachen für Binnenwanderungen und Fluchtbewegungen zählten Schädlingsplagen und Trockenheit, Kriege, aber auch Erdbeben. Zwischen 1500 und 1799 zählte man 377 Erdbeben. Der „Kleine Weltuntergang“ vom 10. September 1509 ließ die Erde im Marmaragebiet 22 Stunden lang beben. Das Beben von 1894 machte die geplante Nationalausstellung unmöglich.108 Insgesamt trafen Istanbul zwischen 325 und 1894 zwölf schwere Erdbeben, davon zerstörte eines mit der Stärke um 8,0 die römische Stadt Bathonea im Westen der Stadt im 11. Jahrhundert.108a Noch gravierender als diese Katastrophen dürfte sich die sogenannte Kleine Eiszeit ausgewirkt haben, die sich darin widerspiegelte, dass der Bosporus in einer Reihe von Wintern von Eismassen, die der Nordostwind in die Meerenge getrieben hatte, verstopft wurde. Dies geschah in den Jahren 1621 und 1669, dann 1755 und 1779, sowie 1823, 1849, 1857, 1862, 1878, 1893, 1928, 1929 und zuletzt 1954 (in diesem Jahr ohne Nordostwind).108b
Bereits die Expansionsphase hatte zu erheblichen Zwangsumsiedlungen geführt. Gleich mit der Eroberung Konstantinopels 1453, war die jüdische Gemeinde in Thessaloniki aufgelöst worden. Ihre Mitglieder gingen ganz überwiegend in die Hauptstadt, ähnlich wie zahlreiche der 1492 aus Spanien und wenig später aus Portugal vertriebenen Juden. Diese Sephardim dominierten am Ende des 16. Jahrhunderts die alteingesessenen aschkenasischen Gruppen. Zu dieser Zeit waren Saloniki, Edirne und Safed ebenfalls wichtige Zentren, Anatolien profitierte von ihrer Wirtschaftstätigkeit hingegen weniger. Zugleich nahm ab etwa 1760 die Abhängigkeit vom Getreide Ägyptens rapide ab. Diese Rolle übernahmen Gutshöfe (Çiftlik) auf dem Balkan und in Anatolien. Ab 1792 brachten osmanische Griechen russisches Getreide an den Bosporus.
Insgesamt lockerte sich der Zugriff Istanbuls auf Anatolien, aber auch auf rumelische Gebiete dermaßen, dass die zentrifugalen Kräfte in der lokalen Politik zunehmend dominierten. In Wirklichkeit herrschten in Mittel- und Ostanatolien, ähnlich wie in Teilen des Balkans, mehrere hundert als „Talfürsten“ (derebeys) bezeichnete lokale Machthaber, von denen die Canikogullan, die an der pontischen Küste einen hohen Autonomiestatus errangen, nur mit Hilfe anderer Talfürsten in Schach zu halten waren.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts konnten die Osmanen das Abbröckeln ihrer Macht in den Randgebieten ihres Riesenreiches ebenfalls nicht mehr verhindern. Der Statthalter Muhammad Ali Pascha von Ägypten machte sich praktisch unabhängig, 1831 besetzten ägyptische Truppen unter Ibrahim Pascha Palästina und Syrien und besiegten osmanische Armeen bei Homs und Konya. 1832 rückten sie nach Anatolien vor. In der Schlacht von Nisibis am 24. Juni 1839 unterlagen die Osmanen erneut. Nur die Intervention Großbritanniens, Russlands, Preußens und Österreichs im Jahr 1840 zwang Muhammad Ali Pascha 1841, Syrien und Palästina wieder zu räumen. Im 18. Jahrhundert kam es zu einem Wiederaufleben des von den in Edirne lebenden Sultanen vernachlässigten Konstantinopel. Zwischen 1703 und 1808 entstanden über 300 prachtvolle Privathäuser und Serails. Mahmud I. (1730-1754) und auch seine Nachfolger statteten die Stadt mit Palästen, Brunnen und Parks aus. Zwar stammt ein sehr großer Teil der erhaltenen Handschriften aus der Zeit nach der allgemeinen Verbreitung des Buchdrucks in Europa, doch wurden sie eifrig kopiert. Im 18. Jahrhundert waren in der Stadt angeblich 90.000 Kopisten tätig.108k
Die Phanariotenherrschaft in den Donaufürstentümern fand nach mehr als einem Jahrhundert 1821 ihr Ende und in den 1820er Jahren gewann die Unabhängigkeitsbewegung in Griechenland an Stärke. Trotz Unterstützung durch Ägypten musste Istanbul 1830 Griechenland die Unabhängigkeit gewähren.
Russland forderte die Kontrolle über die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen, unterstützte zugleich auf dem Balkan die dortigen orthodoxen Christen, wie es sich als Schutzherrn aller Slaven verstand. Doch Großbritannien und Frankreich sperrten sich gegen die russischen Expansionspläne. Für Großbritannien, den wichtigsten Handelspartner der Osmanen, ging es zum einen darum, die Wege nach Indien zu kontrollieren, zum anderen darum, die Vormachtbestrebungen Russlands in Asien zu unterbinden. Im Krimkrieg (1853–1856), der durch die russische Besetzung der Fürstentümer Walachei und Moldau ausgelöst wurde, kämpften Großbritannien, Frankreich und später auch Sardinien-Piemont auf osmanischer Seite. Im Frieden von Paris wurde das Schwarze Meer entmilitarisiert.
Fehlende Reformen, Korruption, militärische Niederlagen sowie die Abschottung gegen moderne Tendenzen bewirkten, dass man trotz einer eindrucksvollen Fassade im 19. Jahrhundert schließlich vom „kranken Mann am Bosporus“ sprach, wenn man das Osmanische Reich meinte. Beginnend mit den Tanzimat-Reformen von 1839 entstand eine zivile Beamtenelite, die 1890 aus mindestens 35.000 Karrierebeamten bestand108m, nicht mehr aus eingesetzten. Diese waren allerdings nur zu einem geringen Teil in Istanbul tätig, sondern überwiegend in den Territorien. Parallel dazu reduzierte sich die Zahl der Schreiber, die um 1700 noch nach Tausenden zählten, drastisch.
1812 traf eine schwere Pestwelle die Stadt, die etwa 150.000 Einwohner das Leben kostete, 1836 folgte eine weitere Epidemie, bei der 80.000 Menschen starben. Doch zwischen 1824 und 1845 verschwand die Krankheit aus dem Reich, sieht man von Kurdistan und dem Irak ab.108n Noch um 1700 war Istanbul die größte Stadt der Welt, obwohl sich ein ökonomischer und demographischer Stagnationsprozess abzeichnete. Dennoch war Istanbul um 1800 mit seinen 580.000 Einwohnern immer noch die viertgrößte Stadt der Welt, nach Peking, London und Kanton, und noch vor Paris.108o 1878 zählte man 546.437 Einwohner, 1885 waren es bereits 873.565, von denen allerdings 129.243 Untertanen anderer Staaten waren108p, was einem Ausländeranteil von knapp 15 % entsprach. 1913 war Istanbul eine von 13 Städten mit mehr als einer Million Einwohnern. Die Lohnverhältnisse stellten sich günstiger dar, als etwa in Leipzig oder Wien, misst man die Handwerkerlöhne in Weizenäquivalenten.108q
In Istanbul war Nichtmuslimen das Reisen in der Stadt untersagt. Güter wurden meist durch menschliche Kraft bewegt, von Tieren gezogene Karren waren um 1800 die Ausnahme. Durch die nach westlichem Vorbild errichteten Straßen wurden Straßenbahnschienen verlegt. Diesen Fahrzeugen gingen mit Stöcken ausgestattete Männer voran, die die Hunde vertreiben sollten.108r Istanbul begann den technischen Rückstand an vielen Stellen aufzuholen, und wurde darin zudem schneller. Nachdem 1895 mit den Lumière-Filmen erste filmische Darbietungen in Paris erfolgt waren, wurden diese bereits im nächsten Jahr in Istanbul aufgeführt.108s Lange vor Westeuropa bewirkte die Topographie Istanbuls etwas, das in Westeuropa noch lange die Ausnahme war, nämlich, dass die städtischen Führungsschichten nach einem Haus mit Meerblick verlangten. Die beiden Bahnhöfe der Stadt, die deutsche Architekten 1887 und 1909 fertigstellten, empfingen Reisende aus Europa mit einer orientalisierenden, Reisende aus Kleinasien mit einer griechisch-klassizistischen Fassade.108t
Neben den Armeniern und Griechen stellen die Kurden, deren Herkunft umstritten ist, eine der größten Minderheiten des Osmanenreiches dar. Sie erscheinen möglicherweise in sassanidischen Quellen des 3. Jahrhunderts, gesichert sind kurdische Stämme aber erst ab dem 7. Jahrhundert in arabischen Quellen; aus dem 10. Jahrhundert ist eine Liste der Stämme erhalten. Erstmals fassbar wird Kurdistan als administrative Einheit unter den Groß-Seldschuken im Jahr 1157.109 Ihnen gelang, bevor der Druck des osmanischen und des persischen Großreiches zu stark wurde, die Gründung mehrerer islamischer Dynastien im Osten Anatoliens, im Westen des Irans und im Norden des Iraks. Zu den anatolischen Dynastien zählten die Marwaniden (990-1096) im nördlichen und westlichen Kurdistan mit Wintersitz in Diyarbakir und Sommerresidenz in Farqin (Silvan). Hingegen entstanden andere kurdische Dynastien außerhalb Anatoliens, wie etwa die Rawadiden (955-1071) in Aserbaidschan mit der Hauptstadt Täbriz, die Hasanwayhiden (um 950-1121) nordöstlich von Kermanshah, die Schaddadiden (951 – um 1171) in Transkaukasien auf dem Gebiet des heutigen Armenien und Aserbaidschan und die Ayyubiden (1171–1252) in Ägypten und Syrien. Andere kurdische Dynastien waren die Hazaraspiden (1148–1424) im südwestlichen Iran und die Annaziden (991 bis 1116) an der heutigen iranisch-irakischen Grenze. Dabei waren die Ayyubiden in Syrien die einflussreichste, ihr Reich erstreckte sich über Teile von Kurdistan, Ägypten, Syrien und den Jemen, und ihr Herrscher Saladin besiegte die christlichen Kreuzfahrer 1187 entscheidend in der Schlacht bei Hattin.
1514 waren die überwiegend sunnitischen Kurden mit den ebenfalls sunnitischen Osmanen verbündet und besiegten in der Schlacht von Tschaldiran die schiitischen Safawiden. Zum Dank mussten die kurdischen Herrschaften (Kürt Hükümetleri) keinen Tribut leisten und keine Soldaten stellen. Daneben bestanden die kurdischen Sandschak, die wie alle Sandschaks Steuern zahlten und Soldaten stellten. In beiden Fällen akzeptierte Istanbul jedoch die Erblichkeit der lokalen Herren, was im Rahmen des Tımar-Systems sonst unüblich war, das nur eine Vergabe auf Lebenszeit vorsah. Bedeutende kurdische Fürsten im Osmanenreich waren die Baban (1649–1850) mit Sitz in Silemani, die Fürsten von Soran, die sich 1835 für unabhängig erklärten, die Azizan in Hakkari, die sich bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen lassen und die Fürsten von Bitlis (1182–1847). 1596 veröffentlichte Şerefhan, Fürst von Bitlis, die auf Persisch verfasste Scherefname (Prachtschrift), das älteste Geschichtswerk, das sich ausschließlich mit der Geschichte Kurdistans und der Kurden befasst.110
Im Osten Anatoliens entstanden weitere lokale Herrschaften, von denen die der Aq Qoyunlu im 15. Jahrhundert sogar ein kurzlebiges Großreich ausbildeten, das sowohl Osmanen als auch persischen Safawiden ernsthaft Konkurrenz machte. Dabei handelte es sich um einen nomadisierenden Turkmenenstamm bzw. in späterer Zeit eine Stammeskonföderation, die sich wahrscheinlich nach dem Untergang des Rum-Seldschukenreiches formiert hatte. Sie sind seit dem 14. Jahrhundert um Diyarbakır genauer fassbar. So wird in byzantinischen Quellen die Bayundur-Familie, das Herrscherhaus der Aq Qoyunlu, erstmals im Jahr 1340 erwähnt. Ab diesem Jahr unternahmen die Aq Qoyunlu Raubzüge nach Mesopotamien, Syrien und vor allem gegen Trapezunt. 1348 erschienen sie vor Trapezunt und vier Jahre später verheiratete Kaiser Alexios III. (1338-90) seine Schwester Kyra-Maria Despina mit Tur Alis Sohn Fahreddin Qutlu Beg - so wie er 1367 seine zehnjährige Tochter an den König von Georgien verheiratete. In der Folgezeit wurden noch weitere Ehen mit Trapezunts Kaiserhaus geschlossen, auch über die Glaubensschranken hinweg.
Als Stammesgründer gilt Qara Yoluk Uthman Beg (1389–1435). Er machte 1399 Timur in Karabag seine Aufwartung, als sich die übrigen Turkmenenführer (insbesondere sein Rivale Qara Yusuf von den Qara Qoyunlu) gegen diesen stellten. Als Timurs Verbündeter wurde er mit Diyarbakır belehnt und nahm 1402 an dessen Feldzug gegen die Osmanen teil. Er verlor jedoch mit Timurs Tod drei Jahre später viel Rückhalt. Nach seinem Tod 1435 in einem Gefecht geriet die Föderation unter den Druck der Qara Qoyunlu und verlor ihre Gebiete bis auf das Kerngebiet um Diyarbakır. Doch unter Uzun Hasan (1453-1478) kam es zum beinahe schlagartigen Aufstieg der Aq Qoyunlu, nachdem er 1467 die Qara Qoyunlu geschlagen und deren Reich im Iran, Aserbaidschan und dem Irak erobert hatte. Sein Herrschaftsgebiet reichte vom Kaspischen Meer bis Syrien und von Aserbaidschan bis Bagdad. Deshalb sah sich Uzun Hasan selbst als „Wahrer der türkischen Einheit“ und verglich sich mit Timur, dessen ehrgeizigen Nachfolger Abu Said er 1469 besiegte und tötete. Er forderte jährliche Tribute und Abgaben von den örtlichen Fürsten, baute aber bis zur Verlegung der Hauptstadt nach Täbriz keine feste Residenz. Auch richtete er keine dauerhaften Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen ein. In seinen letzten Jahren ließ er eine Gesetzessammlung zusammenstellen, die die Bevölkerung vor willkürlichen Steuern und Abgaben schützen sollte.
Die Eroberung Trapezunts, mit dem enge Verwandtschaftsbande bestanden, konfrontierte Uzun Hasan 1461 mit den Osmanen. Um technnologisch den Gegnern gewachsen zu sein, versuchte er, sich Gewehre und Kanonen zu verschaffen. Ab 1471 kämpfte er in Ostanatolien im Bündnis mit Venedig, das eine Flotte mit 99 Galeeren unter Pietro Mocenigo entsandte. Josaphat Barbaro versuchte als venezianischer Gesandter Kontakt zu Uzun Pascha und dem verbündeten Karaman aufzunehmen und Informationen zu erlangen; seine Berichte sind überliefert.110j Doch Uzun unterlag am 11. August 1473 in der Schlacht von Otlukbeli bei Erzincan. Dabei setzten die Osmanen Artillerie ein, über die Uzun Hasan nicht verfügte. Uzun Hasans Sohn Yaqub (1478–1490) schlug 1480 eine ägyptische Streitmacht, die Diyarbakır erobern sollte. 1488 ließ er den Safawiyya-Führer Scheich Haidar töten, der von Istanbul unterstütz wurde. Diese seit 1301 bestehende schiitische Bewegung zog eine Reihe von Turkmenenstämmen an, die später als Qizilbasch bekannt wurden. Als Yaqub 1490 starb und seine Nachfolger sich um den Thron stritten, gerieten die Aq Qoyunlu zunehmend unter den Druck der aufstrebenden Safawiyya unter Ali und dem jugendlichen Ismail, dem Gründer des Safawiden-Reiches (1501-1736). Ismail entriss 1501 Täbriz dem Thronanwärter Alwand und stürzte 1507 den letzten Regenten der Aq Qoyunlu in Mardin. Schah Ismail vereinigte Persien unter seiner Herrschaft.
1838 bis 1876 fanden unter Federführung des Großwesire Mustafa Reşid Pascha und später Ali Paschas und Fuad Paschas Versuche statt, eine „Heilsame Neuordnung“ („Tanzimat-ı Hayriye“) durchzuführen. Nichtmuslime wurden Muslimen gleichgestellt, das Justiz- und Steuersystem wurde reformiert, später die Steuerpachten abgeschafft. Doch am 13. April 1876 musste der Staat den Bankrott erklären. Der Markt im Osmanischen Reich war für die Europäer, allen voran die Briten111 1838 geöffnet worden (Abkommen von Balta Liman), die Einfuhrzölle lagen unter den Ausfuhrzöllen. Die Gleichstellung der Christen ab 1856 bewirkte eine Vormachtstellung der Griechen, Armenier, aber auch anderer europäischer und levantinischer Gruppen im Fernhandel, während traditionelle Gewerbe weiter zurückfielen. Das Reich wurde zum Exporteur von Rohstoffen und Importeur europäischer Waren. Europäische Lebensformen und Kapital dominierten zunehmend den Alltag und die Wirtschaft. Diese Dominanz zerbrach erst in Folge der Kriege um den Balkan und die Krim, und der Konfrontation mit den europäischen, imperialistischen Mächten während des Ersten Weltkrieges. Hauptstützpunkt des britischen Handels war bis dahin Smyrna, vor allem nachdem die politische Dominanz Frankreichs, das sich seit etwa 1853 durchgesetzt hatte, ab 1870 zunehmend von der britischen abgelöst wurde.
Der durch einen Staatsstreich an die Macht gekommene Abdülhamid II. (1876–1909) kündigte eine liberale Verfassung an. Als die Osmanen russische Forderungen nach Unabhängigkeit einiger Gebiete ablehnten, kam es zum Krieg. Russland besetzte den europäischen Teil der Türkei und rückte auf die Hauptstadt vor. Am 3. März 1878 kam es zum Frieden von San Stefano, durch den die Unabhängigkeit Rumäniens, Serbiens, Montenegros und Bulgariens festgeschrieben wurde. Ferner kam die Provinz Kars an Russland, Zypern wurde britisch, wenn auch formell erst 1914. Durch den Berliner Vertrag erlangten alle europäischen Mächte stärkeren Einfluss.
Die inneren Reformen wurden rückgängig gemacht, das Parlament aufgelöst. Finanziell geriet das Land weiter in die Abhängigkeit der europäischen Großmächte. Nach dem Staatsbankrott übernahm die von den sieben wichtigsten europäischen Mächten gegründete Administration de la Dette Publique Ottomane ab 1881 die Verwaltung der osmanischen Schuld, einen Gutteil der Finanzverwaltung. Steuern auf staatliche Monopole auf Tabak, Salz und Alkohol, dann die Steuern auf Fischverkäufe in Istanbul, auf Fisch und Seide in Bursa, auf die Einnahmen aus Stempelmarken und die Abgaben mehrerer Provinzen flossen in die Schuldentilgung, und damit an europäische, vor allem französische und britische Banken. Europäische Investitionen konzentrierten sich auf Rohstoffe und Großprojekte wie den Bau der Bagdadbahn, wobei hier Deutschland den Zuschlag erhielt, das seine Position bis zum Ersten Weltkrieg immer stärker ausbauen konnte.
Nach 1900 erstarkten die inneren Oppositionskräfte, besonders die Bewegung der Jungtürken, die ihren Ausgangspunkt vor allem in Saloniki hatte. 1908 wurde die Verfassung wieder in Kraft gesetzt. Allerdings hatte ihre Regierung mit einem ähnlichen äußeren Druck zu kämpfen, wie die Vorgängerregierungen, denn das Reich verlor immer mehr seiner Randgebiete. 1911 ging Tripolis an Italien verloren. Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro schlossen 1912 den Balkanbund gegen das Reich, das dadurch fast alle europäischen Besitzungen einschließlich Edirnes einbüßte. 1913 wurde der Grenzverlauf mit Bulgarien festgelegt.
Im Ersten Weltkrieg stellte sich das Osmanische Reich auf Initiative von Enver Pascha am 2. August 1914 in einem Geheimabkommen auf die Seite der Mittelmächte; die Kriegserklärung folgte drei Monate später. Die Entente erklärte den Osmanen am 4./5. November den Krieg. Die jungtürkische Partei Ittihad ve Terakki kündigte nach dem Kriegseintritt das Abkommen vom 8. Februar 1914. Die Alliierten forderten Durchfahrtsrechte durch Bosporus und Dardanellen, was Istanbul jedoch ablehnte. Zwischen dem 19. Februar 1915 und dem 9. Januar 1916 kam es zu schweren Kämpfen um die Dardanellen in der Schlacht von Gallipoli (in der Türkei „Çanakkale Savaşı “, „Krieg von Tschanakkale“ genannt), wo türkische Truppen in einer Stärke von über 315.000 Mann eine Streitmacht des britischen Weltreichs von fast 470.000 Mann mit deutscher Unterstützung unter Otto Liman von Sanders abwehrten. Mustafa Kemal wurde aufgrund seines persönlichen Muts zum Oberst befördert. Churchill plädierte für den Einsatz von Giftgas gegen „unzivilisierte Stämme“, der Gaseinsatz wurde international heftig kritisiert. Etwa eine Viertelmillion Menschen wurden insgesamt bei den Kämpfen getötet. Am 5. September 1916 kündigte die Regierung alle weiteren Verträge und Abkommen, die äußeren Mächten Interventionsmöglichkeiten boten, wie etwa den Vertrag von Paris (1856), den Berliner Vertrag (1878) oder die Deklaration von London (1871). Im September 1918 erlitten die Osmanen die entscheidende Niederlage.
Auch nach innen ging die Regierung während des Krieges mit äußerster Brutalität vor, insbesondere gegen die Minderheiten. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten über 220.000 Armenier in Konstantinopel. Am 24. April 1915, zwei Monate nach Beginn der Kämpfe um die Dardanellen, veranlasste die Regierung die Deportation armenischer Zivilisten aus Konstantinopel und die Ermordung von 200 armenischen Intellektuellen. Der anschließenden Politik der Deportationen fielen zwischen 600.000 und 1,5 Millionen Armenier zum Opfer112, was bis zu zwei Drittel der im Osmanenreich lebenden Armenier entsprach (Völkermord an den Armeniern).
Außer dem inzwischen unabhängigen Arabien - Ende September 1918 fiel Damaskus - wurde das Reich gemäß dem Sykes-Picot-Abkommen in Interessensphären aufgeteilt. Am 30. Oktober 1918 hatte das Reich kapituliert. Mit dem Waffenstillstand von Mudros, der am 30. Oktober 1918 zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich geschlossen wurde, war erfolgte der Abbruch der deutsch-osmanischen Beziehungen. Die Siegermächte besetzten im November 1918 einen Großteil des Osmanischen Reiches. Die Jungtürken Cemal Pascha, Talât Pascha und Enver Pascha wurde entlassen und flohen an Bord eines deutschen U-Bootes. Hunderte von Tätern im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern wurden verhaftet, drei von ihnen hingerichtet.
Es entstand eine Widerstandsbewegung gegen die Besatzungsmächte. Bei den Wahlen vom Dezember 1919 errang die Befreiungsbewegung eine Zweidrittelmehrheit und verlegte ihren Hauptsitz nach Angora, ins spätere Ankara. Der 1920 von der Hohen Pforte unterzeichnete Vertrag von Sèvres, der dem Staat die Souveränität aberkannte, wurde von Ankara nicht anerkannt. Es kam zum Befreiungskrieg, in dem griechische Truppen besiegt wurden. Der überwiegende Teil der griechischen Zivilbevölkerung musste Smyrna, das nun İzmir hieß, verlassen. Für die seit rund drei Jahrtausenden im Westen Anatoliens ansässigen Griechen folgte nun die Kleinasiatische Katastrophe. Zugleich wurden Hunderttausende von Türken aus den europäischen Gebieten vertrieben, etwa aus Saloniki. Am 1. November 1922 wurde das Sultanat abgeschafft, den Vertrag von Lausanne unterzeichnete nur die neue Regierung. Am 4. November trat die Regierung des Sultans zurück.
Am 13. Oktober 1923 wurde Ankara zur Hauptstadt erhoben und am 29. die Republik ausgerufen. General Mustafa Kemal Pascha, der die Aufstände im Reich unterdrücken sollte, sich aber auf deren Seite gestellt hatte, wurde Staatspräsident, Ismet Pascha wurde Ministerpräsident. Der letzte Sultan, Mehmed VI. musste das Land ebenso verlassen und fand Asyl in Nizza, wie alle anderen Angehörigen der Dynastie. Erst ab 1952 durften die weiblichen Angehörigen der Dynastie zurückkehren, ab 1974 auch die männlichen.
Aus dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches infolge des Ersten Weltkrieges und dem Türkischen Befreiungskrieg ging die heutige Türkei hervor. Sie ist als demokratische Republik verfasst. Der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war bestrebt, die Türkei durch gesellschaftliche Reformen nach dem Vorbild verschiedener europäischer Nationalstaaten zu modernisieren. Der Einheitsstaat war laizistisch geprägt, ließ allerdings Minderheitenrechte unberücksichtigt. Auf der Grundlage des Lausanner Vertrages erkannte die Republik die Kurden nicht als ethnische Minderheit an, die Vertreibungen infolge des griechisch-türkischen Krieges wurden hingenommen. Aufstände der Kurden, wie der Koçgiri-Aufstand (1920), der Scheich-Said-Aufstand (1925), der Ararat-Aufstand (1926–1930) und der Dersim-Aufstand (1938) wurden niedergeschlagen. Ihre Sprache durfte öffentlich nicht zur Anwendung kommen.
Beim Dersim-Aufstand handelte es sich weniger um einen kurdischen Aufstand, sondern vielmehr um einen der Aleviten, die heute etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung der Türkei stellen. Sowohl ihre Abgrenzung zu den Sunniten als auch zu den anderen Religionen ist umstritten, zudem vermischt sich die religiöse mit ethnischen und sprachlich-kulturellen Grenzen. Ihre Kultsprache ist Türkisch, viele von ihnen sind kurdischer oder turkmenischer Herkunft. Sie werden als geistige Nachfahren der Anhänger des Bektashi-Ordens, eines Derwisch-Ordens, der im 13. Jahrhundert entstand, und der Kizilbasch betrachtet. Hierin vermischten sich die Verehrung Alis, vorislamische Elemente, Mystik und Batinismus. Letzterer ist eine Gegenreaktion gegen die islamische Orthodoxie, die die asketische und sinnenfeindliche Haltung sowie die Scharia ablehnt. Mohammed wurde darin zu einem präexistenten Wesen aufgewertet, der unter dem Kalifen Uthman entstandene Koran relativiert. Dies stieß bei den Sunniten auf starken Widerstand. 1477 übernahm im westiranischen Ardabil Scheik Gunaid die Leitung des Ordens und formte eine für die Osmanen politisch bedrohliche Macht an der Ostgrenze. Die kämpferischen Derwische Gunaids und seines Sohnes Haydar trugen eine rote Kopfbedeckung und wurden deshalb Kizilbasch genannt. Selim I. konnte die im Westiran entstehende Macht erst 1514 in der Schlacht bei Çaldıran stoppen. Die Osmanen bekämpften in der Folge jede Form heterodoxer Relligiosität bei den Turkmenen. Selim ließ Tausende von Kizilbasch hinrichten und den Rest aus dem Einflussbereich der persischen Safawiden nach Zentral- und Westanatolien deportieren. Aus ihnen entwickelten sich, in Symbiose mit dem Bektaschi-Orden, die Aleviten der heutigen Türkei. Zugleich wandten sich die iranischen Herrscher, die Safawiden unter dem Ordensmeister Shah Ismail, von der Lehre der Aleviten ab und der Zwölferschia zu. Dem Bektashi-Orden, der sehr viel stärker seine Basis in den Städten hatte, während die Kizilbasch eher auf dem Land ihren Rückhalt fanden, gelang im 16. Jahrhundert eine Annäherung an die Janitscharen, was ihn zeitweilig zu einem Staat im Staat von großem Einfluss auf das Weltreich machte. Der Orden wurde daher mit den Unruhen, die von den Janitscharen immer wieder ausgingen, in Verbindung gebracht. Als 1826 die Janitscharen aufgelöst wurden, folgte bereits 1827 der Orden.
In den 1930er Jahren galten die Aleviten als Kurden, obwohl sie gegen die sunnitischen Kurden Scheich Saids gekämpft hatten. Am 21. Juni 1934 trat das sogenannte Besiedlungsgesetz (İskân Kanunu) in Kraft. Dessen Ziel war die Türkisierung der Bevölkerung, die staatliche Vertreter ohnehin zu den „ursprünglichen Türken“ rechneten. Dersim war das erste Gebiet, in dem das Gesetz zur Geltung kommen sollte. Alle Einrichtungen der tribalen und religiösen Führung wurden abgeschafft und ihr Grundbesitz konfisziert (Art. 10). „Diejenigen, die nicht der türkischen Kultur angehören“ oder ihr zwar angehören, „jedoch eine andere Sprache sprechen“, konnten umgesiedelt oder ausgebürgert werden (Art. 11 lit. B). Die Region Dersim wurde zu einer Region der dritten Kategorie erklärt und war somit für eine Entvölkerung vorgesehen. Anfang 1936 wurde Dersim unter Militärverwaltung gestellt. Im Winter 1936/37 stellte die Armee die Zugänge zur Region unter strikte militärische Kontrolle und verhinderte Ein- und Ausreisen. Die Stämme fühlten sich bedroht und lehnten die Einmischung ab. Sie betrachteten die militärische und administrative Umklammerung als Angriff auf ihre Rechte. Bereits im Vorfeld der Auseinandersetzungen hatte der spätere Anführer und das geistliche Haupt des Aufstandes, Said Rıza, dem Militärgouverneur gegenüber die staatlichen Eingriffe abgelehnt. Manche Stämme reagierten mit Gewalt auf die Regelungen und Türkisierungsbestrebungen des Umsiedlungsgesetzes und die zunehmende militärische Präsenz. Die Stämme der Haydaran und Demenan brannten in der Nacht zum 21. März 1937 eine Polizeistation und eine Holzbrücke nieder und zerstörten Telefonleitungen. Vorausgegangen waren einige Vorfälle von Gewalt gegen Dorfbewohner, Fälle von Vergewaltigung durch türkische Soldaten und von Tötung türkischer Soldaten. Die Auseinandersetungen eskalierten, die Luftwaffe begann Dörfer zu bombardieren. Die nun folgende Operation erhielt den Namen „Züchtigung und Deportation“ (tedip ve tenkil). In Dersim wurden türkische Truppen im Umfang von 25.000 Mann zusammengezogen. Seyid Rıza wurde mit 50 Gefolgsleuten verhaftet, vor Gericht gestellt und Mitte November 1937 hingerichtet. Im Frühling 1938 nahm die Armee nach einem harten Winter ihre Operationen wieder auf. Selbst Stämme wie die Pilvank und die Aşağı Abbas, die dem Staat loyal gegenüber standen, wurden vernichtet. Der türkische Generalstab berichtete von 7.954 Toten innerhalb von 17 Tagen während dieser zweiten Phase des Aufstandes. Die türkischen Truppen umfassten auf dem Höhepunkt der Kämpfe drei Armeekorps mit etwa 50.000 Mann. Insgesamt wurden 40 Flugzeuge für Aufklärung und Bombardements eingesetzt; die Armee setzte Giftgas ein. Dersim markierte das Ende tribaler und religiöser Aufstände in der Türkei. Der Ausnahmezustand wurde erst 1948 beendet.
1978 wurde der alevitische Ordensführer Sabri Özkan von Rechtsradikalen ermordet, zwischen dem 19. und 26. Dezember 1978 kam es zum Pogrom von Kahramanmaraş im Südosten der Türkei, mit offiziell 111 Toten. Als es ab den 1980er Jahren zu neuen Kämpfen kam, ließ die Armee 1994 ein Drittel der Dörfer zwangsräumen und zerstören und brannte große Areale Wald nieder. Am 2. Juli 1993 kam es in Sivas zu einem Brandanschlag auf ein alevitisches Festival, dem 37 Menschen zum Opfer fielen. Dieses Massaker stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl der nach mehr als 400 Jahren der Verfolgung zerstreuten städtischen Gruppen. Etwa die Hälfte der in Deutschland ansässigen Aleviten betrachtet ihre Religion heute als nicht-islamisch, kleinere Gruppen nähern sich den Sunniten oder Schiiten an. Der Völkerbund betrachtete die Ereignisse der 90er Jahre als innere Angelegenheit der Türkei, da nach seiner Einschätzung eine muslimische Minderheit betroffen war und dies die Minderheitenklauseln des Lausanner Vertrags nicht berührte. Schon in den 60er Jahren hatten sich viele Aleviten als Arbeiter nach Deutschlanld anwerben lassen, in den 80er Jahren beantragten viele politisches Asyl. Erst am 23. November 2011 nahm der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan Stellung zu den Ereignissen und entschuldigte sich öffentlich für die Vorgehensweise der staatlichen Stellen. Er bezeichnete die Vorgänge von Dersim als die „tragischsten und schmerzhaftesten Ereignisse“ der neueren türkischen Geschichte. Die Regierung erkannte 13.808 Todesopfer an.
1922 wurde das Sultanat abgeschafft und am 29. Oktober 1923 das Kalifat. Am 20. April 1924 trat eine neue Verfassung in Kraft, die religiösen Gerichte wurden aufgehoben, später wurden Fez und Schleier verboten, die Koedukation eingeführt. Im selben Jahr wurden sowohl die islamische Zeitrechnung, als auch der parallel verwendete Rumi-Kalender abgeschafft und durch den Gregorianischen Kalender ersetzt, zudem das metrische System eingeführt, 1926 das Schweizer Privatrecht. Es folgten das deutsche Handelsrecht und das italienische Strafrecht. 1928 und 1937 wurden Säkularisierung und Laizismus in der Verfassung verankert und 1928/29 innerhalb nur eines halben Jahres die arabische durch die lateinische Schrift ersetzt. 1934 erhielten die Frauen das Wahlrecht.
Dabei erhielten Begriffspaare wie „modern“ vs. „unmodern“ oder „zivilisiert“ vs. „unzivilisiert“ eine machtpolitische Funktion. Orientalismus wurde zu einem zentralen Teil des Herrschaftsdiskurses. Spätestens seit der Jungtürkenzeit und bis heute verwendet, dient der Begriff „Reaktion“ (irtica) dazu, politische Gegner mundtot zu machen. An der Vorherrschaft des Militärs und der Beamtenschaft, die den „starken Staat“ repräsentierten, änderte Atatürk nichts. Sein Nachfolger İsmet İnönü setzte das als „Kemalismus“ bezeichnete System fort und ihm gelang 1939 die Rückgewinnung des seit dem Ersten Weltkrieg französischen Hatay.
Bereits seit dem 3. März 1924 bestand ein Freundschaftsvertrag mit Deutschland. Ismet Inönü, Sprecher der neuen türkischen Regierung, machte zuvor deutlich, dass diese vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf einen formalen Freundschaftspakt bestand, der einen Neuanfang markieren sollte, kein Anknüpfen an das bis 1918 bestehende Verhältnis. Die Regierung wollte keineswegs die Rechtsnachfolge des Osmanischen Reiches antreten. Daher gingen die Initiativen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Berlin seit 1921 von Ankara aus. Die Regierung fand im Begriff der „Freundschaft“ eine allgemeine politische Formel, die die Beziehungen zu ehemaligen Verbündeten des Osmanischen Reiches ebenso beschrieb, wie zu Staaten, mit denen bisher keine Bindungen bestanden oder Kriegszustand herrschte: Mit der Bezeichnung sollte die Gleichberechtigung der Vertragsschließenden ausgedrückt, wie der außenpolitische Grundsatz Mustafa Kemals unterstrichen werden, „Frieden in der Welt“ zu halten. Berlin zögerte und ernannte Rudolf Nadolny, der als deutscher Vertreter in Ankara fungierte, erst im Juni 1925 zum offiziellen Botschafter. Kemaleddin, der türkische Botschafter in Berlin (und dort bekannter Militär,) sprach von „Beziehungen der Freundschaft“, „die zu allen Zeiten zwischen der Türkei und Deutschland bestanden haben.“ In der deutschen Diplomatie wurde die Neuartigkeit des türkischen Ansatzes kaum wahrgenommen, stattdessen setzte sich die Vorstellung einer Kontinuität deutsch-türkischer Freundschaft ungebrochen fort.112h Doch Ankara zielte mit Erfolg auf Freundschaftsverträge mit seinen Nachbarn ab, enthielt sich jeder Form des Expansionismus', trat 1932 dem Völkerbund bei. Dass 1934 ein Mob die Juden aus Thrakien vertrieb, wurde in der Weltöffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen.
Mit dem Angriff Italiens auf Albanien am 7. April 1939 suchte Ankara die Annäherung an Großbritannien und Frankreich, wobei letzteres Antakya an die Türkei zurückgab. Während des Zweiten Weltkriegs hielt sich die Türkei neutral, unterzeichnete am 18. Juni 1941 einen deutsch-türkischen Freundschaftsvertrag, der einen Angriffsverzicht beinhaltete. Ähnlich wie Berlin sah sich Ankara als Opfer der Versailler Verträge; zudem erhoffte man sich einen Verbündeten im Kampf gegen die Sowjetunion und den Kommunismus. Außerdem war Deutschland der wichtigste Handelspartner. Die Machtergreifung Hitlers traf in der Türkei daher durchaus auf Sympathie, die allerdings durch den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, mit der die Türkei eine gemeinsame Grenze hatte, stark vermindert wurde. Am 8. Oktober 1939 schloss Ankara einen Militärpakt mit Paris und London, doch sah man sich stark in der Defensive. Im Frühjarh 1941 war praktisch der gesamte Balkan in der Hand der Achsenmächte. Die Türkei sprengte sicherheitshalber alle Brücken über den Grenzfluss Marica. Tatsächlich hatten deutsche Militärs die Eroberung der Türkei im Rahmen der Operation Gertrud kurzfristig ins Auge gefasst. Eine erneute Wendung vollzog die Regierung in Ankara, noch bevor Hitler die Sowjetunion am 22. Juni 1941 angriff - die Verhandlungen hatten bereits im Dezember 1940 begonnen. Dabei nahm die Türkei aus bloßen Nützlichkeitserwägungen Fachleute wie Ernst Reuter auf, was keineswegs einer Unterstützung der (sozialdemokratischen) Opposition gegen die Nationalsozialisten gleichkam. Im Gegenteil erlaubte Ankara deutschen Kriegsschiffen die Fahrt durch die Dardanellen und band auf deutschen Wunsch hin sowjetische Truppen an der Grenze durch türkische Divisionen, die dorthin verlegt wurden. Inönü selbst wünschte Deutschland einen militärischen Sieg über die Sowjetunion. Außerdem verminderte sich durch Wohlverhalten die Gefahr, durch die deutsche Armee angegriffen zu werden, zumal Berlin im Nahen Osten weitreichende Pläne verfolgte und zahlreiche Mittelsmänner und Spione in der Türkei tätig wurden. Dabei wuchs die Zahl der Soldaten von 120.000 auf über eine Million, bei einer Bevölkerung von 17 Millionen. Erst als die Niederlage der Achsenmächte abzusehen war, brach Ankara am 2. August 1944 auf Druck der Alliierten die diplomatischen Beziehungen zu Berlin ab, der türkische Außenminister musste zurücktreten. Die Türkei erklärte am 23. Februar 1945 Deutschland und Japan den Krieg - eine Voraussetzung, um später der UNO beitreten zu dürfen -, hielt sich aber aus den Kriegshandlungen heraus.
Während des Krieges brachte die deutsche Politik, wie überall, wo sie unmittelbaren oder mittelbaren Zugriff erhielt, auch die jüdische Bevölkerung in größte Gefahr.112n Doch überlebten die jüdischen Gemeinden den Holokaust vor allem deshalb, weil die Türkei nicht von der deutschen Armee besetzt wurde und dort der entsprechende Rassenhass sehr viel weniger ausgeprägt war. Dort war es der türkische Nationalismus, der, wie die anderen Minderheiten auch, die jüdischen Gemeinden in Bedrängnis brachte, so dass viele Juden auswanderten. Heute leben dort nur noch 17.400 Juden.112p Erst jüngste Untersuchungen brachten zu Tage, dass keineswegs, wie eine Publikation von 1993 behauptete, zahlreiche türkische Politiker und Beamte alles in Bewegung setzten, um die verfolgten Juden zu retten - eher bestätigen Ausnahmen die Regel. Denn im Gegenteil lag die tatsächlliche Judenpolitik auf der Linie der nationalistischen Politik, wie sie auch gegenüber anderen Minderheiten in der türkischen Republik durchgesetzt wurde. Daher drängte man die Juden, sich zu assimilieren. Diese empfanden die Turkisierungspolitik jedoch eher als Bedrohung, ähnlich wie die anderen Minoritäten. Die türkische Regierung ihrerseits, die Nachfolgerin des Osmanischen Reiches, sah in den Minderheiten, vor allem den Griechen und Armeniern, potentielle Verbündete der europäischen Mächte, die auf die Auflösung des Osmanenreiches lange hingearbeitet hatten. Dieses Misstrauen galt allen Minderheiten, wie sich bereits im Krieg gegen die Griechen im Dezember 1922 zeigte, als eine Pressekampagne gegen die Juden begann, die explizit darauf abzielte, nach der Flucht der Griechen und der Ermordung der Armenier nun auch die Auswanderung der Juden durchzusetzen. Es folgten anti-jüdische Demonstrationen, Boykotte, Übergriffe, vor allem in Thrakien 1934 ein Pogrom, nach dem vielleicht 15.000 Juden nicht zurückkehren durften, und in Westanatolien. Die 3000 Juden der Gemeinde von Aydın, die während der Vertreibung der Griechen ebenfalls geflohen waren, durften nicht zurückkehren. Nachdem der Anteil der nicht-muslimischen Bevökerung in der Türkei während des Krieges von etwa 20 auf 2,5 % eingebrochen war, fielen die verbliebenen Juden sehr viel mehr auf, zumal die verbliebenen Griechen nur noch in Istanbul leben durften. Nach 1923 waren also außerhalb der Metropole Juden vielfach die einzige Minderheit, während ihr Anteil in Izmir oder Edirne zu Beginn der Republik noch bei 10 % gelegen hatte. 1914 lebten noch etwa 190.000 Juden im verbliebenen Osmanenreich, davon vielleicht 130.000 auf dem Gebiet der später von Atatürk gegründeten Republik. 1918 waren es vielleicht 150.000. Doch ihre Zahl sank rapide. Die Gemeinde Izmir schrumpfte von 40.000 im Jahr 1922 auf 13.000 im Jahr 1934; in Edirne von 18.000 auf 6.000. Der Zensus von 1927 zählte 81.872 Juden, 1933 waren es 78.730. Zwar waren die meisten Juden Arbeiter, Angestellte oder Kleinhändler, doch einige von ihnen waren zu Unternehmern geworden, während die Türken auf der Ebene der Hochfinanz oder des Industriekapitals kaum eine Rolle spielten. Dies hing wiederum mit der seit Mohammed praktizierten und aufgezwungenen Arbeitsteilung zusammen, bei der Muslime die Macht innehatten, die Nichtmuslime hingegen auf die Wirtschaftstätigkeit beschränkt waren. Dies sollte sich nun ändern, doch war es schwer möglich, die ausländischen Kapitaleigner zu verdrängen, auf die die Wirtschaft angewiesen war. Daher versuchte man Türken zu Lasten der Minderheiten in entsprechende Positionen zu bringen; die Turkisierung der Ökonomie wurde zu einem wichtigen Ziel. Mangels Griechen und Armeniern blieben nur die Juden übrig. Im Staatsdienst erhielten Türken bereits ab März 1926 den alleinigen Zugang, selbst bei Straßenbahnfahrern. Es folgten Ausschlüsse für Nichtmuslime bei Apothekern, Anwälten, Ärzten. Die türkische Sprache, Geschichte und Geographie durften nur noch von „öz Türk“, „echten Türken“ unterrichtet werden. Der Zensus von 1935 zeigte, dass 45,9 % der männlichen Juden arbeitslos waren, 24 % arbeiteten im Kleinhandel, 20,5 % in Handel und Industrie. Die extrem hohe Arbeitslosigkeit war neben den Assimilierungszwängen eines der stärksten Auswanderungsmotive.
Bereits im Laufe der 1930er Jahre nahm die Diskriminierung der jüdischen Türken zu, wenn auch keine explizit antisemitische Gesetzgebung existierte. So wurden jüdische Vereine aufgelöst, 1938 folgten alle Assoziationen, die auf ethnischer, religiöser oder Klassenbasis bestanden. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wanderten daher etwa 20 bis 30.000 Juden aus der Türkei nach Europa aus, vor allem nach Paris; viele andere waren in die USA gegangen, die jedoch die Zuwanderung zu beschränken begann. Insgesamt, so lauten die Schätzungen von Corry Guttstadt, verlor die jüdische Gemeinde etwa die Hälfte ihrer Angehörigen. Die verbliebenen etwa 75.000 Juden blieben, ähnlich wie Kurden und Armenier, trotz der grundsätzlichen verfassungsgemäßen Gleichstellung, Bürger zweiter Klasse. Da sich jedoch in den osteuropäischen Staaten die Situation noch schwieriger darstellte, bemühten sich viele Juden um Anpassung und immer neue Beweise staatsbürgerlicher Treue. Dabei gelang es der deutschen Regierung nicht, Unterstützung für ihre rassistische, auf Auslöschung abzielende Variante des Antisemitismus zu gewinnen.
Doch die Regierung trat Übergriffen auf Geschäfte und Wohnungen auch nicht entgegen. Im Gegenteil sahen sich die Juden besonders stark einer geradezu enteignenden Vermögenssteuer und einem weitgehenden Zwangsarbeitsdienst ausgesetzt. Etwa 4.500 Juden wanderten während des Krieges nach Palästina aus, die Mehrheit der verbliebenen folgte nach 1945. Zwischen 1938 und 1940 untersagte Ankara nicht nur die Einreise, sondern auch den Transit von Juden, die aus dem Machtbereich Deutschlands nach Palästina fliehen wollten. Gleichzeitig wurde um türkische Einwanderer aus den Balkanstaaten geworben. Zwischen Herbst 1940 und Sommer 1941 durften 4.850 Juden durch die Türkei nach Palästina reisen, ab Sommer 1944 folgten weitere 6.800. 1942 und 1943, während der Phase besonders intensiver deutsch-türkischer Zusammenarbeit, durften gerade einmal 2.000 Juden durchreisen, die sich in Syrien und an der Grenze zu Palästina weiteren Problemen gegenübersahen, wie etwa der Behinderung der Einwanderung durch die britische Mandatsmacht in Palästina. Berlin nahm, angesichts der sonstigen Rücksichtslosigkeit ist dies nicht zu übersehen, durchaus Rücksicht auf Empfindlichkeiten in Ankara. Dies zeigte sich darin, dass Berlin die türkische Regierung aufforderte, die mehreren tausend Juden mit türkischen Papieren zu repatriieren, die mittlerweile im von Deutschland eroberten Gebiet lebten. Doch Ankara nahm nur 500 bis 600 Juden, die aus „Großdeutschland“ geflohen waren, auf und überließ den Rest der deutschen Vernichtungsmaschinerie. Im März 1945 wurden 105 türkische Juden aus dem Konzentrationslagr Bergen-Belsen befreit, die nach Istanbul ausreisten, wo sie jedoch nur übergangsweise leben durften, um nach Palästina auszureisen.
Bei den ersten Wahlen, die 1946 stattfanden, löste die rechtskonservative Demokratische Partei Inönü ab, was als Sieg der ländlichen, anatolischen Bevölkerung gewertet wurde. Diese unterlag wiederum stark den bis zu ihrer Vertreibung durch die Regierung einflussreichen Aghas, von denen 1947 mit Erlaubnis der Kemalisten etwa 2000 zurückkehrten. Diese wiederum waren aufs das Engste mit den Scheichs verbunden.113 Adnan Menderes wurde 1950 erster gewählter Ministerpräsident. Der wirtschaftlich erfolgreichen Politik stand ein rücksichtsloses Vorgehen gegen politische Gegner und ethnische Minderheiten gegenüber. 1955 fand das Pogrom von Istanbul statt, das sich vor allem gegen Griechen richtete. Dabei war die Türkei 1952 gemeinsam mit Griechenland der NATO beigetreten. Mit Hilfe von Mitarbeitern des Geheimdienstes Milli Emniyet Hizmetleri hatte die Regierung Menderes das Bombenattentat auf das Geburtshaus Atatürks in Saloniki verüben lassen, um die türkische Öffentlichkeit aufzupeitschen. Dann ließ sie bereits in der Nachmittagsausgabe vom 6. September des Istanbul Ekspres davon berichten. Die anschließenden Ausschreitungen betrieb der Verein Zypern ist türkisch (Kibris Türktür Cemiyeti), der sich auf Initiative von Ministerpräsident Menderes gegründet hatte. Die Demokratische Partei nutzte dementsprechend die Zypernkrise, um sich Popularität auf Kosten einer Minderheit zu verschaffen. Dieser Vorgang ist wohl als Ablösung bisheriger Wirtschaftsgruppen durch eine türkische Wirtschaftselite zu deuten. Schon im Vorfeld ließ die Regierung Richter, Beamte und Hochschullehrer strafversetzen, ein Verfahren, wie es noch heute in der Türkei praktiziert wird.
Gegen das 1960 durchgesetzte Ermächtigungsgesetz kam es zu wachsendem politischen Widerstand. Schließlich putschte das Militär, wobei ein wichtiger Grund die Abneigung gegen kurdische Autonomieforderungen war.114 Unter General Cemal Gürsel, der später Präsident der Türkei wurde, bildete sich das Komitee der Nationalen Einheit, die Demokratische Partei wurde verboten, der Ministerpräsident am 17. September 1961 hingerichtet. Inönü wurde erneut Ministerpräsident. In vielen Dörfern und Kleinstädten schlossen sich die rivalisierenden Familien der Landbesitzer den in Opposition zueinander stehenden Parteien an, was die ländliche Gesellschaft entlang der Agha-Familienverbände vielfach spaltete. Das galt vor allem für Kurdistan, das sowieso schon ärmer war, als die übrige Türkei, und in dem sich 36.000 Dörfer mit weniger als 2000 Einwohnern befanden.115 Viele Landarbeiter besaßen selbst kein Land und lebten von der Hälfte der Ernte, wo sie ansonsten Baumwolle, Weizen usw. anbauten. Dementsprechend nahm die Abwanderung zu, so dass es in jeder Stadt ein Kurdenquartier gab; dort entwickelte sich der kurdische Nationalismus angesichts der fortgesetzten Assimilationsversuche. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung schneller als in der übrigen Türkei. 1967 fanden Massendemonstrationen in Sivas und Diyarbakir statt, die ersten seit 1938.116 In den folgenden Jahren eskalierten die Auseinandersetzungen, und sie verlagerten sich in die Städte, wo allein von 1965 bis 1969 die Zahl der Studenten von 100.000 auf 150.000 steil anstieg.117 Hier hatten die linken Kurdengruppen ihre politische Basis.
Ein zweites Mal putschte das Militär am 12. März 1971, die Regierung wurde entlassen. Die Armeeführung forderte Reformen und die Bekämpfung des Terrors, mit dem verschiedene politische Gruppen versuchten, ihre Ziele durchzusetzen. Erst im Oktober 1973 fanden wieder Parlamentswahlen statt, aus denen die demokratischen Sozialisten unter Bülent Ecevit als Sieger hervorgingen. Zugleich gelang unter Necmettin Erbakan erstmals einer islamistischen Partei der Einzug ins Parlament. Die Koalition zwischen Islamisten und Sozialisten hielt jedoch nur bis zur Zypernkrise von 1974, in deren Verlauf die Türkei den Norden der Insel besetzte. Die dortigen Türken zogen überwiegend in den Nordteil, die Griechen in den Süden. An einem weiteren ethnischen Konfliktherd, in Kurdistan, entstand in den Jahren 1973 bis 1978 die marxistisch-leninistische Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK. Dem dortigen Bürgerkrieg werden etwa 40.000 Tote zugeschrieben.
Am 12. September 1980 putschte das Militär abermals, 1982 wurde eine neue Verfassung durch einen Volksentscheid verabschiedet. Die wieder zugelassenen Parteien wurden neu gegründet, repräsentierten aber weiterhin die Hauptströmungen der Gesellschaft. Ecevit gründete die Partei der Demokratischen Linken und Süleyman Demirel die Partei des Rechten Weges, die sich mit der Mutterlandspartei die Klientel der früheren Gerechtigkeitspartei, etwa die Aghas, Technokraten, Konservative und auch islamische Kreise teilte. Es folgten wechselnde Koalitionen, wobei das Wirtschaftswachstum noch nicht in der Lage war, eine breite Mittelschicht hervorzubringen. Zudem sahen sich Millionen von Anatoliern gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und nach Istanbul oder Ankara zu ziehen. Zugleich verschärften sich die Konflikte zwischen der Armee und den rebellierenden Kurdengruppen.
Während des Zweiten Golfkriegs errichtete die Türkei 1990 in Ostanatolien eine Sicherheitszone und bot so Hunderttausenden irakischer Kurden Schutz. Bis 1994 wurden durch das Militär ca. 2000 Dörfer im Südosten der Türkei geräumt, während die PKK gegen Dörfer vorging, die mit dem türkischen Militär zusammenarbeiteten.
Bei den Kommunalwahlen am 28. März 1994 wurden die Islamisten der Wohlfahrtspartei zur drittstärksten Partei. Sie stellte in İstanbul und Ankara die Bürgermeister. 1995 ging sie aus den Wahlen vom 24. Dezember als Siegerin hervor, während die einzige Frau im Amt des Ministerpräsidenten, Tansu Çiller, unterlag. Da jedoch keine Partei mit ihr koalieren wollte, entstand eine Regierung der beiden anderen großen Parteien, die jedoch bereits am 6. Juni 1996 auseinanderbrach. Am 28. Juni erhielten die Islamisten den Regierungsauftrag. Doch die Regierung unter Necmettin Erbakan geriet in Widerspruch zu der von Kemal Atatürk begründeten laizistischen Staatsdoktrin, als deren Hüter sich die Militärs sahen. Im Nationalen Sicherheitsrat forderten die Generäle von Erbakan ein entschiedenes Vorgehen gegen islamistische Tendenzen. Erbakan trat am 30. Juni 1997 zurück. Am 16. Januar 1998 wurde die Partei vom Verfassungsgericht verboten, doch trat an ihre Stelle die Tugendpartei.
Im August 1996 beendete das Parlament den Ausnahmezustand in den Kurdenprovinzen, erteilte der Armeeführung jedoch erweiterte Vollmachten für militärische Einsätze, Verhaftungen und Zensur in allen Provinzen des Landes. 1999 erklärte die PKK einen Waffenstillstand, der bis 2004 hielt. Sie hatte sich 2002 aufgelöst, gründete sich nach dem Ende des Waffenstillstands 2005 jedoch neu. Gegenüber den Aleviten entschuldigte sich Erdoğan für das Massaker nach dem Dersim-Aufstand von 1937/38.
In der Wirtschaftskrise von 2001 sank das Bruttosozialprodukt um fast 10 %, Kredite des Internationaler Währungsfonds hielten die Regierung zahlungsfähig. Ecevits Wirtschaftsminister Kemal Derviş reformierte den anfälligen Bankensektor und bekämpfte die Korruption. Die Verfassungsänderungen vom Oktober 2001 und August 2002 bildeten die Grundlage für die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Daneben wurden die Renten- und Krankenversicherung reformiert und eine Arbeitslosenversicherung eingeführt.
Am 3. November 2002 wurde Abdullah Gül Ministerpräsident, der Führer seiner Partei, der AKP Recep Tayyip Erdoğan durfte dieses Amt erst nach Änderung von Gesetzen am 11. März 2003 übernehmen. Die Regierung setzte die unter der Regierung Ecevit (1999–2001) begonnenen Reformen im Zivilrecht, die Menschen- und Freiheitsrechte stärkten (z. B. Versammlungs- und Demonstrationsrecht) fort. Auch wurde die Todesstrafe abgeschafft, Folter verboten und die kulturellen Freiheiten der Kurden gestärkt. So wurden der Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdisch-Unterricht und kurdische Radio- und Fernsehkanäle erlaubt. Am 17. Dezember 2004 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, ab dem 3. Oktober 2005 mit der Türkei Verhandlungen über den EU-Beitritt aufzunehmen.
Im Irakkrieg verweigerte die Türkei den USA und ihren Verbündeten im Jahre 2003 die Nutzung ihrer Militärbasen. Vorangegangen waren Bestrebungen der türkischen Armee, bei einer Invasion in den kurdischen Teil des Iraks einzumarschieren, was international zurückgewiesen wurde. Nach der Verhaftung türkischer Einheiten im Nord-Irak durch amerikanische Truppen kam es zur sogenannten Sackaffäre. Anfang 2010 wurden Armeeangehörige wegen angeblicher Putschpläne aus den Jahren 2002 und 2003 verhaftet. Gesucht wird seither auch Bedrettin Balan, der 1984 bis 1989 Bürgermeister von Istanbul war.
Währenddessen blieb das Wirtschaftswachstum ungebrochen, wenn auch die von den USA ausgehende Krise der Weltwirtschaft 2008 das Land traf. Zum Wachstum trug neben der Öffnung der Märkte, den niedrigen Löhnen, dem Nachholbedarf und der Modernisierung der Organisations- und Infrastruktur auch bei, dass die türkischen Universitäten in Zahl, Größe und Qualität stark zunahmen. 1900 hatte Istanbul seine erste Universität gegründet, 1925 Ankara. In den 1980er Jahren bestanden etwa 25 staatliche Universitäten. Doch bis 2003 stieg ihre Zahl auf 75 an.118 2008 bestanden 94 staatliche und 33 Stiftungsuniversitäten, 2012 waren es zusammen 171, 2015 bereits 176. Die wichtigsten Wirtschaftssektoren sind die Textilindustrie und der Tourismus, die Automobilindustrie und die Elektronikbranche. Allerdings brach der Tourismus zwischen April 2015 und April 2016 um 22 % ein, in Istanbul gar um 32 % - gemessen an der Ausbuchungsrate der Hotelzimmer. Der Übernachtungspreis fiel um mehr als 14 %.118c
Zugleich nahm die Verstädterung stark zu, so dass vor allem Istanbul enorm anwuchs, das weit über 13 Millionen Einwohner aufweist, gefolgt von Ankara mit 4,5 und Izmir mit 3,8 Millionen Einwohnern, dann Bursa und Adana mit rund 2 Millionen. Da etwa drei Viertel der Bewohner des Landes mittlerweile in Städten leben, lässt der Zuzug vom Land inzwischen deutlich nach. Um die Meerenge des Bosporus zu entlasten, werden Pläne entwickelt, durch Westthrakien einen Kanal zu bauen. Als Konsequenz aus schweren Unfällen im Bosporus, brachte die türkische Regierung 2011 die Idee auf, westlich von Silivri eine künstliche Wasserstraße von 150 m Breite, 25 m Tiefe und etwa 50 km Länge zu errichten.119 Er soll 2023 fertiggestellt sein. 2015 durfte nach 88 Jahen erstmals wieder ein nicht-muslimisches Gotteshaus errichtet werden. Die Kirche für die aramäisch-assyrischen Christen soll in Istanbul entstehen.120
Außenpolitisch geriet die Türkei, bedingt durch den Bürgerkrieg in Syrien zunehmend unter Druck, zumal sie etwa zwei Millionen Flüchtlinge aufnahm und die Wahrnehmung des Konfliktes sich seit dem Kampf um Kobane im äußersten Norden Syriens sowie durch Terroranschläge verstärkte. Daneben schrumpfte im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 2007 die Mittelschicht, obwohl die Wirtschaft rapide weiterwuchs. Zugleich wuchs die Zahl der extrem Reichen. 2002 hatte das vermögendste Prozent der Bevölkerung erst 39,4 % des gesamten Vermögens besessen, 2014 waren es bereits 54,3 %.120c Bei den Wahlen vom 1. November 2015 konnte die AKP, die die absolute Mehrheit zuvor eingebüßt hatte, diese zurückgewinnen.
Seit 1985 gehört ein Teil der Istanbuler Innenstadt zum UNESCO-Welterbe, hinzu kommen neun weitere Stätten, darunter die Ruinen von Ḫattuša und Troja, die antike Stadt Hierapolis, die Divriği-Moschee, die byzantinischen Felsenkirchen und Wohnanlagen von Göreme und die Altstadt von Safranbolu. Forschungen zur Geschichte der Republik, insbesondere der Kontinuitäten zwischen Osmanenreich und früher Republik sowie zu nicht vom Staat gesteuerten Prozessen, wurden erst mit der Öffnung des Republikarchivs in Ankara möglich (wo nur die Bestände weniger Ministerien und untergeordneter Behörden verfügbar sind), das seit 2005 zugänglich ist. Das Ministerium für Kultur und Tourismus nahm im Rahmen seines Vorhabens Türkei Vision 2023 270 Gebiete in sein Förderungsprojekt auf.
Einschlägig sind hier die Studien zum antiken Kleinasien (zuletzt Bd. VII, Münster 2011), hinzu kommen Studien zu den historischen Landschaften sowie Untersuchungen zur Wirtschafts- oder Stadtgeschichte:
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